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OSTEUROPA/289: Zur Lage in Moldawien - Stand nach den Wahlen am 29. Juli 2009 (Falkenhagen/Queck)


Zur Lage in Moldawien - Stand nach den Wahlen am 29. Juli 2009

Von Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 2. August 2009


Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
In dem vorangegangen Artikel der Autoren wird ausführlich auf die Situation vor den Wahlen eingegangen.
Sie finden diesen Beitrag im Schattenblick unter:
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OSTEUROPA/288: Moldawien - Situation vor den Parlamentswahlen am 29. Juli 2009
(Falkenhagen/Queck)


Zur Parlamentswahl am 29. Juli 2009 traten folgende Parteien an: die Kommunistische Partei (PCRM), die Allianz "Unser Moldawien" (ANM), die Liberaldemokratische Partei (PLDM), die Liberale Partei (PL), die Nationalliberale Partei (PNL), die Demokratische Partei (PDM), die Sozialpolitische Bewegung "Europäische Aktion", die Christlich-Demokratische Volkspartei (PPCD), die Sozialdemokratische Partei (PDS), die Ökologische Partei-Grünes Bündnis, ferner unabhängige Einzelkandidaten. Wahlbündnisse untersagt das Wahlgesetz.

Von diesen 10 Parteien schieden noch eine Woche vor dem Wahltermin die Nationalliberale Partei und die Sozialpolitische Bewegung "Europäische Aktion" aus. Die hatten auf die Teilnahme an der Wahl verzichtet.


Die Parlamentsneuwahlen fanden ohne nennenswerte Störungen am 29. Juli 2009 statt. Die internationalen Wahlbeobachter bestätigten die Korrektheit des Wahlablaufs. An den Wahlen nahmen 58,8 % der Wahlberechtigten teil. Darin eingeschlossen waren auch 5070 Wähler und Wählerinnen aus Transnistrien und etwa 10 000, die derzeit im Ausland wohnen.

Die vorläufigen Wahlergebnisse lauten wie folgt: Die Kommunistische Partei 45,1 %, die Liberaldemokratische Partei 17,4 %. die Liberale Partei 14,4 %, Allianz "Unser Moldawien" 7,4 % und die Demokratische Partei 12,6 %. An der Fünfprozentsperrklausel scheiterten die Christlich-Demokratische Volkspartei mit nur 1,9 %, die Sozialdemokratische Partei mit nur 1,9 % und die Ökologische Partei-Grünes Bündnis mit nur 0,4 % der Wählerstimmen. Auch unabhängige Bewerber scheiterten an der Sperrklausel. Danach ergibt sich folgende Sitzverteilung im Parlament: Die Kommunistische Partei 48, Liberaldemokratische Partei 17, Liberale Partei 15, Allianz "Unser Moldawien" 8 und die Demokratische Partei 13.

In den westlichen Medien wurde das als ein großer Sieg der westlich orientierten Parteien gefeiert. Aber in Wirklichkeit ist die künftige politische Orientierung Moldawiens zunächst offen geblieben. Verloren hat zwar die Kommunistische Partei. Mit 48 statt bisher 60 Abgeordnetensitze ist sie aber dennoch noch die stärkste Partei im Parlament. Die drei Parteien, die bisher im Parlament die Wahl des neuen moldawischen Präsidenten boykottierten - die Liberaldemokratische Partei, die Liberale Partei und die Allianz "Unser Moldawien" - wurden von den Wählern und Wählerinnen aber dafür auch nicht belohnt. Im Gegenteil, statt mit 41 Sitzen sind sie nur noch mit 40 Abgeordneten im Parlament vertreten. Der Westen setzt nun die Hoffnung auf die vierte Oppositionspartei - die Demokratische Partei -, aber deren Orientierung bleibt ungewiss.

