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NAHOST/864: Palästina - Mitgliedschaft in Weltstrafgerichtshof durch 'Vatikanoption' beunruhigt Israel (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. September 2011

Palästina: Mitgliedschaft in Weltstrafgerichtshof durch 'Vatikanoption' beunruhigt Israel

von Thalif Deen


New York, 29. September (IPS) - Sollte den Palästinensern die volle Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen verweigert werden, bliebe ihnen als Alternative die 'Vatikanoption': das Zugeständnis eines aufgewerteten Beobachterstatus bei der UN-Vollversammlung. Doch eine solche Lösung lässt bei Israel und westlichen Ländern die Alarmglocken schrillen, würde sie die Palästinenser befähigen, den jüdischen Staat wegen Kriegsverbrechen vor den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) zu bringen.

"Wenn Israel keine Verbrechen begangen oder gegen internationales humanitäres Recht verstoßen hat, muss es unsere ICC-Mitgliedschaft auch nicht fürchten", meinte Nabeel Shaath, ein Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und ehemaliger Außenminister. Das Haager Tribunal sei explizit dazu eingerichtet worden, Menschenrechtsverletzungen zu ahnden, erklärte der Politiker, der einen Doktor in Wirtschafts- und Finanzwissenschaften der US-amerikanischen Universität von Pennsylvania besitzt. "Wenn sie nichts verbrochen haben, warum sollten sie sich Sorgen machen?"

Von der rhetorischen Seite betrachtet habe Shaath sicher Recht, meinte dazu Richard Falk, ein ehemaliger UN-Sonderberichterstatter über die Menschenrechte der Palästinenser. "Doch die israelische Seite würde in einem solchen Fall argumentieren, dass die Palästinenserbehörde ungerechtfertigte Anschuldigungen vorbringen würde." Falk hingegen nimmt an, dass die PA einen möglichen ICC-Mitgliedsstatus darauf beschränken würde, nur künftige Verbrechen Israels vor das Weltstrafgericht zu bringen.

Medea Benjamin, Mitbegründerin von 'Code Pink', einer von Frauen initiierten Friedensbewegung, stimmte der Argumentationsweise von Shaath zu: "Wenn Israel der Meinung ist, das seine Handlungen nach internationalem Recht in Ordnung sind, sollte es einen ICC-Beitritt der Palästinenser nicht fürchten." Natürlich sei den Israelis klar, "dass die fortgesetzte Siedlungsbau in den Palästinensergebieten, die Blockade des Gazastreifens und der brutale Überfall auf den Gazastreifen (Operation Gegossenes Blei 2008/09) nach internationalem Recht grobe Menschenrechtsverletzungen darstellen", fügte Benjamin hinzu. "Ganz sicher ist ihnen nicht daran gelegen, im Zuge einer strafgerichtlichen Ermittlung ins Rampenlicht zu rücken."


Mehrere Möglichkeiten

Wie aus UN-Kreisen zu hören ist, müssen die Palästinenser in ihrem Wunsch nach einem eigenen unabhängigen Staat mindestens eine von zwei Hürden nehmen: sich den Rückhalt von mindestens neun des 15 Mitglieder zählenden UN-Sicherheitsrates sichern oder von einem Veto der USA verschont bleiben. Sollte beides nicht klappen, bliebe ihnen nur noch die Möglichkeit, bei der UN-Vollversammlung einen aufgewerteten Beobachterstatus zu beantragen, der eine einfache Mehrheit von 97 von 193 Stimmen verlangt. Derzeit hat Palästina sogar mindestens 125 UN-Mitglieder auf seiner Seite.

Ausgerüstet mit dem neuen Beobachterstatus - wie ihn der Vatikan in der UN-Vollversammlung besitzt - könnte sich Palästina für die Mitgliedschaft in einer Vielzahl von UN-Organisationen einschließlich des ICC bewerben. Bisher sind die Palästinenser lediglich im Besitz eines regulären, politisch unbedeutenden Beobachterstatus. Sollte die UN-Vollversammlung wie erwartet für die sogenannte Vatikanoption stimmen, wäre Palästina ein 'nicht-staatliches Mitglied'. "Wir würden dann als Staat akzeptiert, hätten jedoch nicht die volle Mitgliedschaft, wie sie nur der UN-Sicherheitsrat beschließen darf", erläuterte Shaath unlängst gegenüber Journalisten.

Vielen politischen Beobachtern ist im Verlauf der vergangenen zwei Jahrzehnte klar geworden, dass die Palästinenser definitiv mit dem Oslo-Rahmenabkommen brechen und alternative Strategien entwickeln müssen, um die USA im Sinne einer fairen Entscheidung aus der Reserve zu locken. Der Friedensvertrag von 1993 zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und Israel führte zur Gründung der Palästinenserbehörde, bewirkte den Abzug der israelischen Streitkräften aus Teilen der besetzten Gebiete und gab die künftigen Beziehungen zwischen den Kriegsparteien vor.

Kritik an US-Friedensvermittlungsbemühungen

Wie Moin Rabbani, Gaststipendiat beim Institut für palästinensische Studien in Washington, erklärte, lassen die USA als Friedensvermittler die nötige Unvoreingenommenheit vermissen und hätten der palästinensischen Selbstbestimmung deshalb eher geschadet. Seiner Meinung nach gilt es die USA insbesondere für ihre systematische Unterstützung der israelischen Straffreiheit in deren rechtswidrigem Umgang mit den Palästinensern anzugehen.

Shaath wies darauf hin, dass Israel eineinhalb Jahre warten musste, um als volles UN-Mitglied anerkannt zu werden. Mazedonien benötigte neun Monate und der Südsudan nur zwei Tage. Auch betonte er, dass Palästina bereits von neun Staaten - China, Indien, Russland, Libanon, Südafrika, Brasilien, Bosnien-Herzegowina, Gabun und Nigeria als vollwertiger Staat anerkannt wurde. Allerdings stünden einige dieser Länder unter einem enormen Druck, bei der Abstimmung über die Resolution zugunsten eines palästinensischen Staates sich ihrer Stimme zu enthalten oder dagegen zu stimmen.


"Wir beantragen aber nicht den Beitritt zur Mafia oder Al-Kaida"

Shaath zufolge sind sich die Palästinenser der Tatsache bewusst, dass in den USA im nächsten Jahr Wahlen stattfinden, die dem Präsidenten gewisse Zugeständnisse abverlangten. "Wir beantragen aber nicht den Beitritt zur Mafia oder Al-Kaida", meinte er. "Wir wenden uns an die Vereinten Nationen, von denen Herr Obama (in der vorletzten Septemberwoche vor der UN-Vollversammlung) so eloquent und großartig gesprochen hat."

Rabbani zufolge dürften die Palästinenser nicht erwarten, bei einer Anhörung vor dem ICC fair behandelt zu werden. Bisher beschränkte das Tribunal sein Mandat lediglich auf die Verfolgung von afrikanischen Menschenrechtsverbrechern. Unter diesen Umständen sei es unwahrscheinlich, dass Fälle im Zusammenhang mit israelischen Kriegsverbrechen zugelassen würden.

Diese Realität könne jedoch anders werden, wenn die Palästinenser eine gemeinsame Kampagne für eine Internationalisierung der palästinensischen Frage starten und Alternativvorschläge vorbringen würden, so Rabbani, ein Redakteur des unabhängigen Online-Magazins 'Jadaliyya', das vom Institut für Arabische Studien veröffentlicht wird. Mit einem solchen Vorstoß könnte die Monopolstellung von Israel und den USA der Nahostdiplomatie gebrochen werden. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2011