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NAHOST/1051: Palästinensische Graswurzelaktivisten boykottieren Waren aus Israel (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. März 2015

Nahost: Palästinensische Graswurzelaktivisten boykottieren Waren aus Israel

von Mel Frykberg



Bild: © Mel Frykberg/IPS

Unbewaffnete Palästinenser auf Tuchfühlung mit israelischen Soldaten nördlich von Ramallah
Bild: © Mel Frykberg/IPS

Ramallah, Westjordanland, 19. März (IPS) - Kaum hat der Laster mit israelischen Milchprodukten das Zentrum der Stadt Ramallah im Westjordanland erreicht, wird er von einer Gruppe Palästinenser umringt, die umgehend Milch und Joghurt im Wert von rund 20.000 US-Dollar vernichten.

Der LKW-Fahrer - ein Palästinenser aus dem nahegelegenen Flüchtlingslager Qalandia - sieht der Zerstörung hilflos zu, sein israelischer Begleiter erleidet einen Schwächeanfall. Die Waren, die bereits von palästinensischen Geschäftsinhabern bezahlt wurden, liegen platt getrampelt auf der Straße. In der Nähe regeln palästinensische Polizisten den Verkehr.

Mitglieder der Fatah-Bewegung, die der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) nahesteht, torpedieren im gesamten Westjordanland die Auslieferung israelischer Waren. Damit protestieren sie gegen das Einfrieren von Millionen Dollar palästinensischer Steuergelder durch Israel in Reaktion auf die Bemühungen der PA, den israelischen Staat wegen Kriegsverbrechen im Gazastreifen und Übergriffen im Westjordanland vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen.

Kampagnenleiter Abdullah Kamal zufolge "ist die zweite Phase erreicht". Vor mehreren Wochen hatten er und andere Aktivisten bereits Ladenbesitzer in Ramallah aufgefordert, israelische Produkte aus ihren Regalen zu entfernen und keine weiteren einzukaufen. Ähnliche Aktionen sind in weiteren Städten des Westjordanlandes geplant.


Friedliche Proteste

Auch wenn die Palästinensergebiete keine bedeutenden Absatzmärkte für israelische Produkte sind, wollen mehrere Graswurzel-Initiativen durch die Boykotte ihren Widerstand gegen die israelische Besatzung der palästinensischen Territorien zum Ausdruck bringen. "Der lokale Boykott der Palästinenser ist ein friedliches Mittel, um einen gewissen, wenngleich schwachen Druck auf Israel auszuüben", sagt der Politologe Samir Awad, Professor an der Birzeit-Universität nahe Ramallah. "Die Besatzung nicht zu finanzieren, ist das Mindeste, was die Palästinenser tun können."

Eine weitaus kritischere Entwicklung ist aus Sicht Israels das kürzlich abgegebene Votum des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, die Zusammenarbeit mit den israelischen Geheimdiensten einzustellen. Seit langem werfen die Palästinenser der Autonomiebehörde vor, Erfüllungsgehilfe Israels zu sein, das durch diese Kooperation einen weiteren Palästinenseraufstand verhindern will.

Die letztliche Entscheidung über die Aufkündigung der Sicherheitszusammenarbeit liegt in der Hand von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. "Die Lage wird immer ernster. Möglicherweise wird Abbas diese Entscheidung noch vor Ablauf des Monats treffen", meint Fatah-Mitglied Murad Shitawi. "Wir werden die fortdauernde Besetzung mit ihren wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Folgen nicht akzeptieren."

Shitawi, der erst vor kurzem aus israelischer Haft freikam, koordiniert die Proteste in dem Dorf Kafr Qaddoum im Westjordanland. Jeden Freitag beteiligen sich Dutzende Dörfer im Westjordanland und im Gazastreifen an Aktionen gegen die von Israel vorangetriebene Landenteignung und Besatzung, trotz der hohen Zahl der Palästinenser, die dabei verletzt oder getötet werden. Wie Shitawi hervorhob, beteiligen sich inzwischen weit mehr Ortschaften als noch vor vier oder fünf Jahren.


Campen in verbotenem Areal C

Als weiteres Zeichen des zivilen Ungehorsams haben Palästinenser wiederholt Zelte und Dörfer in Areal C des Westjordanlands errichtet, das 60 Prozent des Territoriums umfasst. Damit protestieren sie gegen die Vertreibung von Beduinen und anderen Palästinensern, deren Heimat dieses Gebiet jahrhundertalang war. Israel hat das Areal C für alle Palästinenser gesperrt und gewährt nur jüdischen Siedlern dort ein Bleiberecht. Gemäß dem Völkerrecht ist dieses Vorgehen jedoch illegal.

Eines der Protestcamps nahe dem Dorf Abu Dis bei Jerusalem ist bereits zehn Mal wiederaufgebaut worden, nachdem die israelischen Sicherheitskräfte es dem Erdboden gleichmacht, Ausrüstung beschlagnahmt und Aktivisten angegriffen und festgenommen hatten. Palästinensische Aktivisten arbeiten auch mit internationalen Unterstützern und mit israelischen Friedensgruppen zusammen, um den Druck auf Israel zu verstärken.

Die internationale Warenboykottkampagne nimmt unterdessen weiter an Fahrt auf. Eine zunehmende Zahl weltweit tätiger Unternehmen, Kirchen, Studentengruppen und Künstler weigern sich, Israel zu besuchen oder mit israelischen Firmen, die die Besetzung des Westjordanlandes unterstützen, Geschäfte zu machen. Andere boykottieren israelische Institutionen im Ausland. Im März fand in mehreren Hauptstädten die 'Woche der israelischen Apartheid' statt, bei der ein weiteres Schlaglicht auf die Diskriminierung von Palästinensern geworfen wurde.


Israelische Friedensaktivisten helfen Palästinensern

Mitglieder israelischer Friedensgruppen wie 'Ta'ayush', 'Breaking the Silence', 'Ir Amim' oder 'Rabbis for Human Rights' versuchen die Öffentlichkeit für die Zwangslage der Palästinenser zu sensibilisieren. Einige von ihnen begleiten palästinensische Bauern, die trotz der Repressalien durch jüdische Siedler versuchen, ihr Land zu bestellen.

"Die Graswurzel-Aktionen gegen Israel werden nicht so bald aufhören", erklärt Awad. "Die palästinensische Autonomiebehörde wird ihre Pläne vorantreiben, Israel vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Sollte Israel das Geld palästinensischer Steuerzahler weiterhin auf unbestimmte Zeit zurückhalten, droht die Autonomiebehörde allerdings zusammenzubrechen. Das Ergebnis wäre Chaos." (Ende/IPS/ck/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/03/palestinian-grassroots-resistance-to-occupation-growing/

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IPS-Tagesdienst vom 19. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2015

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