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NAHOST/458: Gaza - Tausende Häuser durch Israels Angriffe zerstört und beschädigt (Al Mezan)


Al Mezan Center for Human Rights / Al Mezan-Zentrum für Menschenrechte

Pressemitteilung vom 11. Januar 2009

Tausende Häuser in Gaza durch israelische Angriffe zerstört und beschädigt


13 Uhr Gaza-Zeit (12 Uhr MEZ)

Die israelische Besatzungsarmee (IOF) setzt ihre Militäroffensive im Gazastreifen bereits den 16. Tag fort. Ermutigt durch das Versagen der internationalen Gemeinschaft, für die Prinzipien und Regeln einzustehen, die sie selbst aufgestellt hat, verletzt die IOF weiterhin die Regelungen, die für den Fall von Konflikten und kriegerischer Besetzung im internationalen Recht vorgesehen sind. Im besonderen gibt es zahlreiche Hinweise darauf, daß schwerwiegende Verletzungen der Vierten Genfer Konvention vorliegen, die sich auf den Schutz von Zivilisten in Zeiten des Krieges bezieht. Viele der IOF-Aktionen unterliegen offensichtlich dem Zufall. Mit hochentwickelter Spähtechnologie und ausgeklügelten Waffen ausgestattet, obliegt der IOF die Verantwortung für die Unterscheidung zwischen zivilen und nicht-zivilen Zielen. Die Tatsachen am Boden deuten auf das Gegenteil hin; Lenkflugkörper und Bomben wurden absichtlich auf zivile Ziele wie Wohnhäuser, zivile Schutzräume und Ambulanzen gefeuert.

Heute nach Mitternacht weitete die IOF ihre Bodeninvasion im Süden von Gaza-Stadt aus. Truppen und Panzer drangen in den südlichen Ortsteil Tel al-Hawa ein und blieben stundenlang dort, bis sie sich in die Vororte der Stadt al-Zahra im Süden von Gaza-Stadt zurückzogen. Die IOF hatte Tausende von Flugblättern abgeworfen und die Anwohner von Tel al-Hawa aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Tausende Familien gingen fort; insbesondere deshalb, weil ihre Nachbarschaft während der vergangenen 16 Tage wieder und wieder Ziel von Luftangriffen war.

Flugzeuge, Panzer, Artilleriebataillone und Kriegsschiffe sind bei den Angriffen auf zivile Ziele, öffentliche Infrastruktur und Grenzbereiche zum Einsatz gekommen. Sorgfältiger Beobachtung durch Al Mezan zufolge, hat die IOF seit dem Beginn ihrer Operation "Gegossenes Blei" am 27. Dezember 2009 mindestens 842 Palästinenser im Gazastreifen getötet. Diese Zahl beinhaltet mindestens 175 Kinder und 58 Frauen. Sie umfaßt allein jene, die Al Mezan verifiziert und gegengeprüft hat. Das Zentrum schätzt, daß zwischen 200 und 230 Kinder getötet wurden. Viele von ihnen liegen noch unter dem Schutt von Häusern, die sich in denjenigen Gebieten befinden, die die IOF noch besetzt hält. Außerdem ist eine zweistellige Zahl derjenigen Kinder, die am ersten Angriffstag getötet wurden, noch nicht verifiziert; aus diesem Grund zieht es das Zentrum vor zu warten, bis die Zahlen zuverlässig belegt sind. Bei sechs Menschen, die von der IOF getötet wurden, handelt es sich um die Besatzung von Rettungswagen, die tödlich getroffen wurden, als sie versuchten, die Opfer von IOF-Angriffen zu erreichen. Die Zahl beinhaltet auch drei Journalisten und Dutzende ältere Menschen. Al Mezan schätzt, daß mindestens 85 Prozent der Opfer zivile Nicht-Kombattanten sind.

Darüber hinaus wurden im gleichen Zeitraum mindestens 2.960 Menschen verletzt oder verstümmelt. Diese Zahl schließt mindestens 600 Kinder und 385 Frauen mit ein.

Während ihrer Operationen nahm die IOF 142 Häuser mit Lenkraketen und Bomben direkt unter Beschuß. Die Anzahl der Häuser, die bei diesen Angriffen völlig zerstört wurden, beläuft sich jedoch auf mindestens 470. Weitere 3.000 bis 4.000 Häuser wurden stark beschädigt. Die IOF zerstörte zudem 38 Moscheen, von denen 13 gezielt und mutwillig beschossen wurden. 39 Schulen wurden beschädigt, von denen fünf (und eine Universität) direkt unter Feuer genommen wurden. IOF-Angriffe zerstörten darüber hinaus 42 zivile Institutionen, einschließlich der Büros von Gemeindeorganisationen, halbamtliche Regierungseinrichtungen sowie 107 private Werkstätten, kleine Industrieanlagen und Geschäftshäuser. Die IOF zerstörte zudem 90 Einrichtungen der Polizei und der Sicherheitsbehörden sowie 25 Stätten, die von bewaffneten Gruppen für militärische Zwecke genutzt wurden.

