Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

NAHOST/582: Schlechte Nachbarschaft - die Wassernot im Mittleren Osten wächst (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 14. Dezember 2009

Schlechte Nachbarschaft

Reportage. Die Wassernot im Mittleren Osten wächst.
Die Folgen des Klimawandels verschärfen die politischen Spannungen in der Region

Von Karin Leukefeld


Es ist Freitag in der Altstadt von Damaskus. Am Harika-Platz, unweit des berühmten Suk Al-Hamidiye, herrscht Feiertagsstimmung. Anstelle des hektischen Alltagslärms hört man das Lachen von Jungs, die ihren Ball mit Begeisterung hin- und herkicken. Auf den Bänken sitzen Frauen und Männer, jung und alt, und beobachten das Treiben. Sie sprechen miteinander, schlecken ein Eis, manche blicken gedankenverloren in das Wasserspiel des Brunnens, der in der Mitte des quadratischen Platzes steht. Hinter dem Minarett der Darwisch-Pascha-Moschee geht die Sonne unter, ihre letzten Strahlen tauchen den Platz in ein samtenes Rot.

Wasser war die Quelle des Damaszener Reichtums. Die von Blumen umrankten Brunnen waren ein Vogelparadies. Noch heute sind auf den Gassen und Plätzen die Sebil zu finden, kleine Trinkbrunnen, an denen sich die Bevölkerung jederzeit erfrischen konnte. Die Fluten des Barada-Flusses und von der Figeh-Quelle im nahegelegenen Gebirge Anti-Libanon machten aus Damaskus eine Oase in der syrischen Basaltwüste und gaben der Stadt den Namen »Paradies auf Erden«. Der französische Philosoph Constantin François de Volney schrieb Ende des 18. Jahrhunderts voller Begeisterung über seinen Besuch in Damaskus: »Von den Bergen strömen viele Bäche, die aus dem Gebiet von Damaskus den bestbewässerten und lieblichsten Ort Syriens machen. Die Araber sprechen nur mit Begeisterung von ihm; und sie werden nicht müde, das Grün und die Frische der Obstgärten, die Fülle und Mannigfaltigkeit der Früchte, die Zahl der Quellen wie auch die Klarheit der Springbrunnen und Gewässer zu preisen.«

Diese Zeiten sind vorbei. Syrien erlebt die schlimmste Trockenheit seit 40 Jahren. Das vierte Jahr in Folge hat es kaum geregnet in der Region; Flüsse, Quellen und unterirdische Wasserreservoirs gehen zur Neige. Die Trinkbrunnen in der Stadt bleiben oft trocken, in den Bassins herrschaftlicher Häuser und Moscheen, in denen sich einst Fische und Enten vergnügten, verdunstet eine trübe Brühe. Das Wasser wird rationiert, sagt Basil, der als Koch in einem kleinen Hotel arbeitet. »Aus dem einen Hahn kommt das Figeh-Wasser. Das ist so gut, daß wir es trinken können«, schwärmt er und dreht den Wasserhahn auf, um es zu demonstrieren. Doch der Hahn bleibt trocken. Basil wirft einen Blick auf seine Uhr und zuckt mit den Schultern. »Nichts da, wahrscheinlich kommt es heute abend. Hier aus dem anderen Hahn kommt das Wasser aus dem Tank, zum Trinken ist das aber nichts.«

Früher trat der Barada im Frühjahr regelmäßig über die Ufer und setzte die kleinen Cafés und Geschäfte unter Wasser, erinnert sich Mwafak Khallouf, Direktor von DWSSA, der Wasserbehörde für Damaskus-Stadt und -Land. Vor 30 Jahren sei in seinem Heimatdorf der Schnee bis zu vier Meter hoch gewesen. »Wir mußten uns den Weg freischaufeln, um in die Schule zu kommen. Heute sind es vielleicht noch zehn oder 20 Zentimeter.« Ohne Rationierungsmaßnahmen wäre vermutlich gar kein Wasser mehr da, meint der Ingenieur: »Derzeit liefern wir nur drei Stunden täglich frisches Wasser, mehr gibt es nicht. Außerhalb der Stadt ist es noch schlimmer. Manchmal können wir den Leuten dort nur alle zwei, drei Tage frisches Wasser liefern, nur für wenige Stunden. Uns sind die Hände gebunden, die Wasserknappheit ist zu groß.«


