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NAHOST/1052: Ehemalige israelische Soldaten brechen das Schweigen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. März 2015

Nahost: Auf das Leid der anderen aufmerksam machen - Ehemalige israelische Soldaten brechen das Schweigen

von Mel Frykberg



Bild: © Mel Frykberg

Mit 'Breaking The Silence' in Hebron unterwegs
Bild: © Mel Frykberg

Hebron, Westjordanland, 23. März (IPS/IDN*) - Hebron im Süden des Westjordanlandes ist Juden, Christen und Muslimen gleichermaßen heilig. In der Stadt Abrahams leben heute mehr als 250.000 Palästinenser und 1.000 israelische Siedler, die in einer extrem feindlichen Atmosphäre von Hunderten israelischer Soldaten bewacht werden.

Der jahrzehntelange Hass zwischen beiden Gemeinschaften gipfelt immer wieder in Gewalt. 1994 mähte der israelische Siedler Baruch Goldstein 20 Palästinenser, die sich zum Gebet in der Ibrahimi-Moschee eingefunden hatten, mit einem Maschinengewehr nieder. Umgekehrt werden immer wieder israelische Siedler von Palästinensern ermordet oder verletzt.

Aufgrund der israelischen Besatzung sahen sich Palästinenser zu Hunderten gezwungen, ihre Häuser und Geschäfte am alten Marktplatz und in der Shuhada-Straße aufzugeben. Diese Teile Hebrons sind für die Palästinenser gesperrt.

Auch die israelischen Sicherheitskräfte spielen oftmals eine unrühmliche Geschichte in der Stadt. Vor diesem Hintergrund ist die Zusammenarbeit einer palästinensischen und einer israelischen Organisation zu sehen, die Israelis und Ausländer für das schwierige Zusammenleben unter israelischer Besatzung sensibilisieren wollen.

'Breaking the Silence' (BTS) heißt die israelische Gruppe, die aus ehemaligen israelischen Soldaten besteht, die ihren aktiven Armeedienst zur Zeit des Palästinenseraufstands von 2000, dem Beginn der Zweiten Intifada, antreten mussten. Diese Veteranen führen Besucher und Touristen durch Hebron und schildern sämtliche Probleme, die den Palästinensern aus der Besatzung entwachsen.


Der andere Blickwinkel

"Uns geht es darum, eine öffentliche Debatte über den Preis loszutreten, den wir für eine Realität zahlen müssen, in der sich junge Soldaten täglich mit einer Zivilbevölkerung konfrontiert sehen, die sie kontrollieren sollen", erläutert der BTS-Pressesprecher Achiya Schatz. "Wir erklären den Gruppen, dass nicht die Israelis, sondern die Palästinenser die Opfer der Besatzung sind."

Viele der israelischen Soldaten kennen die Übergriffe gegen Palästinenser aus eigener Erfahrung. "Einmal demolierten wir das Haus eines Palästinensers, weil wir ihn für einen Terroristen hielten. Er und seine Frau wurden auf die Straße gezerrt", berichtet Schatz. "Später fanden wir heraus, dass wir den Falschen erwischt hatten. Der richtige lebte zwei Häuser weiter entfernt."

Schatz kann sich zudem noch sehr gut an zwei Kommandeure erinnern, die enttäuscht waren, dass es ihnen nicht gelungen sei, einen 'Terroristen' zu töten. Die BTS-Veteranen haben viel Schlimmes gesehen, das den Palästinenser in Hebron und im Rest des Westjordanlandes angetan wurde.

Die BTS verstehen ihre Arbeit auch als einen Brückenschlag zu den Palästinensern und insbesondere palästinensischen Aktivisten. "Der Austausch zwischen Israelis und Palästinensern ist wichtig, wenn wir stereotype Denkweisen überwinden wollen", sagt Schatz. Wie er weiter erklärt, kommt es vor, dass im Rahmen gemeinsamer Aktivitäten Palästinenser und Israelis erstmals miteinander in Kontakt treten.

Konkret arbeitet BTS mit der palästinensischen Aktivistengruppe 'Youth Against the Settlements' (YAS) zusammen, die das Ziel verfolgt, mit friedlichen Mitteln etwa des zivilen Ungehorsams ein Ende der israelischen Besatzung herbeizuführen.

"Unsere beiden Gruppen arbeiten eng zusammen", versichert der YAS-Sprecher Issa Amro. Wir organisieren begleitete Touren und gemeinsame Proteste. Darüber hinaus machen wir auf die Menschenrechtsverletzungen aufmerksam und zeigen Israelis, wie unser Leben aussieht."

Schatz zufolge sind viele Palästinenser und Israelis im Verlauf der Zusammenarbeit Freunde geworden. "Und dass es Israelis gibt, die sich verantwortlich fühlen, macht uns Palästinensern Mut", fügt Amro hinzu.


Leben in Ostjerusalem

'Ir Amim' ist eine weitere Friedensorganisation, die mit Palästinensern kooperiert. Die Vereinigung hat zusammen mit einer palästinensischen Organisation das sogenannte 'Jerusalemer Strategieforum' aufgebaut, das israelische Abgeordnete und die Jerusalemer Stadtverwaltung über Aktivitäten informiert, die Jerusalem destabilisieren könnten, gegen das Gleichberechtigungsprinzip verstoßen und künftige Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern verhindern.

Ir Amim setzt sich zudem für die Würde und das Wohlergehen aller Bewohner Jerusalems und für die Sicherheit der heiligen Stätten sowie des historischen und kulturellen Erbes ein.

Die Öffentlichkeitsarbeit der Gruppe richtet sich in erster Linie an Israelis. Der Gruppe geht es in erster Linie darum, Einfluss auf die öffentliche Debatte in der Jerusalemfrage zu nehmen. Sie ermutigt die Öffentlichkeit, politische Entscheidungen und ihre Folgen für Israel zu analysieren und organisiert geführte Touren, Medienarbeit, Briefings, Treffen und setzt Bildungsprogramme um.

Die schwedische Touristin Amie Karlsson hat an einer solchen Tour durch Ostjerusalem teilgenommen. "Mir war gar nicht bewusst, wie benachteiligt Ostjerusalem im Vergleich zu Westjerusalem ist", sagte sie. "Von Ir Amim haben wir erfahren, dass Ostjerusalem nur einen Bruchteil dessen erhält, was Westjerusalem zur Verfügung steht. Das konnten wir auch an dem vielen Müll, den wenigen Ampeln und Straßenschildern im östlichen Teil der Stadt sehen. Innerhalb der jüdischen Viertel sah alles sehr gepflegt aus."


Bild: © Mel Frykberg

Ausländer und Israelis mit 'Ir Amim' in Ostjerusalem
Bild: © Mel Frykberg

Trotz der vielen positiven Erfahrungen, die sich aus dem Miteinander für Israelis und Palästinenser ergeben, müssen Schatz und andere Aktivisten für ihren Einsatz einen hohen persönlichen Preis bezahlen. Schließlich sind sie für viele Israelis Verräter oder Nestbeschmutzer. Schatz beispielsweise hat zahlreiche Morddrohungen erhalten. Wie er betont, liebt er Israel, hasst jedoch die Besatzung, weil sie falsch sei. "Den Preis für meine Überzeugung", sagt er, "bin ich aber bereit zu zahlen". (Ende/IPS/kb/2015)

* IDN-InDepthNews ist Kooperationspartner von IPS Deutschland


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www.indepthnews.info/index.php/global-issues/2331-soldiers-of-conscience-breaking-the-silence

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IPS-Tagesdienst vom 23. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2015

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