Die obengenannten Zahlen beinhalten keine Angriffe auf offenes Gelände und Felder und auch nicht die Dutzende von Toten, die in Gegenden unter dem Schutt liegen, in der die IOF operiert - besonders in den östlichen Bezirken von Gaza-Stadt, Ost-Beit Lahia und Jabalia sowie in den östlichen Randgebieten von Khan Younis, Rafah und im zentralen Distrikt von Gaza.

Die UNRWA hat heute berichtet, daß es weit über 20.000 Zivilisten in seine 32 über den Gazastreifen verteilten Schutzräume aufgenommen hat. Al Mezan ist jedoch der Ansicht, daß diese Zahl lediglich 10 Prozent aller Menschen ausmacht, die gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben wurden. Die Bewohner der oben erwähnten zerstörten und beschädigten Häuser sind fortgegangen. Weitere Tausende von Menschen haben ihre Häuser verlassen, nachdem sie die IOF-Drohung erhalten hatten, daß man die Nachbarhäuser bombardieren werde. Die breite Mehrheit der vertriebenen Zivilisten hat Zuflucht in den Häusern ihrer Verwandten und Freunde gefunden, was die Probleme, vor die sich die Zivilisten angesichts der schweren humanitären Krise, dem Mangel an Nahrung, Strom, Gas zum Kochen und an Wasser gestellt sehen, noch weiter verschärft.

Das Al Mezan-Zentrum erklärt, daß zahllose, durch die IOF begangene Akte skandalöse Kriegsverbrechen darstellen. Die schlimmsten sind die wahllosen Angriffe auf Häuser voller Bewohner, das Töten von Rettungsteams, die ihnen zu Hilfe eilen, und das Sterbenlassen blutender oder hungernder Menschen nur wenige Meter von den IOF- Truppen entfernt. Zusätzlich haben die Einschränkungen der Nahrungsmitteltransporte durch die IOF sowie das Bombardement von Stromleitungen dazu geführt, daß Zivilisten unter den entsetzlichsten Bedingungen leben müssen.

Das Al Mezan-Zentrum erneuert deshalb seine strikte Verurteilung der IOF-Aggression im Gazastreifen und der eklatanten Mißachtung des geltenden internationalen Rechts. Dieses Verhalten hat bis zu diesem Zeitpunkt Hunderte Zivilisten das Leben gekostet und das Leid von Hunderttausenden verursacht.

Al Mezan erneuert zudem sein Bedauern über das Versagen der internationalen Gemeinschaft dabei, eine solche Verletzung internationalen Rechts zu verhindern. Während Zivilisten ermordet wurden, hat sich der UN-Sicherheitsrat sehr lange damit aufgehalten, politische Fragen zu debattieren, obwohl er längst hätte in Aktion treten sollen, um den Tod von Kindern und unschuldigen Zivilisten zu verhindern und humanitäre Hilfe in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht sicherzustellen.

Aus diesem Grund ruft das Al Mezan-Zentrum den UN-Generalsekretär mit äußerster Dringlichkeit dazu auf, sich auf den Schutz von Zivilisten zu konzentrieren, die die Hauptopfer der Verstöße Israels gegen internationales Recht sind. Politische Debatten können warten, das Leben von Zivilisten hingegen kann man nicht ersetzen. Die Vereinten Nationen sind aufgerufen, die Einhaltung internationalen Rechts und den Schutz der Zivilbevölkerung, einschließlich der eigenen Mitarbeiter, zu sichern. Jede weitere Stunde der Aggression gegen Gaza, wie wir sie in den letzten 16 Tagen erlebt haben, bedeutet den Verlust von mehr zivilen Menschenleben, Zerstörung von Eigentum und Verlängerung des Leidens hunderttausender Menschen, die beschützt und nicht vernachlässigt werden sollten.

Das Al Mezan-Zentrum ruft auch die Hohen Vertragsparteien der Vierten Genfer Konvention von 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten dazu auf, ihrer gesetzlichen und moralischen Verantwortung gerecht zu werden und ihren eigenen Verpflichtungen unter Artikel 1 nachzukommen, indem sie selbst das Abkommen einhalten und seine Einhaltung durchsetzen.

Das Zentrum rät zu weltweiten Aktionen gegen diese Verletzung internationalen Rechts und ruft Zivilgesellschaften in aller Welt dazu auf, mehr Druck auf ihre Regierungen auszuüben, in Übereinstimmung mit den geltenden Menschenrechten und humanitären Verpflichtungen zu handeln, die das internationale Recht vorschreibt.


Anmerkungen der Redaktion Schattenblick:

Das Al Mezan-Zentrum für Menschenrechte ist eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz im palästinensischen Flüchtlingslager Jabalia im Gaza-Streifen.


Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick

Englischer Originaltext:
http://www.mezan.org/site_en/press_room/press_detail.php?id=948


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Quelle:
Pressemitteilung vom 11.01.2009
Al Mezan Center for Human Rights /
Al Mezan-Zentrum für Menschenrechte
Palästina - Gazastreifen
Büro Jabalia: Telefon: ++972-(0)8-2453555, Fax: ++972-(0)8-2453554
Büro Gaza: Telefax: ++972-(0)8-2820447
Büro Rafah: Telefax: ++972-(0)8-2137120
Internet: http://www.mezan.org/site_en/index.php


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2009