Kampagnen fürs Wassersparen

Syrien ist ein Agrarland. Die Hauptanbaugebiete ziehen sich in vier Zonen von Westen nach Osten durch das Land. Die fruchtbarsten Gebiete liegen im Westen am Mittelmeer und am Fluß Orontes, wo die jährlichen Regenfälle Quellen und unterirdische Wasserspeicher gut füllten. Fruchtbar ist es auch am Euphrat, der von der Türkei kommend Syrien in Richtung Irak durchquert und mit dessen Wasser sogar Baumwollfelder bewässert werden. Im Nordosten des Landes sorgte früher der kleine Fluß Khabur für Fruchtbarkeit. Doch der Regen bleibt aus, und die große Trockenheit hat dramatische Folgen. Bauern in dieser Region haben in den letzten zwei Jahren 50 Prozent ihrer früheren Ernte eingebüßt. Kleinbauern und Viehzüchter verloren sogar bis zu 80 Prozent ihrer Herden, weil die Tiere kein Futter fanden, heißt es in einem Bericht der Vereinten Nationen. Mehr als eine Viertelmillion Menschen sollen Dörfer und Höfe verlassen haben und suchen ihr Glück als Tagelöhner in den Großstädten.

Doch nicht nur Klimawandel und Trockenheit bringen die Syrer in Bedrängnis. Bevölkerungswachstum und zunehmende Industrialisierung fordern ein neues Bewußtsein für das kostbare Gut, das die Menschen bisher für selbstverständlich, weil von Gott gegeben, hielten. Die Damaszener Wasserbehörde will dem verschwenderischen Umgang mit Wasser Einhalt gebieten. Auf allen Ebenen sei die Behörde aktiv, sagt Mwafak Khallouf und erzählt von einem Treffen mit den Imamen, den geistlichen Führern der Moscheen: »Ich habe ihnen die Lage schonungslos erläutert und ihnen erklärt, warum es wichtig ist, die Gläubigen zum Wassersparen aufzurufen. Vor und nach dem Gebet waschen sie sich, dabei sollen sie das Wasser sparen und auch mit anderen über den großen Wassermangel sprechen. Niemand darf das Wasser verschwenden.« Von den rund 27 Millionen Syrern sind mehr als 60 Prozent jünger als 15 Jahre, also konzentriert man sich vor allem auf die Jugend. Kinder seien aufgeschlossen für das Neue, meint Khallouf und erzählt von Wasserclubs an den Schulen und der Jugendorganisation der Pioniere, deren Mitglieder darauf achten, daß die Wasserhähne geschlossen werden. Hilfe bekomme man von Experten aus Deutschland, fügt Khallouf hinzu: »Eine Mitarbeiterin vom Deutschen Entwicklungsdienst ist sehr aktiv in der Kampagne zum Wassersparen. Inzwischen kennt man sie hier in Damaskus, sie heißt Christin. In den Schulen ist sie richtig berühmt.«

Das Büro von Christin Lüttich liegt im oberen Stockwerk der Damaszener Wasserbehörde, mit Blick auf den altehrwürdigen Hejaz-Bahnhof im Zentrum der Stadt. Die Mitarbeiterin des Deutschen Entwicklungsdienstes spricht fließend Arabisch, mit vier syrischen Mitarbeiterinnen leitet sie die Kampagne zum Wassersparen. »Kinder und Jugendliche sind die Wasserabnehmer von morgen und müssen ihre Gewohnheiten ändern«, sagt sie. Das läßt sich mit Humor besser vermitteln als mit Anordnungen oder Verboten, wie ein Trickfilm zeigt, der für die Wasserkampagne produziert wurde. Erzählt wird darin die Geschichte von dem Wassergeist Dschinnie, dem durch übermäßigen Wasserverbrauch beim Autowaschen, Duschen und Haushaltsarbeit die Puste ausgeht. Retterin in der Not ist die kleine Jasmin, die ihren Eltern klarmacht, daß sie sorgsamer mit dem Wasser umgehen müssen. Für Wettbewerbe an den Schulen und Universitäten habe man Unternehmen gewinnen können, die mit Preisen zum Gelingen beitragen und nach der Devise »Tue Gutes und rede darüber« ihr Image pflegen, berichtet Lüttich. Eine deutsche Firma für sanitäre Anlagen würde sie gern zum Mitmachen bewegen. Die Firma, die im besseren Wohnviertel von Damaskus bereits über eine Niederlassung verfügt, könnte Projektschulen mit neuen Wasserhähnen ausstatten und zeigen, wie moderne Geräte den Wasserverbrauch drosseln.


