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NAHOST/1019: Libyen - Kampf um politische Mitbestimmung, Berberrebellen drehen den Ölhahn zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. November 2013

Libyen: Kampf um politische Mitbestimmung - Berberrebellen drehen den Ölhahn zu

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurututa/IPS

Berber-Milizionär vor der Ölfabrik in Nalut
Bild: © Karlos Zurututa/IPS

Zwara, Libyen, 12. November (IPS) - "Öltanker werden von diesem Hafen aus solange kein Rohöl erhalten, bis Tripolis endlich auf unsere Forderungen eingeht", sagt Younin, einer der Berberrebellen, die eine der größten Öl- und Gasfabriken an der Küste Libyens blockieren.

Der Industriekomplex Mellitah, rund 100 Kilometer von der Hauptstadt Tripolis entfernt, ist ein Joint Venture des italienischen Multis ENI und des libyschen Staatsunternehmens NOC. Seit dem 26. Oktober verhindert eine Gruppe bewaffneter Amazigh, dass Tanker hier andocken können.

Die Amazigh oder Berber sind die indigenen Bewohner Nordafrikas. Sie sind auch an Marokkos Atlantikküste und am Westufer des Nils in Ägypten anzutreffen. Mit den Tuareg in der Sahara-Wüste teilen sie die Sprache.

"Wir kamen nachts über das Meer aus der nahegelegenen Stadt Zwara", erzählt Younis. "Seitdem wechseln sich 30 Mann ab, um die Anlage zu bewachen." In einem Zelt haben die Männer eine Kommandozentrale untergebracht. "Wir sind die wahren Wächter der Revolution", steht auf einem Transparent, das neben dem Zelt aufgehängt ist.

"2011 griffen die Amazigh zu den Waffen gegen ein Regime, das uns Jahrzehnte lang wie Hunde behandelt hatte. Zwei Jahre später kämpfen wir noch immer für unsere Rechte und gegen die neue libysche Regierung", erläutert Younis.


Arabisierungsopfer

Mit der Ankunft der Araber in der Region im siebten Jahrhundert begann ein allmählicher Prozess der Arabisierung, der während der 40-jährigen Herrschaft des libyschen Machthabers Oberst Muammar al-Gaddafi einen deutlichen Aufschwung nahm. Schätzungen zufolge leben etwa 600.000 Amazigh in Libyen - das sind zehn Prozent der Bevölkerung.

"Die Regierung erkennt uns nicht an, und wir erkennen die Regierung nicht an", ist auf einem anderen der zahlreichen Transparente zu lesen, die überall auf dem Gelände der Ölanlage angebracht sind. Die meisten sind in drei Sprachen abgefasst: in Arabisch, Englisch und in der Berbersprache Tamazight, die ein eigenes Alphabet hat.

"Wir sind strikt gegen das Komitee, das eine neue Verfassung entwerfen soll. Denn auf diesem Weg haben wir so gut wie keine Chance, unsere Rechte als eigenständiges Volk durchzusetzen", erläutert Ayub Sufian, der ebenfalls zu den Rebellen gehört, die den Hafen unter Kontrolle halten.

Sufian bezieht sich auf die aus 60 Mitgliedern bestehende Verfassung gebende Versammlung, in der die Minderheiten des Landes gerade einmal mit sechs Sitzen vertreten sind: mit zwei für die Amazigh, zwei für die Tuareg und zwei für die Tubu, einer im äußersten Süden Libyens lebenden Volksgruppe.

Bei diesem System erfordern Beschlüsse eine Zwei-Drittel-Mehrheit plus eine zusätzliche Stimme, wie Sufian erläutert. Für eine Einigung seien somit 41 der 60 Stimmen notwendig. Die nicht-arabischen Libyer hätten somit keine Chance, ihre Anliegen einzubringen. "Wir verlangen die offizielle Anerkennung unserer Sprache und ein Mitentscheidungsrecht bei den wichtigsten Fragen unseres Landes", fordert Sufian, der eine Konsensentscheidung befürwortet.

