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NAHOST/993: Ägypten - Mursi unter Beschuss, Muslimbruderschaft wird Spaltung des Landes vorgeworfen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Juni 2013

Ägypten: Mursi unter Beschuss - Muslimbruderschaft wird Spaltung des Landes vorgeworfen

von Hisham Allam und Corina Kolbe


Bild: © Hisham Allam/IPS

Mursi-Anhänger demonstrieren vor dem Parlament
Bild: © Hisham Allam/IPS

Kairo/Berlin, 28. Juni (IPS) - Ein Jahr nach der Amtsübernahme des ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi zeichnet Amnesty International (AI) ein düsteres Bild der Menschenrechtslage. Die Ägypten-Expertin Alexia Knappmann spricht von einer "ernüchternden" Bilanz. "In einigen Bereichen hat sich die Menschenrechtslage im ersten Amtsjahr von Mohamed Mursi sogar verschlechtert."

Mursi habe die "historische Chance verpasst, mit der Praxis von Willkür, Folter und der Unterdrückung abweichender Meinungen der Regierung Mubarak konsequent zu brechen", erklärte Knappmann in einer am 28. Juni verbreiteten Mitteilung. Polizei und Militär gingen mit "unverhältnismäßiger und zum Teil tödlicher Gewalt" gegen Demonstranten vor, kritisierte sie. Die Täter würden in den meisten Fällen nicht zur Rechenschaft gezogen.

Für den 30. Juni haben Mursis Gegner zu Massenprotesten im Land aufgerufen. Millionen Ägypter haben sich der 'Tamorrod'-Kampagne angeschlossen, die vorgezogene Neuwahlen fordert. Khalid Ali, ehemaliger Präsidentschaftskandidat bei den Wahlen 2011, betonte, Mursis Muslimbruderschaft könne die Proteste noch abwenden, wenn sie ernstgemeinte Reformen für alle Bürger und nicht nur für einzelne Bevölkerungsgruppen verkünde. Andernfalls werde der Zorn der Ägypter für Mursi schwer unter Kontrolle zu halten sein.

Als die Muslimbruderschaft an die Macht kam, ging für sie ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Sie hatte Jahre der Unterdrückung hinter sich, und ihre Mitglieder waren seit der Machtübernahme des ehemaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser 1956 bis zum Ende der Herrschaft von Husni Mubarak diskriminiert worden.

Der ehemalige Staatschef Anwar al-Sadat gestand ihnen nach seiner Amtsübernahme 1970 einige Freiheiten zu. Als Sadat 1981 von Islamisten ermordet wurde, musste die Muslimbruderschaft aber wieder Rückschritte hinnehmen.


Politik und Wohltätigkeit

Die Ideologie der größten und ältesten islamistischen Bewegung Ägyptens basiert auf der Lehre ihres Gründers Imam Hassan al-Banna, der sie in den 1920er Jahren ins Leben gerufen hatte. Die Muslimbruderschaft hat islamistische Gruppen weltweit beeinflusst, indem sie politischen Aktivismus mit wohltätiger Arbeit verband. Die Aktivitäten werden durch Zuwendungen ihrer Mitglieder finanziert, die einen Teil ihrer Einkommen an die Bewegung abführen müssen.

Bei den Wahlen 2011 hatte die Muslimbruderschaft 356 von 498 Mandaten errungen. "Trotz ihrer politischen Macht übt sie aber praktisch keine Kontrolle aus", sagte Khalid Ali, der der Bewegung vorwirft, andere islamistische Gruppen auszugrenzen und die Macht in ihren eigenen Händen zu konzentrieren.

Die Islamisten seien "machthungrig und voller Furcht", erklärte er. Bislang hätten sie die Herrschaft nur mit Verbündeten aus dem salafistischen Lager geteilt, mit denen sie den dschihadistischen Hintergrund teilten. Nach Überzeugung von Ali fehlt es der islamistischen Bewegung vielfach an politischer Erfahrung. Wenn sie Regierungsverantwortung übernähmen, drohe ein Zerfall des Staates.

Bei seinem Machtantritt am 30. Juni 2012 ersetzte Mursi hochrangige Staatsbeamte durch Mitglieder der Bewegung. Viele seiner Kritiker werfen ihm vor, das Land in Ägypter und Islamisten gespalten zu haben. Erst am 17. Juni ernannte Mursi 16 neue Gouverneure, von denen sieben der Bruderschaft angehören. Seine Gegner sehen die Umbesetzungen als jüngsten Beweis für das Ansinnen der Bewegung, die Macht auf sich zu ziehen und andere politische Kräfte aus dem Entscheidungsprozess auszuschließen.


Islamist wird Gouverneur von Luxor

Als Gouverneur von Luxor setzte Mursi ein Mitglied der radikalislamischen Gruppe 'Al-Gamaa Al-Islamiya' ein. Dieser Schritt stieß öffentlich auf Proteste, denn dieser Gruppe wird vorgeworfen, 1997 einen Anschlag auf den Hatschepsut-Tempel verübt zu haben, bei dem 58 ausländische Touristen und vier Ägypter getötet wurden.

Die neuen Ernennungen lösten in mehreren Gouverneursbezirken eine Protestwelle aus, in deren Verlauf Unterstützer der Muslimbruderschaft mit ihren Gegnern aneinandergerieten. Diese Entwicklungen führten landesweit zu weiteren Unruhen.

Zuvor hatte Mursi nach wochenlangen Überlegungen Hisham Qandil, ebenfalls ein Vertreter der Bruderschaft, als neuen Regierungschef eingesetzt. Damit hat er sowohl die Exekutive als auch die Legislative in Ägypten radikalen Islamisten überantwortet. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/06/egypt-split-between-egyptians-and-islamists/

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IPS-Tagesdienst vom 28. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2013