Trinkwasser vor Nutzwasser

Die Bundesregierung fördert das Engagement deutscher Firmen im Wasser- und Abwasserbereich von Syrien. Public Private Partnership (PPP) heißt das Zauberwort, die öffentlich-private Partnerschaft schafft im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit neue Absatzmärkte für den deutschen Mittelstand. In Syrien ist bei der Umstrukturierung des Wassersektors einiges zu holen. Zentraler Partner bei der Umsetzung in Syrien ist die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), deren Projektleiter Jochen Rudolph die Arbeit im Wasserbereich seit zwei Jahren koordiniert. Workshops werden organisiert, Arbeitsvorgänge werden standardisiert und effektiviert, Service- und Rechnungswesen werden mit deutscher Gründlichkeit modernisiert.

Für die Bundesregierung hat das Wasserengagement in Syrien strategische Bedeutung. Die Nähe Syriens zu Europa, personelle Verflechtungen beider Länder durch viele in Deutschland lebende Syrer, die besondere Position Syriens im Mittleren Osten sowie die »zentrale und sensible« Bedeutung des Wassers für die gesamte Region haben das Thema »Wasser« in den Mittelpunkt der bilateralen Beziehungen gerückt, heißt es in einer Broschüre der deutschen Botschaft in Damaskus. Ob Bewässerung und Landwirtschaft, Umwelt, Bauen und Gesundheit, viele Ministerien haben bei der Wasserverteilung mitzureden. Weil die Landwirtschaft mit mehr als 70 Prozent der größte Wasserverbraucher ist, Haushalte und Industrie hingegen weit weniger brauchen, bleiben Konkurrenz und Kompetenzstreitigkeiten nicht aus. »Der Abstimmungsbedarf zwischen Ministerien ist immer da, das ist keine syrische Spezialität, das gibt es auch in Deutschland«, sagt Jochen Rudolph, Wasserprojektleiter der GTZ. Wichtig sei, daß »sich die syrische Regierung dafür entschieden (hat), daß die Trinkwasserversorgung und die Versorgung von Industriebetrieben Vorrang hat vor der landwirtschaftlichen Wasserversorgung«.

Bei der Umsetzung sei das nicht immer einfach, »weil man bei einer wachsenden Bevölkerung und der zunehmenden Industrialisierung der einen Gruppe etwas wegnehmen und der anderen Gruppe etwas geben muß. Das führt natürlich immer wieder zu Konflikten«. Schwierig ist es vor allem mit der Landwirtschaft, meint Mwafak Khallouf von DWSSA. Die Bauern müssen umdenken, anders bewässern, andere Feldfrüchte anbauen. Eins ist für Khallouf völlig klar: »Das Wichtigste ist die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser. Erst danach kümmere ich mich um die Bauern und sehe, was sie brauchen. Wenn ein Bauer etwas anpflanzt, was viel Wasser verbraucht, versuche ich, ihn davon abzuhalten. Wenn es nicht anders geht, erhält er das Geld, was seine Ernte ihm einbringen würde. Hauptsache, er verbraucht das Wasser nicht, daß ich für die Menschen als Trinkwasser brauche. Das hat oberste Priorität.«


Israels Wasserdurst

Auf einer internationalen Blumenausstellung im Tischrin-Park, einem beliebten Ausflugsziel in Damaskus, fließt das Wasser in Strömen aus tropfenden Kränen und Schläuchen in die Beete, Brunnen und Kanäle. Die Pflanzen bedanken sich mit prachtvollen Farben und betörendem Duft. Orchideen und Rosen, Lavendel und Tulpen, sogar Heidekraut kann besichtigt werden. An kleinen Ständen werden Cremes und Parfüms feilgeboten, Seifen und Honig, Marmeladen und getrocknete Kräuter. Eine Theatertruppe verzaubert die Kinder, die Älteren lauschen Vorträgen über seltene Pflanzen oder bestaunen eine Fotoausstellung, die die Welt von oben zeigt. Zwei Studenten blicken fasziniert auf ein Bild des Assad-Staudamms, der im Norden des Landes den Euphrat staut. Das Bild zeige sein Land aus einer völlig anderen Perspektive, meint Kemal Al-Khateeb, der eine Ausbildung zum Dolmetscher macht. Sein Freund Samer Abdallah stimmt ihm zu. Obwohl er 16 Jahre lang in Aleppo in der Nähe des Dammes gelebt hat, habe er so eine Luftaufnahme noch nie gesehen.

