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NAHOST/836: Türkei/Israel - Diplomatische Wunden hinterlassen Narben, Beziehungen bleiben lau (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2011

Türkei/Israel: Diplomatische Wunden hinterlassen Narben - Beziehungen bleiben lau

Von Barbara Slavin


Washington, 28. Juni (IPS) - Die Türkei und Israel haben sich zwar bemüht, ihren Streit über Israels blutigen Militäreinsatz gegen Passagiere eines türkischen Schiffes der Friedensflotte 'Free Gaza' im letzten Jahr beizulegen. Doch von ihrem einst partnerschaftlichen Verhältnis sind die beiden Staaten noch weit entfernt.

Wie Suat Kiniklioglu, Vizevorsitzender für auswärtige Angelegenheiten der türkischen Regierungs-Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), kurz vor Auslaufen einer neuen Flottille in Richtung Gazastreifen in Washington erklärte, wird es ohne einen Frieden in Nahost keine wirkliche Annäherung und auch vorerst keine türkische Botschaft in Tel Aviv geben.

Eine Einschätzung, die Alon Liel, ein ehemaliger Generaldirektor des israelischen Außenministeriums, teilt. "Bleiben Fortschritte zwischen Israel und Palästinensern aus - und ich meine Fatah und Hamas zusammengenommen - denke ich nicht, dass Israel und die Türkei zu ihrem einst wirklich guten Verhältnis zurückfinden werden", sagte er. Und selbst wenn es dazu kommen sollte, eine Herzlichkeit wie in den 1990er bis in die Mitte der 2000er Jahre sei nicht zu erwarten.

Die Beziehungen beider Länder haben eine bemerkenswerte Entwicklung erlebt, seit die Türkei als erstes muslimisches Land Israel vor 62 Jahren anerkannte. Sie gingen auf und ab und verschlechterten sich während der arabisch-israelischen Kriege und nach der Annektierung Jerusalems durch Israel.


Wendepunkt in den Beziehungen seit Operation gegossenes Blei

Zum letzten Bruch kam es 2008/2009, als Israel im Rahmen einer weltweit kritisierten Militäroperation den Gazastreifen einen Monat lang bombardierte. Israel rechtfertigte die Angriffe mit dem fortgesetzten Abschuss von Raketen auf israelische Städte und Dörfer vom Gazastreifen aus. Die Vergeltungs-'Operation gegossenes Blei' kostete mehr als 1.000 vorwiegend palästinensischen Zivilisten das Leben und zerstörte weite Teile der lokalen Infrastruktur. Für Israel wurde der Militäreinsatz zu einem Public-Relation-Albtraum.

Was den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan auch erboste, war die Tatsache, dass Israel mit der Militäroperation die Fortschritte bei den Verhandlungen mit Syrien aufs Spiel gesetzt hatte. Die Türkei hatte damals zwischen Syrien und Israel vermittelt und bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Erdogan setzte nach der Operation Gegossenes Blei die indirekten Gespräche aus.

Die Beziehungen verschlechterten sich nach dem Wahlsieg der rechten Koalition des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu weiter. Zuvor war die gemäßigte Regierung unter Ehud Olmert am Ruder gewesen.

Der absolute Gefrierpunkt wurde 31. Mai 2010 erreicht, als israelische Militärkommandos bei dem Versuch, die Free-Gaza-Friedensflotte am Durchbruch der Seeblockade Israels gegen den Gazastreifen zu hindern, neun Türken töteten. Das Blutbad ereignete sich auf dem türkischen Schiff Mavi Marmara, das die der türkischen Regierung nahe stehende islamische Gruppe IHH gechartert hatte.

Israel hat inzwischen Bereitschaft signalisiert, sich bei den Familien der Opfer zu entschuldigen und diese für den Verlust ihrer Angehörigen zu entschädigen. Die Türkei wiederum ist bestrebt, kein Öl ins Feuer zu gießen. So hat sie dafür gesorgt, dass die Mavi Marmara die neue Friedensflotte nicht begleitet, die von Griechenland aus erneut Kurs auf den Gazastreifen nehmen will.

