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NAHOST/480: Berufung eines Obersts verärgert die juristische Fakultät (Jonathan Cook)


Berufung eines Obersts verärgert die juristische Fakultät

Von Jonathan Cook, Auslandskorrespondent - 8. Februar 2009


JERUSALEM // Die israelische Regierung hat unverzüglich reagiert, um Proteste gegen die Berufung der obersten Armeeberaterin für internationales Recht auf einen Lehrposten an der Universität von Tel Aviv zu unterdrücken. Oberst Pnina Sharvit-Baruch soll während der jüngsten Gaza-Offensive für die juristische Deckung von Kriegsverbrechen gesorgt haben.

Auf Regierungsseite fürchtet man, daß die neuen Medienenthüllungen zur Rolle von Oberst Sharvit-Baruch während der Gaza-Operation Menschenrechtsgruppen bei dem Versuch unterstützen könnten, israelische Soldaten im Ausland vor Gericht zu bringen.

In diesem Monat hat ein spanischer Richter im Rahmen der in den Gesetzen des Landes verankerten "universellen Zuständigkeit" Ermittlungen wegen israelischer Kriegsverbrechen in Gaza aufgenommen, und einem Vertreter der Anklage am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag liegt die Eingabe einer palästinensischen Gruppe zur Entscheidung vor, israelische Kommandanten strafrechtlich zu verfolgen.

Aktivisten zufolge verschafft unterdessen der entstandene Aufruhr - indem er ein Schlaglicht auf die engen Verbindungen zwischen der Armee und israelischen Universitäten wirft -, einer wachsenden Bewegung in Europa und in den USA für einen akademischen Boykott gegen Israel, zusätzliches Gewicht.

Die Entscheidung der Universität Tel Aviv, Oberst Sharvit-Baruch auf einen Lehrposten für internationales Recht zu berufen, stieß auf unmittelbaren Protest der Mitarbeiter, als die örtlichen Medien Einzelheiten der militärischen Planung für die Gaza-Offensive veröffentlichten.

Über 1.300 Palästinenser wurden während der Operation getötet, in der Hauptsache Zivilisten, und Tausende wurden verwundet.

Die Zeitung Ha'aretz zitiert Kritiker mit der Aussage, Oberst Sharvit-Baruch und ihre Mitarbeiter hätten die Standardinterpretationen für internationales Recht manipuliert, um den Spielraum für Militäroperationen auf zivile Ziele auszuweiten.

Tonangebend bei den Protesten ist Haim Ganz, ein Juraprofessor, der den Umgang des Obersts mit internationalem Recht als "abwegige Rechtskunde, die auf krummen Wegen Massentötungen erlaubt," bezeichnet hat. In einem Brief an die Universität schreibt Professor Ganz, er lege "moralischen Protest gegen einen Zustand" ein, "der erlaubt, daß jemand, der diese Aktionen authorisiert hat, Kriegsrecht lehrt".

In der letzten Woche drohte Ehud Olmert, der Premierminister, Regierungsgelder für die juristische Fakultät zu kürzen, sollte die Berufung von Oberst Sharvit-Baruch nicht erfolgen. Der Präsident der Universität, Zvi Galil, rief den Kabinettssekretär an, um die Regierung zu beschwichtigen und mitzuteilen, daß die meisten Mitarbeiter die Ansichten von Professor Ganz nicht teilten.

Andere Akademiker haben sich auf die Seite von Oberst Sharvit-Baruch geschlagen und beschuldigen ihre Kritiker, eine an McCarthy erinnernde Hetzkampagne gegen sie zu veranstalten.

Den israelischen Medien zufolge genehmigte sie persönlich die erste Welle von Luftangriffen auf Gaza, die eine Abschlußfeier von Polizeischülern zum Ziel hatte und mindestens 40 von ihnen tötete.