Über Syriens Wasserproblem wissen beide Bescheid: »Das ist kein Geheimnis, die Medien berichten, und wir merken es auch zu Hause. Wasser gibt es bei uns nur jeden zweiten oder dritten Tag, ohne Tank säßen wir auf dem Trockenen«, meint Samer Abdallah. Er wolle zwar nicht über Politik reden, meint sein Freund Kemal, »aber es gibt einen Konflikt zwischen uns und der Türkei. Sie drosseln die Wasserzufuhr zu Euphrat und Tigris, die 70 Prozent unseres Wassers im Norden liefern. Wir geben Jordanien von unserem Trinkwasser und wir geben Wasser an den Irak. Sie sind unsere Nachbarn, da können wir doch nicht Nein sagen.«

In zehn Jahren, ist Kemal überzeugt, »wird Wasser wertvoller sein als Öl.« Alle müßten Wasser sparen, sagt er, die Bauern müßten umdenken. »Neue Bewässerungsmethoden sind zwar teurer für die Bauern, aber es muß sein, für die Zukunft. Wir dürfen das Wasser nicht mehr für selbstverständlich halten.« Der ausbleibende Regen und die Umweltverschmutzung seien ein Problem - und natürlich Israel: »Wir haben die Golanhöhen, dort gibt es viel Wasser und guten Boden. Und Israel hat es einfach besetzt. Keine Ahnung, wie wir das lösen sollen, aber Fakt ist, wir brauchen das Wasser.«

Die politischen Spannungen in der Region könnten in Zukunft durch die Wasserknappheit weiter angeheizt werden, schlußfolgern die Autoren der Studie »Rising Temperatures, Rising Tensions«, zu Deutsch »Steigende Temperaturen, wachsende Spannungen«. Droht ein Wasserkrieg in der Region? Mwafak Khallouf hofft, daß es dazu nicht kommt. Auch wenn es nicht immer so war, vertrage sich Syrien derzeit gut mit der Türkei, über die Wasserverteilung von Euphrat und Tigris werde man sich einigen. Mit Israel allerdings sei das schwieriger: »Israel ist unser einziger und größter Feind hier im Mittleren Osten, und sie verbrauchen unser Wasser! Wenn Syrien den Golan zurückbekommt, wird sich die Wassersituation für uns entspannen. Ich hoffe, daß es hier keinen Krieg um Wasser gibt.«

Wie Syrien haben auch der Libanon, Jordanien und die besetzten palästinensischen Gebiete unter dem großen Wasserdurst Israels zu leiden. Israel hält die libanesischen Scheeba-Höfe besetzt, ein Gebiet, das von großer wasserstrategischer Bedeutung ist. Das 22 Quadratkilometer große Territorium liegt unterhalb des wasserreichen Berges Hermon und gilt mit den Flüssen Hasbani und Banias als Quellgebiet des Jordan. 1965 begannen Syrien und Libanon, das Wasser der beiden Flüsse für die Bewässerung zu kanalisieren, und entzogen es damit dem israelischen Zugriff. Israel griff die neuen Kanäle an und zerstörte sie, zwei Jahre später besetzte es die wasserreichen Gebiete, die es bis heute nicht verlassen hat.

