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OSTEUROPA/303: Erneuerung der Regierungsstrukturen in Moldawien (Falkenhagen/Queck)


Erneuerung der Regierungsstrukturen in Moldawien
Zur Bildung der neuen moldawischen Machtstrukturen

Übersetzung aus dem Russischen - mit einer Anmerkung
von Hans Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 18. Oktober 2009


Erneuerung der Regierungsstrukturen in Moldawien (russ.) Zur Bildung der neuen moldawischen Machtstrukturen

Von Valerij Vyzutovic (politischer Kommentator), 16. Oktober 2009


In Moldawien formiert sich eine neue Macht. Die regierende "Allianz für europäische Integration", die aus vier Parteien besteht, nimmt allmählich die wesentlichen Staatsposten ein: Gewählt wurden bereits der Parlamentsvorsitzende Mihai Ghimpu, der Führer der Liberalen Partei ist (er nimmt auch gemäß der Verfassung provisorisch die Funktion des Staatspräsidenten wahr) und als Premierminister der Führer der Liberaldemokratischen Partei, Vlad Filat. Und am 23. Oktober 2009 soll der neue Staatspräsident gewählt werden. Für diesen Posten hat die Allianz den Führer der Demokratischen Partei, Marian Lupu, nominiert. Für seine Wahl verfügt die Allianz über 53 Mandate im Parlament. Für die Gültigkeit der Wahl ist eine Dreifünftelmehrheit, d.h. es sind mindestens 61 Stimmen im 101-köpfigen Parlament erforderlich. Es fehlen der Allianz 8 Mandate. Die Kommunistische Partei befindet sich mit 48 Mandaten in einer Minderheit. Sie will die Abstimmungsprozedur blockieren (es ist deswegen fraglich, ob Marian Lupu gewählt werden kann). Wenn die Abgeordneten bis zum 11. November (an diesem Tag läuft die Frist von zwei Monaten ab, bis zu der nach dem Rücktritt von Wladimir Woronin laut Verfassung ein neuer Präsident gewählt sein muss. Damit wäre die Amtsdauer des Übergangspräsidenten Ghimpu abgelaufen) keinen neuen Präsidenten gewählt haben, müsste sich das Parlament auflösen und vorfristige Neuwahlen anberaumen. So sieht es die Verfassung vor. Die politische Krise in Moldawien (sie begann bereits im Frühjahr 2009 und ist bis heute nicht gelöst) kann in eine neue Stufe eintreten.

In der vergangenen Woche traf in Chisinau der russische Präsident Dimitrij Medwedjew ein. Er nahm an dem dort stattfindenden Gipfeltreffen der GUS-Staaten teil. Für den russischen Präsidenten bestand bei dieser Reise ein weiteres Ziel darin, die Gelegenheit zu nutzen, um die neuen Personen der moldawischen Politik in Augenschein zu nehmen. Er sprach mit dem Parlamentsvorsitzenden Mihai Ghimpu, und er hatte auch ein Treffen mit dem Präsidentschaftskandidaten Marian Lupu. Bei dem Gespräch mit ihnen sagte er: "Ich möchte mit Ihnen unsere beiderseitigen Beziehungen erörtern, weil ich in Chisinau weile und es nicht richtig wäre, nicht darüber zu reden. Bei Ihnen im Lande formiert sich eine neue Macht und wir sind an freundschaftlichen Beziehungen interessiert. Im Verlauf eines Besuches in einem anderen Lande trifft man sich mit maßgebenden Politikern, auch wenn sie keine staatlichen Ämter bekleiden (Marian Lupu hat bis jetzt nur den Status eines Parlamentsabgeordneten). Darin liegt nichts Außergewöhnliches". Zudem kann die Aufmerksamkeit von Dimitrij Medwedjew gegenüber dem Kandidaten auf den Posten des höchsten Staatsamtes in Moldawien den Ausgang der Abstimmung teilweise beeinflussen. In jedem Fall gab Moskau zu verstehen, dass es bereit ist, mit der neuen moldawischen Führung einen Dialog zu führen. Ein bemerkungswertes Detail war, dass der in Chisinau befindliche Medwedjew keine Möglichkeit fand, mit dem Expräsidenten Wladimir Woronin zu sprechen, obgleich dieser darum gebeten wurde.

