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NAHOST/851: Jordanien - Gärende Proteste, Wirtschaftskrise droht Volkszorn weiter anzuheizen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. August 2011

Jordanien: Gärende Proteste - Wirtschaftskrise droht Volkszorn weiter anzuheizen

Von Cam McGrath


Amman, 4. August (IPS) - Die große Protestwelle, die die arabischen Länder in diesem Frühjahr erfasst hat, ist an Jordanien zwar vorbeigezogen. Doch auch dort gärt es unter der Oberfläche: Regierungsgegner drängen zu politischen und wirtschaftlichen Reformen.

Die Massendemonstrationen in mehreren Staaten machten sich bereits im Januar in dem Königreich bemerkbar, wo die Menschen zunächst gegen die steigenden Preise und die hohe Arbeitslosigkeit protestierten. Inzwischen wird aber auch der Ruf nach politischen Veränderungen immer lauter.

Gefordert wird vor allem eine vom Volk gewählte Regierung. Die Reformbefürworter verlangen zudem, den Einfluss des Geheimdienstes zu beschneiden und die Vetternwirtschaft zu beenden. Kritik regt sich außerdem an der Machtfülle von König Abdullah II., der nach dem Tod seines Vaters König Hussein 1999 den Thron bestieg. Seine Ablösung wird bisher allerdings nicht verlangt.

"Wir wollen nicht den Sturz der Regierung, sondern Reformen", sagte der Taxifahrer Abdullah Hamdam, ein Jordanier mit palästinensischen Wurzeln. Im Nachbarland Ägypten hatte die große Protestbewegung dagegen das Regime von Präsident Husni Mubarak verjagt und dem seitdem regierenden Militärrat Konzessionen abgerungen.


Reformbewegung gespalten

In Jordanien kommen dagegen selten mehr als 2.000 Demonstranten zusammen, die rasch von den Sicherheitskräften auseinander getrieben werden. Dass sich die Reformbewegung aus Jugendgruppen, Linken und Islamisten bisher nicht weiter durchsetzen konnte, liegt nach Meinung politischer Beobachter an inneren Grabenkämpfen. Die Regierung hat diese Unstimmigkeiten öffentlich gemacht, um der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen.

König Abdullah fühlt sich in seiner Position offenbar sicher. Er ließ die Wirtschaftsreformen stoppen und gebot den politischen Gegnern Einhalt. Im Januar besetzte der Monarch das Amt des Premierministers neu und überwachte wirtschaftliche Maßnahmen, die die unzufriedene Bevölkerung besänftigen sollten. Eine weitere Kabinettsumbildung folgte im Juli. Das Versprechen, eine mehrheitlich gewählte Regierung einzusetzen, hielt Abdullah jedoch nicht ein.

"Die Leute sind nicht zufrieden, weil sie keine konkreten Ergebnisse sehen", sagte der Politikexperte Amer Al-Sabaileh. "Bis jetzt gab es nur kosmetische Veränderungen." Andere Analysten rechnen damit, dass die Unruhen in Jordanien zunehmen werden. Denn die wirtschaftliche Lage in dem von auswärtiger Hilfe abhängigen kleinen Staat droht sich weiter zu verschlechtern, vor allem im ländlichen Süden.

Die Erwerbslosenrate wird zurzeit auf 13 Prozent geschätzt. Die Inflation nimmt rapide zu, während auf dem Weltmarkt die Lebensmittel- und Erdölpreise ansteigen. Die Lasten dieser Veränderungen tragen in erster Linie die armen Jordanier.

"Bei uns läuft alles auf eine Wirtschaftskrise hinaus", warnte der Ökonom Yusuf Mansur. "Das staatliche Haushaltsdefizit hat ein Rekordniveau erreicht. Die öffentlichen Schulden summieren sich auf umgerechnet 18 Milliarden US-Dollar und liegen damit um 65 Prozent über dem Bruttoinlandsprodukt."


Milliarden-Darlehen von Saudi-Arabien

Saudi-Arabien hat inzwischen ein Darlehen von einer Milliarde Dollar angeboten, um Jordanien bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Krise zu helfen. Die Regierung in Amman kommt aber möglicherweise nicht darum herum, unpopuläre Sparmaßnahmen umzusetzen, die den Zorn des Volkes weiter anheizen könnten.

Die ungewöhnlich hohe Beteiligung an den jüngsten Demonstrationen deutet darauf hin, dass die Geduld der Jordanier langsam aber sicher zu Ende geht. "Schon ein paar Tausend Leute auf den Straßen haben hier eine große Bedeutung", sagte Al-Sabalaih. Ziehe man in Betracht, dass Jordanien weniger als sechs Millionen und Ägypten 83 Millionen Einwohner habe, entsprächen 2.000 jordanische Demonstranten 100.000 Protestierenden in Ägypten.

Die meisten Jordanier respektieren nach wie vor den König als Staatsoberhaupt. "90 Prozent aller Beschwerden werden bei Abdullah II. vorgebracht", erklärte Al-Sabalaih. Nach wie vor erwarte man von dem Monarchen, dass er eine Balance zwischen den verschiedenen Kräften im Staat herstelle. Sollte der König die zugesagten Reformen jedoch hinauszögern, könnten jedoch heftige Unruhen wie zuvor in anderen Teilen der Region ausbrechen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2011