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NAHOST/1041: ... Wie dennoch eine friedliche Lösung im Nahen Osten erreicht werden kann (spw)


spw - Ausgabe 4/2014 - Heft 203
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Den friedlichen Ausweg verpasst - Wie dennoch eine friedliche Lösung im Nahen Osten erreicht werden kann

von Christopher Paesen und Rinske Reising



Zum dritten Mal in sechs Jahren ist es zu kriegerischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen und im Süden Israels gekommen. Die Entwicklungen, die zu diesem Gewaltausbruch geführt haben, sind dabei keineswegs zwangsläufig gewesen. Fast 2000 Tote im Gazastreifen und fast 70 Tote auf israelischer Seite, hunderttausende traumatisierte Menschen auf beiden Seiten und mehr Hass gegen "den Anderen" haben dennoch zu weitgehenden Verhandlungen in Kairo geführt, die eine Perspektive auf eine nachhaltigere und friedlichere Zukunft bieten. Trotzdem kann das Fazit niemals heißen: Krieg lohnt sich.

Zugegebenermaßen ist es nicht leicht eine Alternative zur aktuellen politischen Systematik zu finden. Die Politik von gegenseitigen Anschuldigungen, von Rechtfertigungen und Härte in der eigenen Position verspricht schnellen Erfolg, hohe Zustimmungen in Umfragen und am Ende vielleicht auch Wahlsiege. Zu einer grundlegenden Veränderung, die die Chance auf ein Ende immer neuer Gewaltspiralen eröffnet, kann sie jedoch nicht führen. Es ist aber genau diese grundlegende Veränderung, die seit dem Scheitern des Oslo-Prozess auf sich warten lässt, und die nötig ist, um einen Ausweg aus den tragischen und frustrierenden Konsequenzen ständiger kriegerischer Auseinandersetzungen zu bieten.

Eine friedliche Lösung ist möglich; sie erfordert jedoch Fantasie, Kreativität und vor allem Mut, unpopuläre Entscheidungen zur letztlichen Verbesserung der Situation gegen vermeintliche Mehrheiten durchzusetzen. Nur so kann der festgefahrene Status quo, der von stetigem Raketenbeschuss Israels, einer andauernden Besatzung des Westjordanlands und einer restriktiven Beschränkung des Personen- und Warenverkehrs im Gazastreifen gekennzeichnet ist, nachhaltig überwunden werden.

Den friedlichen Ausweg verpasst

Seit Oslo hat es zwischen Israel und den PalästinenserInnen keine hoffnungsvollen Friedensverhandlungen mehr gegeben. Wie auch Barak Obama am Ende dieser letzten Gewaltspirale meinte, ist Israel schlichtweg zu dominant. Es reicht für gewählte Premierminister den Konflikt zu "managen", um eine Wahlperiode zu absolvieren. Die größte Gefahr für den Misserfolg der Wahlperiode, ist nicht das Ausbleiben von Frieden, sondern der Druck von rechts gegen palästinensische Gewalt härter aufzutreten. Es gibt keine spürbare Notwendigkeit, eine langfristige Lösung zu entwickeln und darauf hinzuarbeiten. Und je länger eine "Nicht-Lösung" die real existierende Situation ist, desto mehr gilt sie für die Bürgerinnen und Bürger Israels als akzeptierte und alternativlos erscheinende Normalität.

Auf der palästinensischen Seite war es fast eine Dekade lang unmöglich, Friedensverhandlungen erfolgreich abzuschließen. Was Palästina hätte werden sollen, war geographisch wie auch politisch aufgeteilt in zwei Teile und das Risiko, dass ein Abkommen diese Spaltung in Stein gemeißelt hätte, war zu groß. Der interne Konflikt hatte Vorfahrt und beide Seiten präsentierten der Bevölkerung jeweils eigene Methoden wie die Besatzung überwunden werden kann. Raketen aus dem Gazastreifen haben auch viele PalästinenserInnen im Westjordanland immer wieder begeistert, weil sie ein Gefühl von Stärke und Wehrhaftigkeit vermittelt haben. Mahmoud Abbas hingegen hat im Westen stabilere Unterstützer und verfolgt eine Strategie der Internationalisierung des Konflikts. Als die Hamas mit dem Ende der Herrschaft der Muslimbrüder in Ägypten quasi partnerlos wurde, musste sie sich auf eine Versöhnung mit Fatah einlassen.

Die Verhandlungen und neue Chancen

Beide Faktoren, das dauerhafte "Konfliktmanagement" Israels und die frische Versöhnung zwischen Hamas und Fatah, kamen im neuesten Gewaltausbruch und in den darauffolgenden Verhandlungen zusammen und wurden auf die Probe gestellt. Nachdem keine der beiden Seiten ihre Kriegsziele wirklich erreichen konnte, liegt nun der Fakt auf dem Tisch, dass alle zwei Jahre wiederkehrende Kriege im Süden Israels und dem Gazastreifen kein dauerhafter Zustand sein können. Die Frage für die Zukunft muss lauten, wie es gelingen kann, diesen lähmenden Status quo zu überwinden. Dazu muss vor allem Klarheit darüber bestehen, wer die Verhandlungspartner sind und wie groß die Verhandlungsmasse ist.

