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NAHOST/781: Libyen - Soldaten und Freiwillige bereiten sich auf Offensive gegen Gaddafi vor (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. März 2011

Libyen: Soldaten und Freiwillige bereiten sich auf Offensive gegen Gaddafi vor

Von Mike Elkin


Benghazi, Libyen, 2. März (IPS) - In Benghazi im Nordosten Libyens rüsten die Rebellen zum letzten Gefecht. Tausende Männer von 18 bis 60 Jahren lassen sich dort von Überläufern der Armee in die Grundlagen der Kriegskunst einweisen, um den Berufssoldaten bei einem möglichen Angriff auf die Hauptstadt Tripolis als Kämpfer zur Verfügung zu stehen.

Auf einem Basketballplatz hinter einer örtlichen Schule bringen Militärs rund 150 neuen Rekruten Marschtechniken bei, und am Rande des Spielfelds ist ein Offizier damit beschäftigt, die Namen und Blutgruppen der Freiwilligen zu notieren. In den vergangenen Tagen wurden hier nach Angaben eines Armeeangehörigen 4.000 Menschen rekrutiert. Eine größere Militärbasis außerhalb der Hafenstadt soll bereits 10.000 Freiwillige um sich geschart haben.

"Ich will, dass nach 41 Jahren der Hölle mein Land von (Revolutionsführer Muammar al-) Gaddafi befreit wird", sagte Salem Abdelhassid El Dressy, der in seinem zivilen Leben für ein Elektrizitätsunternehmen arbeitet. "Gaddafi kam an die Macht, als ich geboren wurde, und es ist Zeit für einen Machtwechsel."


Zum Kampf entschlossen

El Dressy geht davon aus, "dass es nach unserer Ankunft in Tripolis zu schweren Kämpfen kommen wird". Doch wie der zweifache Familienvater versichert, werde er sich nicht aus der Verantwortung stehlen. "Ich bin bereit zu kämpfen", betonte er. "Auch meine Freunde und Familie sind der Meinung, dass Gaddafi verschwinden muss. Wir alle wollen nach Tripolis gehen, um ihn loszuwerden."

Soldaten und Zivilisten hatten dem Gaddafi-Regime die Stadt Benghazi am 20. Februar entrissen, nachdem Männer und Söldner dort wahllos auf Menschen geschossen hatten. Dabei wurden Hunderte getötet und Tausende verletzt. Von Ärzten war zu hören, dass sie Tage lang ununterbrochen im Einsatz waren, um die vielen Verletzten zu versorgen.

Nachdem die Rebellen Benghazi zum Sitz der Übergangsregierung erklärt hatten, begannen Militäroffiziere und lokale Größen mit der Bildung von Komitees, die den von den Rebellen kontrollierten Osten kontrollieren sollten. In Benghazi selbst sind die meisten Geschäfte geschlossen, die städtische Versorgung ist auf ein Mindestmaß zurückgefahren. Gaddafi-Gegner versammeln sich jeden Tag vor dem Gebäude des Obersten Gerichtshofs, um die grün-schwarz-roten Fahnen der Vor-Gaddafi-Zeit zu schwenken und regimefeindliche Slogans zu skandieren.

Aus der 50 Kilometer westlich von Tripolis gelegenen Stadt Zawiya, wurde berichtet, dass die Rebellen dort Angriffen der Gaddafi-Truppen standhalten. Hingegen wurden andere Orte wie Gharjan und Sabratha von den Gaddafi-Truppen zurückerobert.

Während in Benghazi die neuen Rekruten auf einen Einsatz in Tripolis vorbereitet werden, sichten die Soldaten die Waffen, die sie sich aus Gaddafis Militärbunkern im Umfeld der Stadt zusammengetragen haben. Wie er Panzerkommandeur Oberst Mohammed Samir Al-Abar berichtet, ist die Armee in zwei Lager gespalten: in die Soldaten, die dem Stamm Gaddafis angehören und in die restlichen Mitglieder der Streitkräfte.


"Die Panzer stehen bereit"

"Die hochrangigen Offiziere sind Gaddafi ergeben und stehen unter seiner Kontrolle", berichtete Al-Abar. "Doch ihnen fehlt es an einem wahren libyschen Geist. Ich habe Leute um mich, die bereit sind zu kämpfen. Und jeder Offizier kann eine solche Gruppe vorweisen. Die Panzer stehen bereit. Und die Entschlossenheit der Menschen ist so fest wie Felsgestein. "

Dieser Entschlossenheit können sie nun mit Waffen Nachdruck verleihen, von denen viele allerdings noch aus den 1970er Jahren stammen. Seit Tagen sind Soldaten in Benghazi dabei zu beobachten, wie sie die Waffen reinigen und wieder zusammensetzen. Am 1. März waren russische Luftabwehrgewehre dran.

"Gaddafi hat uns nie irgendein Equipment zur Verfügung gestellt", sagte der Reservist Adel Mustafa. "Er traute der regulären Armee nicht, nur seinen eigenen Leuten. Doch seit eine Militärbasis nach der anderen gefallen ist, haben die Menschen die Kontrolle über die Waffen übernommen."

"Diese Luftabwehrgewehre beispielsweise halten die Flugzeuge auf Distanz. Sie sind zwar überholt und verdreckt, aber immer noch funktionstüchtig.", so Mustafa. "Bevor sie uns in die Hände fielen, wurden sie vom Regime gegen das eigene Volk eingesetzt. Schauen Sie sich die Munition an: Wenn sie ihr Ziel treffen, zerschmettern sie es. Sie waren für den Einsatz gegen Flugzeuge und nicht gegen Menschen entwickelt worden."

Viele Optionen bleiben Gaddafi nicht, zumal er angekündigt hat, Libyen nicht freiwillig zu verlassen. Außerdem hat sich bisher kein Land angeboten, den Despoten aufzunehmen. Umgeben von Getreuen und Söldnern könnte der Revolutionsführer sein Versprechen wahr machen und bis zum bitteren Ende kämpfen. Die Lumpenarmee aus Soldaten und Zivilisten in Benghazi ist offenbar bereit, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2011