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NAHOST/1044: Judaisierung Ostjerusalems bedeutet Wohnungsnot für Palästinenser (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2014

Nahost: Judaisierung Ostjerusalems bedeutet Wohnungsnot für Palästinenser

von Mel Frykberg


Bild: © Mel Frykberg/IPS

Haus israelischer Siedler in Sheikh Jarrah, einem vorwiegend palästinensischen Viertel in Ostjerusalem, nach der Vertreibung mehrerer Palästinenserfamilien
Bild: © Mel Frykberg/IPS

Ramallah, Westjordanland, 14. Oktober (IPS) - Die gezielte Judaisierung von Ostjerusalem durch Israel hat zur Vertreibung von tausenden Palästinensern geführt und eine chronische Wohnungsnot in dem besetzten Teil der Stadt verursacht.

Gleichzeitig werden israelische Siedler von der Jerusalemer Stadtverwaltung dazu ermuntert, sich in den immer neuen israelischen Siedlungen niederzulassen, die in den Ostjerusalemer Vierteln wie Pilze aus dem Boden schießen.

Die Behörden wenden eine Reihe verschiedener Strategien an, um zu gewährleisten, dass Ostjerusalem für immer unter israelischer Kontrolle bleibt. Gleichzeitig sollen Palästinenser daran gehindert werden, Ostjerusalem zu der Hauptstadt eines künftigen Palästinenserstaates zu machen.

"Seit 1967 ist die israelische Regierung bestrebt, in der Stadt eine jüdische Mehrheit von 72 Prozent gegenüber den Palästinensern zu erreichen", meint Jeff Halper vom Israelischen Ausschuss gegen Häuserzerstörungen (ICAHD). "Mit diesem Ziel vor Augen verbietet sie Palästinensern den Bau neuer Häuser und schafft dadurch ein Unterangebot von 25.000 Wohneinheiten im palästinensischen Sektor der Stadt. Gleichzeitig ist Palästinensern der Zugang zu den meisten jüdischen Vierteln versperrt."


Künstlich erzeugter Wohnungsmangel

"Dieser künstlich herbeigeführte Notstand treibt die Mieten und Kaufpreise in die Höhe. Da 70 Prozent der Palästinenser unterhalb der Armutsgrenze leben, sind sie gezwungen, sich außerhalb von Jerusalem anzusiedeln. Doch daraus ergibt sich die rechtliche Grundlage für den Verlust ihres Wohnrechts in Jerusalem", erläutert Halper. "Solche Machenschaften stecken hinter der angeblich gerechtfertigten Zerstörung 'illegaler' Häuser und sind Teil einer breiter angelegten Politik der ethnischen Säuberung."

Das Internationale Zentrum für Frieden und Zusammenarbeit (IPCC), eine auf Städteplanung und Gemeindeentwicklung spezialisierte palästinensische Nichtregierungsorganisation, hat in einem Bericht über die Ostjerusalemer Wohnungssituation 2013 einige der Hürden beschrieben, mit denen Palästinenser vom Bau oder der Erweiterung von Wohnungen abgehalten werden sollen.

"Es ist unmöglich, für die Mehrheit der Grundstücke in Ostjerusalem von Seiten der Planungsbehörden eine rechtlich verbindliche Genehmigung zu erhalten. Das Genehmigungssystem hält an rigiden Bestimmungen fest, die sich aufgrund von Planungs- und Infrastrukturschwächen gar nicht erfüllen lassen", heißt es in dem Überblick.

Das IPCC nennt als Beispiele "unzureichend umrissene und zu wenig detaillierte Masterpläne, eine fragwürdigte Einteilung der Stadtgebiete als grüne oder nicht dicht besiedelte Zonen und eine schlechte physikalische Infrastruktur, was Straßen, Kanalisation und Wassersysteme angeht".

Auch sind 92 Prozent der Grundstücke in Ostjerusalem gar nicht registriert. Das macht es nahezu unmöglich, Baugenehmigungen zu erhalten.

Dem IPCC-Bericht nach wird die Entwicklung darüber hinaus durch institutionelle Schwierigkeiten unterbunden. Der Zugang zu angemessenen Wohnbaukrediten fehlt fast völlig, auch an Kapazitäten oder an der Bereitschaft des Privatsektors, große Wohnungsprojekte voranzubringen. Ferner sind der Mangel an entwicklungsfähigen Grundstücken für den Verkauf und die hohen Immobilienpreise weitere Hindernisse.

Die Folge ist, dass Palästinenser häufig ohne Baugenehmigung bauen. Das trifft auf mehr als 70 Prozent der zwischen 2001 und 2010 durchgeführten Neubauten zu. Der Anteil der informellen an den Gesamtwohneinheiten beläuft sich auf 42 bis 54 Prozent. Auf jedes Zimmer kommen statistisch gesehen 1,9 Personen. Das bedeutet, dass die Dichte in den Wohnhäusern der Palästinenser um 90 Prozent höher ist als die in denen Westjerusalems.

Während die israelischen Behörden Strategien für die Judaisierung von Ostjerusalem entwickelt haben, bedienen sich israelische Siedler eigener Methoden, um den palästinensischen Teil der Stadt allmählich zu übernehmen.


Langer Kampf um alte Besitztümer

Muhammad Sabbagh lebt mit anderen Aktivisten in Sheikh Jarrah in Ostjerusalem. Er ist in einen langen und fortgesetzten Kampf gegen die Besitzansprüche israelischer Siedler und die Vertreibung von Palästinensern aus ihren Häusern verstrickt. Seine große Familie ist Teil einer Gruppe von 28 palästinensischen Flüchtlingsfamilien, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Häusern israelischer Siedler leben.

Diesen palästinensischen Familien war von UNRWA, dem Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen, und der jordanischen Regierung 1956, als das Westjordanland noch unter jordanischer Herrschaft stand, Land zugeteilt worden. Die jordanische Regierung erklärte damals, dass die Häuser nach drei Jahren in den Besitz der Palästinenser übergeben würden.

Doch nach der israelischen Besatzung des Gebietes 1967 erklärten israelische Siedler, im Besitz von Papieren zu sein, die bestätigen würden, dass ihnen die Häuser bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts - noch während des Ottomanischen Reiches - gehörten. Der Fall wurde immer wieder gerichtlich verhandelt, bis ein Abkommen erzielt wurde, dass den Palästinensern ein Wohnrecht für die nächsten 90 Jahre zusicherte, sofern sie zur Zahlung von Mieten bereit seien.

Als sich einige Familien angesichts der ungeregelten Situation weigerten, die Mieten zu zahlen, wurden sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktionen von schwerbewaffneten Soldaten und Polizei aus den Häusern vertrieben. In darauffolgenden Gerichtsverfahren und mit Hilfe türkischer Originaldokumente konnte nachgewiesen werden, dass die Gebäude nicht, wie von den israelischen Siedlern behauptet, im Besitz der jüdischen Gemeinde und die Dokumente gefälscht worden waren.

Israelische Gerichte haben auf der Grundlage der Fälschungen die weiteren Vertreibungen unterbunden. Doch Sabbagh zufolge fordern die palästinensischen Familien die Rückgabe ihres Eigentums. Diejenigen, die bereits vertrieben wurden, wollen zurückkehren. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/10/judaisation-means-housing-crisis-for-palestinians-in-east-jerusalem/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2014