Eine umfassende Lösung, die neue Gewaltausbrüche nachhaltig verhindert, kann nur mit einer palästinensischen Regierung geschlossen werden, die für die Bürgerinnen und Bürger in Gaza und dem Westjordanland sprechen kann. Ziel muss dabei sein, einen Weg zu finden, um die fortbestehende Besatzung, an der sich alle Gewaltausbrüche entzünden, zu beenden und somit eine wirkliche strukturelle Veränderung zu erzielen. Ein solcher Weg bedeutet nicht nur, dass beide Seiten kompromissbereit sein müssen, sondern auch die andere Seite nicht mehr als "gemeinsamen Feind" zur Befriedung innergesellschaftliche Konflikte zu nutzen.

Die Drohung der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mitgliedschaft für die völkerrechtlichen Verträge des Internationalen Strafgerichtshof zu beantragen, kann eine entscheidende Rolle spielen. Denn es ist das stärkste Druckmittel, das Mahmoud Abbas besitzt, das von der Mehrheit der internationalen Gemeinschaft geduldet werden würde, um seine Rolle in umfassenden Verhandlungen wieder zu stärken. Zumal von Urteilen des Internationalen Gerichtshofs auch Teile der Führungselite der eigenen Gesellschaft betroffen wären. Für die israelische Regierung bleibt es hingegen offen, ob sie machtpolitisch dazu gezwungen ist, eine dauerhafte Lösung anzustreben.

Neue Herausforderungen

Die Vorschläge und viele Lösungen, um die zentralen Konfliktpunkte wie Grenzen, die Flüchtlingsfrage, Sicherheit und den Zugang zu Ressourcen zu klären, liegen lange auf dem Tisch, wurden bis ins Detail diskutiert und warten darauf, in die Tat umgesetzt zu werden. Politikerinnen und Politiker beider Seiten sind sich im Klaren, dass es bittere Pillen für die eigene Seite zu schlucken gibt und sind kaum bereit, Zugeständnisse zu machen. Für die Palästinenser wird das identitätsstiftende "Right of return" der Flüchtlinge in einer wenig befriedigenden Weise gelöst werden und für die Israelis wird der Umgang mit der Siedlungsbewegung ein großes Problem sein.

Das Scheitern Oslos war ein Scheitern der Politik. Die Hoffnung und die Bereitschaft der Bevölkerung auf beiden Seiten, eine Lösung für den Konflikt mitzutragen, hatte aber gleichzeitig ihren Höhepunkt. Heute hat die Politik erneut Chancen, diesmal aber fehlt die gesellschaftliche Basis für Verständigung und Versöhnung. Deswegen braucht es jetzt politische Führungspersönlichkeiten, die neue Wege präsentieren können, wie es möglich sein kann, die Lösungen dieser Streitpunkte nicht als bloßen Verlust, sondern als Gewinn eines besseren Gesamtzustands zu betrachten. Gleichzeitig ist es notwendig, gesellschaftspolitisch zu arbeiten, um es der Bevölkerung zu ermöglichen, den Mehrwert einer Beendigung der Besatzung anzuerkennen. Nicht zuletzt, weil seit Oslo die physische Trennung von Israelis und PalästinenserInnen, das Fehlen von gemeinsamen Alltagserlebnissen und daraus resultierend mangelndes gegenseitiges empathisches Vermögen, in der Geschichte des Konflikts noch nie so groß waren.

Rolle der Internationalen Gemeinschaft

Ein friedlicher Weg kann nur möglich sein, wenn es für die friedlichen, politischen Bemühungen der anderen Seite zumindest Verständnis und bestenfalls sogar Anerkennung gibt. Er erfordert die Bereitschaft, Zugeständnisse in Verhandlungen zu machen und die eigene Gesellschaft auf diese Zugeständnisse vorzubereiten und ihren Nutzen für eine Verbesserung der Gesamtsituation zu illustrieren. Er benötigt eine Haltung, die Erfolge für die Gegenseite ermöglicht, um den friedenspolitischen Kurs zu stärken. An dieser Stelle ist auch die internationale Gemeinschaft gefragt, die auf vielen Kanälen mit beiden Gesellschaften in Kontakt steht. Es muss ihr gelingen, neue, alternative Initiativen zu fördern und sie konsequent zu unterstützen. Sie muss darauf drängen, dass Fortschritte nur durch konkrete Veränderungen des Status quo möglich sind und dass ein Frieden nur erreichbar ist, wenn die friedensorientierten Kräfte greifbare Erfolge vorzuweisen haben.

Hier können internationale Organisationen wie die politischen Stiftungen oder das Willy-Brandt Zentrum in Jerusalem hilfreich sein, indem sie Freiräume schaffen, in denen neue politische Herangehensweisen und Alternativen zur jetzigen Politik gefunden und erprobt werden können. Sie ermöglichen es, dass vermeintliche Feinde gemeinsame Botschaften, sei es über die Kanäle Politik, Bildung oder Kunst und Kultur, in ihre Gesellschaften hineintragen können und fassbare Alternativen Realität werden.


Christopher Paesen ist Projektkoordinator am Willy Brandt Center Jerusalem.

Rinske Reising ist Projektkoordinatorin am Willy Brandt Center Jerusalem.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 4/2014, Heft 203, Seite 4-6
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2014