Dort entstanden Siedlungen und Plantagen, versorgt mit Wasser, das Syrien und dem Libanon, mehr aber noch den südlichen Anrainern Jordanien und den Palästinensern fehlt. 2002 wurde im Südlibanon eine neue Wasserleitung gebaut, die Wasser vom Fluß Wazzani in die Haushalte umliegender Dörfer transportieren sollte. Der damalige israelische Ministerpräsident Ariel Scharon erklärte die Baumaßnahme zum »Casus Belli«, und im Krieg 2006 wurde das Wassernetzwerk von der israelischen Luftwaffe weitgehend zerstört. Teiche und Brunnen der Dörfer, die zeitweise von der israelischen Armee besetzt worden waren, wurden absichtlich mit Exkrementen und Abfällen verunreinigt. Internationale Abkommen wie die UN-Resolution 51/229 (1997) über die Nutzung nichtschiffbarer Wasserläufe hat Israel nicht unterzeichnet, sondern diktiert seinen Nachbarstaaten eigene Bedingungen. Jordanien, das 1994 einen Friedensvertrag mit Israel eingegangen ist, erhält im Gegenzug für eine sichere Ostgrenze jährlich 75 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Jordan, als sei das Wasser israelisches Eigentum.


Streitobjekt Jordan

Der Jordan entspringt auf dem libanesischen Berg Hermon, durchfließt den syrischen Golan, die Scheeba-Höfe und den Tiberiassee, auch See Genezareth genannt, von wo er als Grenze zwischen Israel, der palästinensischen Westbank und Jordanien weiter fließt und 320 Kilometer südlich im Toten Meer mündet. Während Syrien und Libanon noch über andere Wasserquellen verfügen, sind Israel, Jordanien und die besetzten palästinensischen Gebiete neben unterirdischen Wasserspeichern hauptsächlich auf den Jordan als Lebensader angewiesen. Während die arabischen Anrainerstaaten des Jordans durch grenzüberschreitende Vereinbarungen versuchen, einander zu unterstützen, geht Israel einen einsamen Weg, der die anderen im wahren Sinne des Wortes »auf dem Trockenen« sitzen läßt. Es entwendet dem Flußsystem jährlich soviel Wasser, wie sich Syrien, Libanon, Jordanien und die besetzten palästinensischen Gebieten untereinander teilen. Die jährliche Durchflußmenge von 1,3 Milliarden Kubikmeter Wasser ist in den letzten 50 Jahren auf weniger als 100 Millionen Kubikmeter gesunken. Der Jordan transportiert heute vor allem Abwasser, sagt die Umweltorganisation »Freunde der Erde im Mittleren Osten« (FOEME), die im Zuge des israelisch-palästinensischen Friedensabkommens 1994 gegründet wurde und Büros in Amman, Bethlehem und Tel Aviv hat. Ihr Motto der guten Partnerschaft für besseres Wasser werde auf eine harte Probe gestellt, erklärt Abdul Rahman Sultan im FOEME-Büro in Jordaniens Hauptstadt Amman. »Die Lage in Jordanien, Israel und Palästina ist alarmierend. Landwirtschaft, Industrie, Tourismus und Haushalte konkurrieren um das Wasser, und zusätzlich konkurrieren Jordanien, Palästina und Israel. Syrien und Libanon teilen sich das Wasser, des oberen Jordans und des Yarmuk, doch es reicht nicht für sie. Das Wasser, das zu uns kommt, ist weder ausreichend noch sauber.«

Als einzigartiges und grenzübergreifendes Ökosystem steht der Jordan seit Jahren im Mittelpunkt einer Aufklärungskampagne von FOEME. Sein Tal liegt bis zu 400 Meter unterhalb des Meeresspiegels; an seinen Ufern gibt es historische Stätten von Juden, Christen und Muslimen. 90 Prozent des Wassers werden kurz hinter dem Tiberiassee von Israel abgezweigt; weite Teile des Jordantals werden militärisch von Israel kontrolliert. Palästinenser oder Jordanier könnten den Fluß oft gar nicht erreichen, erzählt Mohammad Nawasra aus der Gemeinde Scheich Hussein: »Als Kind durfte ich noch zum Jordan hinunter. Wir konnten das Wasser trinken, wir konnten darin schwimmen, Fische fangen, die wir auch essen konnten. Heute können wir die Fische aus dem Jordan nicht mehr essen, weil sie verunreinigt sind.« Die Übernutzung des Jordans und der unterirdischen Wasserspeicher, das übermäßige Graben von Brunnen und die Küstennähe, all das führt zu einer Versalzung des Grundwassers, das sich wegen ausbleibenden Regens nicht regenerieren kann.