Die Kommunisten können mit 48 Abgeordneten die Wahl eines neuen moldawischen Präsidenten, wozu 61 Stimmen notwendig sind, sowie auch eine Verfassungsänderung, wozu es sogar einer Zweidrittelmehrheit (68 Stimmen) bedarf, verhindern. Dann würde der amtierende Präsident Woronin noch mindestens bis Januar 2010 im Amt bleiben können, denn die moldawische Verfassung verbietet mehr als zwei Parlamentswahlen im Jahr. Zudem könnten die vier Parteien - die Liberaldemokratische Partei, die Liberale Partei, die Allianz "Unser Moldawien" auch mit der Demokratischen Partei ohne Auftrag des Staatspräsidenten trotz ihrer einfachen Parlamentsmehrheit keine Regierung bilden. Den Auftrag zur Regierungsbildung kann laut Verfassung nämlich nur der Staatspräsident erteilen. Dieser hat das alleinige Recht, den Premierminister vorzuschlagen, der dann mit einer Mehrheit von mindestens 52 Stimmen zusammen mit seinem Kabinett vom Parlament bestätigt werden muss. Wenn aber wieder kein neuer moldawischer Präsident gewählt werden kann und wenn keine Einigung mit dem amtierende Präsidenten Woronin zustande kommt, entsteht zumindest bis zu Beginn 2010 eine politische Pattsituation.

Es bietet sich somit auch aus pragmatischen Gründen eine Koalition zwischen der Kommunistischen Partei und der Demokratischen Partei an. Beide kommen auf 61 Abgeordnetensitze. Marian Lupu schließt diese Möglichkeit nicht aus. Marian Lupu könnte dann Staatspräsident oder Premierminister einer Koalitionsregierung zwischen der Kommunistischen Partei und Demokratischen Partei werden. Er will aber - zumindest hat er sich am 30. Juli so geäußert - Woronin in keiner Funktion mehr haben, weder in der des Parlamentsvorsitzenden noch in einer anderen wichtigen Funktion. Der 68 jährige Wladimir Woronin müsste also in die politische Pension gehen. Zumal der 1966 geborene Marian Lupu vorher der Kommunistischen Partei in führender Funktion angehörte, ist diese Variante nicht auszuschließen. Er war von 2001 an Vizewirtschaftsminister und ab 2003 Wirtschaftsminister in der von den Kommunisten gestellten Regierung. Am 24 März 2005 wurde er als Abgeordneter der kommunistischen Fraktion mit 65 Stimmen zum Parlamentsvorsitzenden gewählt. Diese Funktion übte er bis zum Mai 2009 aus. Sein Vater, der Mathematik-Professor Ilie Ion Lupu, gilt nach der Auflösung der alten KPdSU als einer der maßgebenden Begründer der neuen Kommunistischen Partei Moldawiens im Jahre 1991. In der Familie von Lupu gibt es also eine kommunistische Tradition.

Käme die Koalition zwischen der Kommunistischen Partei und Demokratischen Partei zustande, wäre die moldawische Staatskrise schnell gelöst. Marian Lupu gilt allerdings auch als ein Verfechter einer weiteren Sozialdemokratisierung der Kommunistischen Partei. Er ist aber kein Gegner Russlands - er hatte u.a. nach einer vierjährigen Aspirantur an der Moskauer Staatsuniversität 1991 dort den Titel eines Doktors der Ökonomie erworben und beherrscht und spricht perfekt Russisch. Einen Anschluss Moldawiens an Rumänien lehnt er ab. Sein Verhältnis zur EU und NATO gilt als ambivalent, obwohl er eine gute Zusammenarbeit mit EU-Staaten pflegt - er war z. B. von 1992 bis 2000 Exekutivdirektor des Programms TACIS-Moldawien und beherrscht auch Englisch und Französisch.

Denkbar ist aber auch, dass die vier nichtkommunistischen Parteien im Parlament versuchen werden, eine Regierungskoalition zustande zubringen und dass sie sich für die Wahl des Staatspräsidenten aus ihren Reihen mindestens 8 Stimmen von der Kommunistischen Partei im Parlament besorgen. In diesem Fall käme aber sicherlich nur Marian Lupu als neuer moldawischer Präsident in Betracht.


Quellen:
www.moldova.md
http:ro.wikipedia.org/wiki/Marian_Lupu

Berlin, 2. August 2009


Über die Autoren

Brigitte Queck ist ausgebildete Wissenschaftlerin auf dem Gebiet Außenpolitik und als Fachübersetzer Russisch und Englisch sowie publizistisch tätig. Seit 10 Jahren leitet sie den Verein "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg".
Brigitte Queck hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkel.

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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Quelle:
Copyright 2009 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2009