Bedauert man in Moskau, dass Wladimir Woronin nicht mehr Staatsoberhaupt von Moldawien ist? Weder ein eindeutiges Ja, noch ein eindeutiges Nein ist hier angebracht. Woronin war für Moskau ein schwieriger Gesprächspartner. Zeitweilig waren die Beziehungen unerträglich. Die russisch-moldawischen Beziehungen gingen 2003 auf einen Tiefpunkt, als Woronin nach einem Gespräch mit Vertretern der OSZE im letztem Moment davon Abstand nahm, ein schon mit Moskau abgestimmtes Dokument (bekannt wurde es als Kosakenmemorandum) zu unterzeichnen, das die Bildung einer asymmetrischen Föderation mit dem zum moldawischen Staat mit den Rechten einer Autonomie gehörenden Transnistrien und Gagausien vorsah. Danach kühlten sich die Beziehungen zwischen Moskau und Chisinau immer mehr ab. Den niedrigsten Grad der Beziehungen erreichte man, als Woronin erklärte: "Die russische militärische Gruppierung in Transnistrien dient als letzte Bastion der Separatisten" und er hinzufügte: "Wir haben keine verdeckten Vermittler nötig". Ja es gab eine Zeit, als sich Moldawien im schnellen Tempo von Russland entfernte. Auf der anderen Seite führte sich auch Russland in Moldawien auf, als ob es nicht merkte, dass sein Nachbar wohlwollend den Komplex des "jüngeren Bruders" hinter sich gelassen hatte und immer selbstsicherer seine eigenen Interessen wahrnahm, die nicht immer mit den russischen Interessen zusammenfielen. Aber in letzter Zeit fanden Moskau und Chisinau immer öfter Wege der Annäherung. Und selbst Wladimir Woronin wurde seit einiger Zeit dem früheren Wladimir Woronin entschieden unähnlich. Die kommunistische Herkunft störte ihn überhaupt nicht dabei, sich eifrig in den Dienst der Eurostrukturen zu stellen. ... Der Dialog mit Moskau intensivierte sich seit 2008 wieder.

Aber die von Woronin geführte Kommunistische Partei konnte die Macht nicht behaupten. Bei den außerordentlichen Wahlen am 29. Juli 2009 verschlechterte sich seine Position. Die Kommunisten verloren im Parlament sogar die einfache Mehrheit der Stimmen gegenüber den Oppositionsparteien (sie haben nur noch 48 Abgeordnete gegenüber 60 nach den Wahlen im April). An die Macht kamen andere Leute. Was ist von ihnen zu erwarten? Diese Frage interessiert jetzt Moskau sehr. Es will wissen, wohin Moldawien von den neuen Führern geführt wird. Tritt Moldawien aus der GUS aus? Vereinigt es sich mit Rumänien? Strebt es die Mitgliedschaft in der NATO an?

Muss man pro-russischen Politikern in der regierenden Koalition sofort Adieu sagen? Es zeigt sich, der Vorsitzende des Parlaments Mihai Ghimpu, war einer der Gründer der "Volksfront von Moldawien", die für die Vereinigung mit Rumänien eintrat. Jetzt ist er der Führer der Liberalen Partei, die einen pro-rumänischen und rumänisch- nationalistischen Ruf hat. Unlängst erklärte Ghimpu, dass in Moldawien und Rumänien Menschen leben, die die gleiche Sprache sprechen, sowie eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Kultur haben. Richtig ist, eine Vereinigung mit Rumänien kann nur über ein Referendum erfolgen. Die Verfassung sieht das so vor, das stellte Ghimpu fest. Dabei versicherte Ghimpu auch, dass die neue Regierung nicht beabsichtigt, den Kurs der früheren Regierung zur Zusammenarbeit mit Moskau zu ändern. Ein anderer Vertreter der Koalition, Premierminister Vlad Filat, ruft nicht zur Wiedervereinigung mit Rumänien auf. Er besteht nur auf der energischen Integration von Moldawien mit Europa und betont ständig, dass Moldawien ein unabhängiger und souveräner Staat ist. Aber er sagt auch, dass er für die Entwicklung der Beziehungen mit Russland eintritt. Freundschaft mit Russland zu halten, das versprach auch der Führer der Demokratischen Partei und Präsidentschaftskandidat Marian Lupu, das gemäßigste Mitglied der Koalition.

Aber mit gleichen Absichtserklärungen und Versicherungen traten auch anfangs Juschtschenko in der Ukraine und Saakaschwili in Georgien auf, und das nicht nur sie. Jede Änderung der Macht im postsowjetischen Raum ist mit Referenzen in Richtung Moskau verbunden und dann kam es oft anders. Jetzt ist jetzt und was dann? Die neue moldawische Regierung besteht schon jetzt auf dem Abzug der russischen Truppen aus Transnistrien. Ihrer Meinung nach beschleunigt das den Prozess der friedlichen Reglung der Transnistrienfrage. Für die Notwendigkeit, das Format und die Zusammensetzung der Friedensoperationen in Transnistrien zu ändern, sprachen sich der Parlamentsvorsitzende und provisorische Staatspräsident Mihai Ghimpu und ebenso der Premierminister Vlad Filat aus.

