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NAHOST/648: "Wirtschaftskrieg" gegen Gaza (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 14. Juni 2010

»Wirtschaftskrieg« gegen Gaza

Enthüllendes Dokument: Israels Blockade dient nicht »Sicherheitsinteressen«

Von Rainer Rupp


Israel blockiert den Gazastreifen nicht - wie bisher immer behauptet - aus sicherheitspolitischen Erwägungen. Es führt vielmehr einen »Wirtschaftskrieg« gegen die von der islamischen Hamas gestellte Regierung. Das zumindest wurde in der vergangenen Woche von mehreren Zeitungen des US-Medienkonzerns McClatchy berichtet. Demnach befindet sich seine Jerusalem-Korrespondentin Sheera Frenkel im Besitz eines entsprechenden israelischen Regierungsdokumentes. Darin beansprucht Tel Aviv für sich »das Recht, sich gegen wirtschaftliche Beziehungen und Hilfe für die andere Konfliktpartei zu entscheiden oder einen Wirtschaftskrieg zu führen«. Das Dokument sei von der Regierung, so Sheera Frenkel, im Rahmen einer gerichtlichen Klage der israelischen Menschenrechtsorganisation Gisha gegen die Blockade eingebracht worden.

Sari Bashi, Direktor von Gisha, sieht in dem Papier den Beweis dafür, daß Israel nicht aus Sicherheitsgründen auf der Blockade beharrt, sondern diese als Instrument zur kollektiven Bestrafung der palästinensischen Bevölkerung von Gaza einsetzt. Ein namentlich nicht genannter israelischer Regierungsvertreter bestätigte diese Bewertung. Obwohl derzeit die Bereitschaft vorhanden sei, die Blockade etwas zu lockern, könnte seine Regierung »sie nicht aufheben, solange Hamas in Gaza die Kontrolle hat«.

Im Juni 2007 - Hamas hatte im Jahr zuvor die Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten gewonnen - begann Israel mit Blockadeaktionen und begründete diese damit, Waffenlieferungen nach Gaza verhindern zu müssen. Laut der von Gisha in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen erstellten Zahlen erlaubt Israel im Vergleich zur Zeit vor der Hamas-Regierungsübernahme die Einfuhr von nur noch 25 Prozent der Güter. Statt 10400 beladenen Lastwagen, die jeden Monat die israelische Grenze nach Gaza überquerten, dürfen inzwischen nur noch etwa 2500 passieren. Zugleich wurde die Einfuhr von etwa 4000 Warenkategorien aus der Zeit vor 2007 auf 40 beschränkt. Zudem ändere Israel ständig und vollkommen willkürlich die Liste der erlaubten Waren - eine Form der Schikane gegen die Bevölkerung von Gaza, so Gisha. Die in der vergangenen Woche angekündigte Lockerung des Embargos betrifft Limonaden, Fruchtsäfte, Marmelade, Gewürze, Rasierseife, Kartoffelchips und Süßigkeiten.

Derweil nehmen sich die israelischen Verantwortlichen beim Entladen der in den Hafen von Aschdod verschleppten Free-Gaza-Hilfsflotte sehr viel Zeit. Deren Organisatoren werfen sie vor, die Hilfsgüter schlecht und unsachgemäß verpackt zu haben, wodurch vieles unbrauchbar geworden sei. Kritiker werteten diese Behauptungen als Vorwand, der benutzt werde, damit möglichst wenige Güter Gaza erreichen. Dazu gehört auch die seitens Israel vorgenommene enge und willkürliche Definition von »humanitärer Hilfe«. Diese beschränkt sich auf Grundnahrungsmittel, fabrikneue Medikamente und medizinische Apparate.

Dementsprechend wies das Außenministerium in Tel Aviv laut Israel National News am Mittwoch seine Botschaften weltweit an zu verbreiten, daß das Leitschiff der Hilfsflotte, die Mavi Marmara, keine humanitären Hilfsgüter an Bord hatte. Die mitgeführten Rollstühle, Krücken, Krankenbetten, aber auch Kleidung, Spielzeug und Ausrüstung für Kinderspielplätze zählten nicht als solche ...


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Quelle:
junge Welt vom 14.06.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2010