Einem Bericht der israelische Zeitung Ha'aretz zufolge haben sich Israels Vizeminister Moshe Ya'alon und der türkische Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, Feridun Sinirlioglu, zu Verhandlungen getroffen. Weitere Gespräche finden zwischen israelischen und türkischen Delegierten im UN-Ausschuss statt, der im Zusammenhang mit der Tragödie vom 31. Mai ermittelt und im nächsten Monat einen Bericht vorlegen wird.

Ha'aretz berichtete in seiner Ausgabe vom 26. Juni, dass die Türkei erreichen will, dass die Beziehungen der Erdogan-Regierung zur IHH in dem Bericht, der die israelische Vorgehensweise auf der Mavi Marmara als legal erachtet aber als unverhältnismäßig kritisiert, nicht zur Sprache kommen.

Der Ansehensverlust, den Israel in der türkischen Öffentlichkeit erlitten hat und die in Israel vorherrschende Sichtweise, Erdogan und der AKP sei an den Beziehungen zum jüdischen Staat nicht mehr gelegen, machen ein inniges Verhältnis zwischen beiden Ländern eher unwahrscheinlich.


Ende einer Zweckehe

Die Türkei und auch Israel hätten sich strategisch umorientiert und damit ihr bisheriges "Zweckbündnis" gelöst, meint Henri Barkey, ein türkischer Experte der Denkfabrik 'Carnegie Endowment for International Peace' mit Sitz in Washington. Gute Beziehungen mit der Türkei waren Teil der israelischen Strategie, die fehlende Unterstützung der arabischen Nachbarländer durch den Aufbau von Beziehungen mit nicht-arabischen Staaten zu kompensieren.

Die Türkei wiederum wusste die israelische Unterstützung Ankaras im Krieg gegen kurdische Nationalisten zu schätzen. Auch konnte sie sich auf US-amerikanische Juden verlassen, die sich dafür einsetzten, dass von US-Griechen und -Armeniern eingebrachte türkenfeindliche Maßnahmen nicht gebilligt wurden.

Doch die Türkei, die inzwischen auf der Weltrangliste der Wirtschaftsmächte Platz 16 einnimmt und ihre Beziehungen zu den ehemaligen Teilen des ottomanischen Reiches in Nahost, Nordafrika und Zentralasien immer weiter ausbaut, ist nach Ansicht Barkeys nicht länger auf die Hilfe Israels oder der jüdischen Gemeinschaft in den USA angewiesen. Israel warf der Experte vor, den Fehler begangen zu haben, die türkische Rückendeckung für selbstverständlich gehalten zu haben.

Der arabische Frühling hat die türkische Strategie, mit muslimischen und anderen Nachbarländern auf gutem Fuß zu stehen, auf eine harte Probe gestellt. Sowohl Israel als auch die Türkei im Besonderen sind besorgt über die jüngsten Entwicklungen in Syrien und die Gefahr, dass der Konflikt auf andere Länder überspringen könnte. Allerdings nimmt die Türkei in dieser Frage eine eher pro-aktive Haltung an, während Israel befürchtet, dass nach dem Sturz weiterer autoritärer Regime in der Region palästinenserfreundliche Regierungen das Ruder übernehmen könnten.


Washington drängt auf Versöhnung

Die USA, die in der Region ebenfalls an Rückhalt verlieren, ermutigen die Türkei und Israel gleichermaßen, den Streit über die Ereignisse auf der Mavi Marmara beizulegen. Die Sprecherin im US-amerikanischen Außenministerium Nuland erklärte kürzlich, dass es einige viel versprechende Anzeichen dafür gebe, dass sich die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel verbesserten. "Wir würden gern eine Fortsetzung dieser Bemühungen sehen."

Nun, da seine Partei zum dritten Mal hintereinander die Wahlen gewonnen hat, kann Erdogan es sich leisten, sich - zumindest oberflächlich - versöhnlich gegenüber Israel zu geben. Allerdings nimmt Israel in der türkischen Außenpolitik keine übergeordnete Stellung mehr ein. In seiner Ansprache nach dem Wahlsieg grüßte der türkische Regierungschef "alle Freundes- und Brudernationen von Bagdad, Damaskus, Beirut, Kairo, Sarajevo, Baku and Nikosia." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2011