Der Rebellensprecher trägt eine Tarnuniform und hat ein Gewehr umgehängt. Er ist aber nicht nur Kämpfer, sondern auch Mitglied des Obersten Rats der Amazigh, einer Dachorganisation, der jede libysche Berberstadt angehört. Die meisten dieser Orte liegen entlang des Nafusa-Gebirgszuges im Nordwesten des Landes. Zwara ist jedoch eine Amazigh-Enklave in einem flachen Küstengebiet nahe der Grenze zu Tunesien.

Da es in Libyen keine gut funktionierende Zentralregierung gibt, ist das Land tief gespalten. Verschiedene Regionen und Volksgruppen üben Macht aus. Die ehemaligen Rebellen, die gegen Gaddafi kämpften, haben sich in eine Vielzahl militanter Gruppen aufgesplittert, die jeweils in ihren Heimatorten das Sagen haben und nur auf ihre lokalen Räte hören. Die Amazigh-Rebellen, die die Erdölanlage blockieren, sind da keine Ausnahme.


Friedliche Proteste bisher ergebnislos

Wie Sufian betont, werden die Rebellen von den Menschen in Zwara mit allem versorgt, was sie brauchen. Der bedingungslose Rückhalt wundert den Amazigh-Aktivisten Fathi Buzakhar vom Libyschen Zentrum für Strategische und Zukunftsstudien nicht. "Bis jetzt haben wir viele friedliche Proteste durchgeführt und uns mehrmals mit Vertretern der Vereinten Nationen getroffen", berichtet er. "Das hat aber nichts gebracht. Mit der Aktion in Mellitah gehen wir einen Schritt weiter."

Buzakhar zufolge hatten die Amazigh am Fuße der Nafusa-Berge eine wichtige Rolle bei der Eroberung von Tripolis während des Bürgerkriegs gespielt. "Doch wir wurden nur benutzt. Jetzt lehnt man uns mit der fadenscheinigen Begründung ab, dass wir unter ausländischem Einfluss stünden", berichtet der Aktivist, der kürzlich die Ölpipeline nahe Nalut, etwa 250 Kilometer südwestlich von Tripolis, besuchte. Sie wird von den Amazigh-Rebellen seit dem 29. September blockiert.

"Die Menschen kommen aus allen Winkeln, sogar unsere Tuareg-Brüder aus dem Süden", sagt der Sprecher der Jadu-Miliz, Omar Srika. "Sie haben 700 Kilometer südwestlich der Hauptstadt die Fabrik Ubari besetzt, die von dem spanischen Unternehmen Repsol betrieben wird." Anfangs sei es den Amazigh nur um die Anerkennung ihrer Sprache gegangen, betont er. "Doch heute sagen wir all denjenigen, die ihren Fuß auf unseren Boden setzen wollen, dass sie uns in ihre Pläne einbeziehen müssen."

Die Regierung hat bisher weder in militärischer noch in politischer Hinsicht auf die Blockade des Ölkomplexes Mellitah reagiert. Das libysche Parlament hatte beschlossen, über das Problem auf der letzten Sitzung am 5. November nicht zu beraten. Die Besatzungen der in Mellitah vor Anker liegenden Öltanker vertreiben sich die Zeit inzwischen mit Fischen.


Ölproduktion nähert sich Nullpunkt

Die Proteste in unterschiedlichen Teilen des Landes haben unterdessen dazu geführt, dass die libysche Ölproduktion um 90 Prozent gedrosselt wurde. Fabrikarbeiter in Mellitah erklärten gegenüber IPS, dass die Verschiffung von 160.000 Barrel Öl am Tag unterbrochen sei. Die Beschäftigten in der Fabrik hätten aber von den Besatzern nichts zu befürchten.

Noch strömen 40 Prozent der üblichen Gasmenge durch die Leitungen. Die Amazigh drohen nun damit, nach den Öl- nun auch die Gaslieferungen zu kappen, sollte die Regierung ihre Forderungen ignorieren. Davon wäre kurz vor Wintereinbruch die Erdgasversorgung Italiens unmittelbar betroffen. (Ende/IPS/ck/2013)


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IPS-Tagesdienst vom 12. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2013