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NAHOST/974: Die Parlamentswahlen in Israel und ihre Auswirkungen auf die israelische Linke (spw)


spw - Ausgabe 1/2013 - Heft 194
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Die Parlamentswahlen in Israel und ihre Auswirkungen auf die israelische Linke: Eine Analyse

Von Uri Zaki



Die Parlamentswahlen in Israel im vergangenen Januar waren ein schwerer Schlag für Premierminister Netanyahu. Er wird zwar die nächste Regierung bilden, jedoch politisch und öffentlich wesentlich schwächer sein als in der vorherigen Koalition. Trotzdem die Linke die Wahlen nicht gewonnen hat gelang ihr ein bedeutsamer Zuwachs mit Auswirkungen auf die kommenden Parlamentswahlen. Die großen sozialen Proteste im Sommer 2011 bilden den Unterton, der zu diesem Ergebnis geführt hat. Die Frustration der israelischen Mittelklasse richtet sich gegen die Politik der bisherigen Netanyahu-Koalition: eine trotzige Position gegenüber der Welt im Israelisch-Palestinensischen Konflikt und die Ausweitung der Siedlungspolitik; die Verhinderung einer iranischen Atomwaffe; Angriffe auf die Linke, die Israelisch-Palästinensische Bevölkerung, die Justizgewalt und andere demokratische Institutionen; eine Allianz mit der Ultra-Orthodoxen Gemeinschaft; die Betonung von Israels makroökonomischer Bedeutung trotz der Weltwirtschaftskrise.

Nach den Protesten von 2011 teilt die israelische Mittelklasse diese Prioritätenliste nicht. Viele haben angesichts anhaltend steigender Lebenshaltungskosten und stufenartig schwindender Sozialleistungen keinen Anlass, sich über die Makroökonomie zu freuen. Sie möchten, dass Israel ein Teil der westlichen demokratischen Welt bleibt und sich nicht in Angriffe auf demokratische Institutionen, ethnische Minderheiten oder politische Rivalen verstrickt, und dass Israel nicht sein wichtigstes Bündnis mit den USA aufs Spiel setzt, dessen wiedergewählter Präsident seine Unzufriedenheit mit Netanyahu und seinen Positionen gezeigt hat.

Der Mitte-Links Block besteht aus den Netanyahu widerstreitenden Parteien: der sozialdemokratischen Arbeitspartei und der linken Meretz, den Parteien der Mitte, bestehend aus der Kadima und den neuen Parteien "die Bewegung", geleitet von der früheren Vorsitzenden der Kadima, Zipi Livni, und "Yesh Atid" unter dem Vorsitz des ehemaligen TV Moderators und Kolumnisten Yair Lapid. Die dritte Komponente bilden die arabischen Parteien - Hadash - eine kommunistsiche Partei, die als einzige eine aktive jüdische Gruppe aufweist, die islamische und die national-säkulare Liste (Balad).

Die Wahl der ehemaligen TV-Moderatorin und kritischen Journalistin Shelly Yechimovich zur Vorsitzenden brachte der Arbeitspartei frische Energie, die sich immer noch von der Spaltung unter dem Vorsitz des Verteidigungsministers Ehud Barak erholte. Als Folge traten viele junge Teilnehmer der Proteste von 2011 in die Partei ein. Yechimovich entschied sich, die Aussagekraft ihrer Partei auf soziale Aspekte zu legen und distanzierte sich von jeglichen Themen, die mit dem Israelisch-Palästinensischen Konflikt verbunden sind. Es hatte den Anschein, als bestünde ihre Strategie darin, die rechtsgerichteten Wähler mit einer harten Position in diesem Konflikt zu gewinnen, und scharf der neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik von Netanyahu zu widersprechen. Yechimovich ging mit der zweitstärksten Partei in den Wahlkampf, mit über 20 Sitzen. Es gelang ihr nur, 15 Sitze zu gewinnen - das schlechteste Ergebnis seit Barak, der vier Jahre zuvor nur 13 Sitze gewinnen konnte.

Meretz startete aus einer sehr schwachen Position, erhielt in den vorherigen Wahlen lediglich drei Sitze und drohte an der Hürde zum Einzug ins Parlament zu scheitern. 2012 wurde Zehava Galon zur Parteivorsitzenden gewählt, eine bekannte Streiterin für Menschenrechte und Stimme gegen Militärangriffe. Die Linke Israels, als welche sich die Partei selbst bezeichnet, zog zahlreiche enttäuschte Wähler der Arbeitspartei an, die ihre Friedensbotschaft nicht aufgeben wollten und die Selbstdefinition der Arbeitspartei als "nicht-Links" ablehnten. Meretz gelang eine Verdoppelung ihrer Abgeordneten - mit sechs Sitzen in der Knesset.

Die Wahlen im Januar 2013 widerlegten die verbreiteten Vorstellungen, wonach die Israelische Rechte aus geografischen oder nationalistischen Gründen zum Regieren bestimmt sei. Sie verdeutlichten die Relevanz einer sozial-demokratischen Agenda in Israel. Die sozialen Proteste zeigen sich im Wahlverhalten der israelischen Mittelklasse. Die Ansichten der aus dem Amt scheidenden Netanyahu-Koalition erwiesen sich als unpopulär unter den Israelis.

Es ist wichtig, dass Europa, insbesondere Deutschland seine unabhängige Linie beibehält, beispielsweise wie im Fall der UN-Abstimmung über die Eigenstaatlichkeit Palästinas im vergangenen November. Die israelische Öffentlichkeit versteht diese Botschaft und kauft Netanyahu die Behauptung nicht ab, dass alle Welt gegen Israel sei. Eine unabhängige europäische Politik wird ebenfalls die US-Administration dazu bewegen, ihre "Hände-weg"-Strategie in dieser Angelegenheit zu vermeiden.

Die politische Linke in Israel sollte die nächsten Jahre dazu nutzen, die neue politische Energie und das Bewusstsein der jüngeren Generation der 20-40jährigen in politische Beteiligung zu übersetzen. Es scheint als sei die israelische Mittelklasse bereit, Israel zurückzufordern, das in den letzten Jahrzehnten zum Extrem getrieben wurde.

Es ist ein bedeutsames Problem, dass die Arbeitspartei zum zweiten Mal in Folge nicht mehr zweitstärkste Partei wurde. Um sich als Alternative zum Likud wieder aufzustellen, muss sie sich als Partei mit ausgeprägter sozialer und politischer Programmatik wiederherstellen.

Meretz ist in einer guten Position, um bei den kommenden Wahlen eine noch bedeutendere politische Kraft zu werden, mit einer deutlich linken Programmatik, einer starken Mitgliederbasis und einer verjüngenden Wirkung der landesweiten Beteiligung von Aktivisten. Dies wird dabei helfen, Stimmen zu gewinnen und den Mitte-Links Block insgesamt vergrößern.

(Der Artikel ist eine stark gekürzte Fassung. Der vollständige Text steht unter www.spw.de zum Download bereit.)


Uri Zaki ist Direktor des Büros der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem USA in Washington DC. Er kandidierte auf der Liste der Meretz-Partei bei den jüngsten israelischen Parlamentswahlen.

Kurzfassung und Übersetzung: Sascha Howind

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 1/2013, Heft 194, Seite 4-5
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2013