Wenn der Jordan das Tote Meer erreicht, ist er nur noch schmutziger Schlamm. Die Oberfläche des Toten Meers sinkt jährlich um einen Meter. Mit Zufluß aus dem Yarmuk-Fluß verläuft parallel zum Jordan der König-Abdallah-Kanal, der die Jordanier bis hin zur Hauptstadt Amman mit Wasser versorgt. Im Sommer ist es besonders knapp, erklärt Mohammad Nawasra: »Einen Tag in der Woche werden die Felder bewässert, einen anderen Tag bekommen wir frisches Wasser für drei bis fünf Stunden«, erzählt er. »Dann müssen wir die Tanks auf den Dächern auffüllen und hoffen, daß es für eine Woche reicht. Aber manche Familien haben nicht so viele Tanks, für sie sieht es schlecht aus.«

Mehr als 30 Jahre war Nawasra Lehrer in der Gemeinde, wo ihn jeder kennt. Seit er pensioniert ist, leitet er das FOEME-Büro in der Dorfgemeinschaft. Einen Ökopark haben sie angelegt, der vor den immer hungrigen Schafen der Beduinen geschützt werden muß. Sie sammeln Regenwasser und lernen, wie Wasser gespart und die Umwelt geschützt werden kann. Im Zuge der grenzüberschreitenden Arbeit war der Umweltaktivist auch in Israel: »Ich habe viele Siedlungen in Israel gesehen. Wirklich! Ich habe nicht einen Tank auf deren Dächern gesehen. 20 Stunden am Tag haben sie fließendes Wasser. Wie sie das machen? Nun, direkt dort, wo der Jordan den Tiberiassee verläßt, zweigen sie das Wasser ab und leiten es durch viele Röhren überall hin. Bis in die Wüste im Süden. 20 Stunden am Tag haben die Israelis Trinkwasser, nicht die Palästinenser, nein. Nur die Israelis. Und keiner hat einen Tank auf dem Dach.«

Amnesty International veröffentlichte kürzlich einen Bericht, in dem es heißt: »Die Ungleichheit im Zugang zu Wasser für Israelis und Palästinenser ist eklatant. Palästinenser in den besetzten Gebieten verfügen über etwa 70 Liter pro Person und Tag. Das ist weit weniger als die 100 Liter pro Tag, die von der Weltgesundheitsbehörde (WHO) empfohlen werden. Der Wasserverbrauch der Israelis beträgt hingegen um die 300 Liter pro Person und Tag, viermal so viel. In einigen ländlichen Gebieten (...) kommt es vor, daß die Palästinenser nicht einmal 20 Liter pro Tag haben.«

Der Klimawandel wird voraussichtlich die Spannungen in der Region erhöhen, schätzen die Autoren der Studie »Rising Temperatures, Rising Tensions« und weisen auf neue »Sicherheitsprobleme« hin: Die enorme Konkurrenz um das Wasser in der Region wird Friedensvereinbarungen erschweren, die Versorgung der Bevölkerung ist unsicher, wirtschaftliches Wachstum wird erschwert, die Armut steigt. Der Wassermangel wird zu Migration und einer zunehmenden Militarisierung führen, um die Wasserquellen zu sichern. Das ohnehin große Mißtrauen zwischen den arabischen Staaten einerseits und dem Westen und Israel andererseits wird zunehmen.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

2006 zerstörte die israelische Armee systematisch das libanesische Kanalsystem um den Wazzani-Fluß herum (UN-Blauhelmsoldaten sichern mit libanesischen Kollegen die Region, 27.3.2008)
Flüsse führen weniger Wasser, Seen trocknen zunehmend aus. Israels Nachbarn stehen die von der WHO empfohlenen 100 Liter pro Tag und Person nicht zur Verfügung (Libanon, 11.9.2002)

*


Quelle:
junge Welt vom 14.12.2009
mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
Überregionale Tageszeitung junge Welt
Torstraße 6, 10119 Berlin
Telefon: 030/53 63 55-0; Fax: 030/53 63 55-44
E-Mail: redaktion@jungewelt.de
Internet: www.jungewelt.de

Einzelausgabe: 1,20 Euro (Wochenendausgabe: 1,60 Euro)
Abonnement Inland:
monatlich 29,70 Euro, vierteljährlich 86,40 Euro,
halbjährlich 171,00 Euro, jährlich 338,50 Euro.
Sozialabo:
monatlich 22,90 Euro, vierteljährlich 66,60 Euro,
halbjährlich 131,90 Euro, jährlich 261,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2009