Ungeachtet der Tatsache, daß Polizeikräfte laut internationalem Recht Zivilstatus besitzen und aus diesem Grund vor militärischen Vergeltungsmaßnahmen geschützt sind, hat Oberst Sharvit-Baruch Berichten zufolge während der vielen Monate der Planung ihre Meinung über die Rechtmäßigkeit der Attacken geändert.

Darüber hinaus soll sie die Vorschriften für Kampfhandlungen "gelockert", eine weiträumige Zerstörung von Häusern und die Verwüstung von Anbauflächen genehmigt sowie den Einsatz von Brandwaffen wie weißem Phosphor in der dichtbesiedelten Enklave gebilligt haben.

Sie lieferte auch die juristische Rechtfertigung für die Bombardierung von Gebäuden, in denen sich bekanntermaßen Zivilisten aufhielten, solange sie zuvor gewarnt und aufgefordert wurden, den Ort zu verlassen. Unter den vielen zivilen Gebäuden, die von der israelischen Armee während der 22 Tage dauernden Operation bombardiert wurden, befanden sich Schulen, Moscheen sowie eine Universität.

Internationale Menschenrechtsorganisationen und Experten für internationales Recht in Israel haben ihre Entscheidungen auf breiter Ebene kritisiert.

Professor Yuval Shany, der allgemeines internationales Recht an der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrt, nannte ihre Auslegungen des Kriegsrechts "flexibel". Zum Angriff auf die Polizeischüler meinte er: "Wenn man dieser Linie folgt, dann gibt es nicht mehr viel, das [die Polizeischüler] von [israelischen] Reservisten unterscheidet oder auch von den 16jährigen, die in zwei Jahren [in die israelische Armee] eingezogen werden."

Der Vorgänger von Oberst Sharvit-Baruch, Daniel Reisner, merkte an, daß ihre Mitarbeiter es mit den anerkannten Auslegungen des internationalen Rechts nicht allzu genau genommen haben. Die prinzipielle Arbeitsweise der Armee sei, fügte er hinzu: "Wenn man etwas lange genug macht, wird die Welt es akzeptieren."

Orna Ben-Naftali, die Dekanin des juristischen Fachbereichs am College für Management in Rishon Letzion, kommentierte, daß das Verhalten der Armee in Gaza das internationale Recht "ruiniert" habe. "Es wurde eine Situation geschaffen, in der die Mehrzahl der erwachsenen Männer und die Mehrzahl der Gebäude in Gaza als legale Angriffsziele behandelt werden können. Man hat das Recht auf den Kopf gestellt."

Doch trotz des Protestes an der Universität von Tel Aviv unterstützen die meisten Universitätsangehörigen in Israel die Einstellung von Oberst Sharvit-Baruch, erklärte Daphna Golan, eine Programmleiterin am Minerva-Zentrum für Menschenrechte an der Hebräischen Universität. "Ich glaube, sogar Prof. Ganz wurde durch die Heftigkeit der Reaktion zum Schweigen genötigt."

Das Ereignis, meinte sie, werfe ein deutliches Licht auf die engen Beziehungen zwischen der Armee und den Universitäten in Israel sowie auf die Abhängigkeit der Universitäten von der Finanzierung durch die Armee.

Sie merkte an, daß es viele spezielle Programme gebe, die Angehörige des Militärs und der Sicherheitskräfte begünstigen, indem sie diese auf schnellem Wege zu akademischen Abschlüssen bringen.

"Die meisten Professoren in den Nahost-Fachbereichen des Landes - die 'Experten für Araber', die die Vorstellungen der nächsten Generation formen - werden aus der Armee oder aus den Sicherheitskräften rekrutiert", fügte sie hinzu.

Omar Barghouti, ein Mitkoordinator der "Palästinensischen Kampagne für den Akademischen und Kulturellen Boykott Israels", meinte, die Berufung von Oberst Sharvit-Baruch sei ein weiterer Hinweis auf die "organischen Verbindungen" zwischen israelischen Institutionen und der Armee.

