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NAHOST/746: Rassismus in der 'Stadt der Freiheit' - Araberfeindlichkeit in Tel Aviv nimmt zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Dezember 2010

Nahost: Rassismus in der 'Stadt der Freiheit' - Araberfeindlichkeit in Tel Aviv nimmt zu

Von Jerrold Kessel and Pierre Klochendler


Bat Yam, 28. Dezember (IPS) - Israels Großstadt Tel Aviv gilt als offen und tolerant. Doch in jüngster Zeit mehren sich in 'The Big Orange', wie die Metropole in Anlehnung an 'The Big Apple' New York genannt wird, antiarabische Demonstrationen. Rassismus ist offenbar auf dem Vormarsch.

Auslöser der neuen Araberfeindlichkeit war ein jüngstes religiöses Urteil, das 50 Rabbis aus aller Welt und aus den jüdischen Siedlungen im besetzten Westjordanland unterzeichnet hatten. Darin verbieten sie israelischen Juden die Vermietung von Wohnraum an Nicht-Juden. Gemeint waren die 1,3 Milliarden Araber, die ein Fünftel der israelischen Bevölkerung stellen.

Wie Schlomi Lahiani, Bürgermeister von Bat Jam, einer Vorstadt von Tel Aviv, berichtete, nahmen neben rechten Aktivisten auch Mitglieder der Knesset (Israels Parlament) an den Kundgebungen teil. Zu hören waren Rufe wie 'lasst Araber nicht rein in unsere Stadt' und Aufrufe zu Hass und Gewalt. "Araber sind gleichberechtigte Bürger und müssen als solche behandelt werden" erklärte Lahiani. "Rassistische Aktivitäten werden wir nicht tolerieren."


Breite Kritik

Die Unterzeichner des Manifestes wurden von einer Vielzahl prominenter Persönlichkeiten gerügt einschließlich Rabbinern und Menschenrechtlern und Politikern wie Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Israels Parlamentspräsident Reuven Rivlin bezeichnete den Aufruf der Rabbis als "Schande für das jüdische Volk und einen weiteren Nagel am Sarg der israelischen Demokratie".

Andere Kritiker warnten davor, dass jede Form des Rassismus gegen Israels arabische Minderheit den Juden in aller Welt schaden wird. Noah Flug, Leiter der Internationalen Vereinigung der Überlebenden des Holocaust, erklärte gegenüber IPS, er fühle sich an das Verbot der Nazis erinnert, Juden Seite an Seite mit anderen Deutschen leben zu lassen.

Die Kritik gegen das religiöse Urteil hinderte andere Rabbiner nicht daran, den umstrittenen Aufruf ebenfalls zu unterzeichnen. Insgesamt haben inzwischen 300 Geistliche ihre Unterschrift unter das Dokument gesetzt. Darin heißt es, die Tora verbiete den Verkauf von Häusern und Feldern im Heiligen Land an Heiden. Es beinhaltet ferner die Forderung, Juden, die ihr Eigentum an Nichtjuden vermieten, aus der Gesellschaft auszuschließen.

"Wenn jemand auch nur eine Wohnung verkauft oder vermietet, sinkt der Marktwert der Nachtbarwohnungen. (...) Wer also an Nichtjuden vermietet, verursacht seinen Nachbarn schwere Verluste. Seine Sünde ist groß", heißt es in dem Papier. "Jeder, der Eigentum an Nichtjuden verkauft, muss abgesondert werden!!"

Auch in anderen israelischen Städten ist es zu arabischfeindlichen Kundgebungen gekommen, zum Beispiel in Safed in Galiläa im Norden Israels. Dort hatte ein Rabbi erstmals die Forderung gestellt, Araber den Zuzug in die heilige Stadt zu versperren.

Bisher ist es den Behörden gelungen, die explosive Situation unter Kontrolle zu halten. Doch scheuen sich einige Rabbis nicht, weiter Holz ins Feuer zu legen. "Der Rassismus hat seinen Ursprung in der Tora", erklärte Yosef Scheinen, ein Rabbi aus der südlichen Hafenstadt Aschdud, gegenüber dem israelischen Rundfunk. "Das Land Israel gehört dem israelischen Volk. Das war von Ihm, er sei gesegnet, so beabsichtigt."


Israel schürt Angst vor dem Islam

Einige Beobachter fürchten, dass die Rabbis mit ihrem religiösen Urteil vielen Israelis aus der Seele sprechen könnten. "Sie bringen die Sorgen der Bevölkerung und insbesondere der Armen zum Ausdruck", meinte dazu Menachem Friedman von der Bar-Ilan-Universität.

Der Wissenschaftler warf dem israelischen Staat vor, häufig selbst eine diskriminierende Haltung gegenüber der arabischen Minderheit einzunehmen. Dadurch vertiefe er die Angst vor einem fundamentalistischen Islam, sagte er. "Bei vielen israelischen Juden ist eine Art Ghetto-Mentalität entstanden, obwohl sie in diesem Land die Mehrheit stellen. (Ende/IPS/kb/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2010