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NAHOST/1029: Libanon - Im Sog des Syrienkriegs, Land wird immer stärker gespalten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Januar 2014

Libanon: Im Sog des Syrienkriegs - Land wird immer stärker gespalten

von Shelly Kittleson


Bild: © Shelly Kittleson /IPS

Schwer beschädigte und zerstörte Gebäude im Viertel Dschabal Mohsen in der libanesischen Stadt Tripoli
Bild: © Shelly Kittleson /IPS

Tripoli, Libanon, 23. Januar (IPS) - In der größten nordlibanesischen Stadt Tripoli durchschneidet die Syrienstraße die beiden verfeindeten Viertel Dschabal Mohsen und Bab Al-Tabbaneh, die sich seit Beginn des Krieges im 30 Kilometer entfernten Syrien nur noch heftiger befehden. Der Einschlag einer syrischen Rakete am dritten Januarwochenende reichte aus, um die Front zwischen den Stadtteilen erneut in einen Kriegschauplatz zu verwandeln.

Seit 2008 kam es dort zu 18 schweren Scharmützeln. Davon zeugen die vielen ausgebrannten Geschäfte und die durch Mörsergranaten zerbombten Mauern ebenso wie die von Kugeln durchsiebten Leinentücher, die Heckenschützen die Sicht auf den jeweils anderen Stadtteil nehmen sollen. An den ehemaligen Kontrollpunkten sind seit Anfang Dezember, im Anschluss an die schweren Auseinandersetzungen Ende November mit vielen Toten und Verletzten, die libanesischen Streitkräfte stationiert. Sie sollen für Ruhe sorgen - ein schwieriges Unterfangen in einem Umfeld, das vor Waffen und Munition nur so strotzt.

Die Einwohner von Bab Al-Tabbaneh sind vorwiegend Sunniten. In Dschabal Mohsen hingegen stellen Alewiten die Bevölkerungsmehrheit. Diese Glaubensgemeinschaft ist aus dem schiitischen Islam hervorgegangen und stellt elf Prozent der libanesischen Bevölkerung. Das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gehört der gleichen religiösen Minderheit an.


Im Viertel gefangen

Wie ein Ladenbesitzer berichtet, gibt es in Dschabal Mohsen keine Grund- oder weiterführende Schule. Der Besuch des Unterrichts im sunnitischen Bab Al-Tabbaneh sei für die Kinder zu gefährlich geworden. Emad Salman, ein 28-jähriger Anstreicher, hat nach eigenen Angaben den Stadtteil seit November nicht verlassen. "Wer von uns medizinische Hilfe braucht, benötigt eine Militäreskorte. Das sind alles Al-Qaeda-Leute dort", sagt er und berichtet von 15 Männern aus Dschabal Mohsen, denen man auf dem Weg zur Arbeit in Bab Al-Tabbaneh in die Beine geschossen habe.

Die bisher letzte Gewaltserie wurde durch Angriffe auf zwei sunnitische Moscheen Ende August durch mutmaßliche Einwohner von Dschabal Mohsen ausgelöst. Die Explosion der beiden Autobomben kostete 47 Menschen das Leben, mehr als 400 wurden verletzt.

Einer der Hauptverdächtigen soll mit Hilfe von Ali Eid, dem Gründer der lokalen Alewitisch-Arabischen Demokratischen Partei, über die Grenze nach Syrien entkommen sein, ein Vorwurf, den Eids Sohn und Parteiführer Rifaat Eid mit Hassreden auf die libanesischen Sicherheitskräfte konterte. Eid Senior selbst hatte einer Aufforderung der Sicherheitskräfte vom 30. Oktober, sich zu den Vorwürfen zu äußern, nicht Folge geleistet. Im Anschluss daran kam es zu Übergriffen auf Alewiten, die weitere Zusammenstöße nach sich zogen. Seit dem 2. Dezember steht die Stadt für sechs Monate unter militärischer Kontrolle.

In Dschabal Mohsen sind überall Graffitis zu sehen, die ein Loblied auf die syrische Armee singen. Wandmalereien und Plakate zeigen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in Eintracht mit dessen Vater Hafis und dem libanesischen Hisbollahführer Hassan Nasrallah.

In Bab Al-Tabbaneh stehen mehrere Jugendliche zusammen und tuscheln, dass zwei Alewiten im Rahmen einer "Familienfehde" erstochen worden seien. In einer Garage, die von Dschabal Mohsen aus nicht einsichtig ist, wärmt sich eine weitere Gruppe von Teenagern auf, die sich den eigenen Angaben zufolge "auf die Revolution vorbereiten".

Eine Sunnitin weist auf ihren völlig zerstörten Laden, vor dem die Soldaten Stellung bezogen haben. Sie gibt dem libanesischen Übergangspremier Nadschib Nikati die Schuld daran. Die libanesische Stadt Tripoli ist der Geburtsort von Nikati, einem Sunniten in der von der Hisbollah dominierten Regierungskoalition des 8. März. Er gilt als reichster Mann des Libanon, der seinen Wohlstand seinem auch in Syrien tätigen Telekommunikationsunternehmen verdankt.

Der Libanon ist regierungslos, seit Mikati und sein Kabinett nach Streitigkeiten mit der Hisbollah geschlossen zurückgetreten sind. Mikati selbst bleibt bis zur Bildung einer neuen Regierung im Amt.

Mustafa Allouch, Leiter der Tripoli-Sektion der Zukunftsbewegung, die wiederum Teil der prowestlichen Allianz des 14. März ('Rafiq-Hariri-Märtyrer-Liste') ist, macht die jahrzehntelange Einmischung der syrischen Regierung in die Politik des Libanons für die Unruhen im Land verantwortlich.


Libanesische Waffen für die syrischen Kriegsparteien

Syrien war 30 Jahre lang im Libanon militärisch präsent, sah sich aber nach massiven Protesten und internationalem Druck 2005 in Reaktion auf die Ermordung des damaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri gezwungen, seine Streitkräfte aus dem Land abzuziehen. Die mit dem Assad-Regime verbündete und vom Iran finanzierte Hisbollah wurde jedoch nie zur Abgabe ihrer Waffen gezwungen. Ihre Streitmacht soll größer sein als die der libanesischen Armee.

Laut Allouch, Chefchirurg an einem lokalen Krankenhaus, macht die Hisbollah keinen Hehl daraus, auf Seiten Assads am syrischen Bürgerkrieg teilzunehmen. Aber auch Mitglieder der Allianz des 14. März werden beschuldigt, Waffen nach Syrien zur Unterstützung der Rebellen zu liefern. Auch Allouch selbst sah sich von einem Vetter mit diesem Vorwurf konfrontiert.

"Meine Mutter ist Alewitin, und ich habe einen Onkel, der General in der syrischen Armee ist", so der Politiker. "Dieser Onkel hat seinem Sohn erzählt, dass ich an den Waffenlieferungen beteiligt bin. Ich habe meinem Vetter erklärt, dass ich dies nicht tun würde, selbst wenn ich die Mittel dafür besäße. Doch hat er mir nicht geglaubt." Aus dem Libanon kämen bei weitem nicht so viele Waffen wie über andere Teile der syrischen Grenze, fügt er hinzu. "Doch wir sind hier im Libanon, wo es überall Waffen und Munition gibt." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/01/syrian-spillover-deepens-lebanese-divide/

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IPS-Tagesdienst vom 23. Januar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2014