"Dies fügt der bereits sehr langen Liste von Kriegsverbrechern, die sich frei an Israels Universitäten herumtreiben und ungestraft Haß, Rassismus und Kriegstreiberei unterrichten, lediglich einen weiteren Soldaten hinzu", erklärte er und merkte an, daß die Rufe nach einem akademischen Boykott in Reaktion auf die Gaza-Offensive zunehmen.

Die Al-Kuds-Universität mit einem Campus in Ost-Jerusalem und in der Westbank, hat vergangene Woche die Kontakte zu israelischen Universitäten abgebrochen. Sie unterhielt als letzte palästinensische Universität eine solche Verbindung.

Zur gleichen Zeit gab eine Gruppe von US-Professoren bekannt, daß sie sich für einen akademischen Boykott Israels einsetzen - das erste Mal, daß man von einem solchen Aufruf in den USA gehört hat.

Herr Barghouti erklärte, daß eine "bisher nicht dagewesene" Welle der öffentlichen Zustimmung hinter neuen Kampagnen in Ländern wie Australien, Spanien, Schweden, Kanada, Südafrika und Neuseeland stehe.


Anmerkungen der Redaktion Schattenblick:
[1] "Lecturers say IDF officer who justified Gaza strikes should not teach law" - Ha'aretz, 29/01/2009
    http://www.haaretz.com/hasen/spages/1058847.html - Zugriff: 16.02.2009
[2] "Olmert: No funding for bodies that refuse to employ officers" Ha'aretz, 03/02/2009
    http://www.haaretz.com/hasen/spages/1060787.html - Zugriff: 16.02.2009
[3] Minerva-Zentrum für Menschenrechte - The Minerva Center for Human Rights
    law.mscc.huji.ac.il/law1/minerva/english/index.htm
[4] "Academic boycott of Israel spreads to US & Jerusalem universities" - 2 Feb 2009
    International Middle East Media Center (IMEMC) - www.imemc.org/article/58726 - Zugriff: 16.02.2009
[5] Palästinensische Kampagne für den Akademischen und Kulturellen Boykott Israels:
    Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott (PACBI), www.pacbi.org/


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Über den Autor:
Jonathan Cook ist der einzige westliche Journalist, der in Nazareth lebt, der Hauptstadt der palästinensischen Minderheit in Israel. Vor seiner Zeit als freier Journalist war er für den Guardian und den Observer tätig. Seine Artikel, die sich zumeist mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt befassen, sind bislang in den folgenden Zeitungen und Magazinen erschienen: Times, New Statesman, Le Monde diplomatique, International Herald Tribune, Al-Ahram Weekly, The Middle East Report and Washington Report on Middle East Affairs, Przekroj (Warschau), The Irish Times, Electronic Intifada, Counterpunch und Aljazeera.net. Er hat die Bücher "Blood and Religion" (2006) und "Israel and the Clash of Civilisations" (2008) verfaßt.

Sein neuestes Buch "Disappearing Palestine: Israel's Experiments in Human Despair" ist im Oktober 2008 bei Zed Books in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten erschienen. Weitere Informationen zum Buch unter:
http://www.jkcook.net/DisappearingPalestine.htm

Weitere Texte von Jonathan Cook findet man auf seiner Website unter:
http://www.jkcook.net/


Einige übersetzte Fassungen sind zu finden bei Rebelion (Spanisch), Tlaxcala (Französisch, Spanisch, Italienisch, Deutsch), ISM-France (Französisch)

Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick

Englischer Originaltext:
http://www.jkcook.net/Articles2/0371.htm#Top
Die Originalfassung dieses Artikels wurde in der Zeitung "The National", Abu Dhabi, veröffentlicht. http://thenational.ae


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Quelle:
© Jonathan Cook, 8. Februar 2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Internet: www.jkcook.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2009