Jetzt kommen auf Moskau neue Gesprächspartner in Sachen eines alten Problems, eines alten Themas zu. Die Position Moskaus dazu ist bekannt, die russischen Truppen schützen Lager mit Munition und Kampfausrüstung und werden bis jetzt nicht abgezogen, unsere Militäreinheiten bleiben dort. Wieviel Zeit bedarf es, um diese Militärgüter zu übergeben - Experten sagen, drei Jahre. Aber der Wesenskern der Sache besteht natürlich nicht darin: Russland kann seine Truppen nicht aus Transnistrien abziehen, solange es von Moldawien nicht die sichere Garantie erhält, dass es ein neutraler Staat bleibt. Solche Garantien forderte Medwedjew bei seinen Gesprächen in Chisinau vom Vorsitzenden des moldawischen Parlaments und vom Präsidentschaftskandidaten.

Mihai Ghimpu erklärte, dass es dem Wesen nach um den in offiziellen Dokumenten garantierten, verankerten Verzicht Moldawiens auf einen Beitritt zur NATO geht. Im Fall eines offiziellen Verzichts könnte Russland sicherlich der Wiederherstellung der territorialen Integrität Moldawiens auf dem Wege zu seiner Verwandlung in einen neutralen föderativen Staat, auf dessen Territorium sich keine ausländischen Truppen befinden, zustimmen. Aber ist es so wichtig für Moskau, dass Moldawien sich verpflichtet, nicht dem nordatlantischen Bündnis beizutreten? Ein Land mit nichtregulierten territorialen Problemen wird ohnehin nicht in die NATO aufgenommen. Aber mit dem Abzug seiner Truppen aus Moldawien kann Russland seinen Einfluss in der Region ernsthaft schwächen und es wird in jedem Fall sicherlich darüber intensiv nachdenken, ob es sich lohnt das zu tun.

Im Allgemeinen beginnt die neue moldawische Führung ihren Dialog mit Moskau da, wo die vorhergehende Führung endete. Wie produktiv sich dieser Dialog erweisen wird, ist derzeit schwer vorauszusagen, aber er verspricht nicht leicht zu werden.

Quelle Rossiskaja Gazeta, Moskau, vom 16. Oktober 2009
www.rg.ru/2009/10/16/vijutovich.html
Übersetzer: Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen


Kommentar von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck

Transnistrien (auch Dnjestr-Republik genannt), mit der Hauptstadt Tiraspol und mit einer Fläche von 2500 Quadratkilometern sowie etwa 600.000 Einwohnern, hat sich 1992 nach schweren militärischen Kämpfen von Moldawien abgespalten. Begründet wurde das mit dem Fakt, dass die Bevölkerung dieses Teils der ehemaligen Sozialistischen Sowjetrepublik Moldawien fast ausschließlich aus Russen und Ukrainern besteht. In der Tat gehört das im Wesentlichen rechts des Flusses Dnjestr gelegene Transnistrien ethnisch und kulturell nicht zu Moldawien. Das gilt allerdings auch für Gagausien, das auf föderativer Basis mit Moldawien vereinigt ist. Transnistrien hat seit dem 1. Dezember 1991 Igor Smirnow als Präsidenten. Er wurde seitdem mehrfach wiedergewählt. Das transnistrische Parlament besteht aus 43 Abgeordneten.

Für die staatliche Unabhängigkeit Transnistriens hatte sich die Bevölkerung in einer Volksabstimmung erneut im Jahre 2006 mit über 90 % entschieden. Die russische Regierung bezeichnete die Abstimmung als demokratischen Ausdruck des Volkswillens. Breite internationale Anerkennung hat die Regierung in Tiraspol bis jetzt dennoch nicht gefunden.

In Transnistrien befinden sich etwa 2000 russische Soldaten. Mit russischer Unterstützung wurden aber auch starke transnistrische Selbstverteidigungskräfte aufgebaut. Die neue moldawische Führung fordert nun den sofortigen Abzug der russischen Truppen, die Auflösung der Selbstverteidigungskräfte von Transnistrien, sowie den Einsatz von sog. Friedenstruppen unter der Regie der EU.


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Quelle:
Copyright 2009 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2009