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OSTEUROPA/344: Moldawien - politische Krise hält trotz Parlamentswahlen an (Falkenhagen/Queck)


Nach erneuten vorfristigen Parlamentswahlen in Moldawien am 28. November 2010 hält die politische Krise an

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 30. November 2010


Es stellten sich 20 Parteien und 19 Direktkandidaten zur Wahl. Beendet werden sollte die Pattsituation zwischen den sog. "pro-europäischen Kräften" und den "Kommunisten", wie man dies in den westlichen Medien benannte, obwohl diese Alternative, genau genommen, politisch gar nicht stand. Seit April 2009, als reguläre Wahlen stattfanden, mussten die Wähler nunmehr mit zwei weiteren außerordentlichen Wahlen innerhalb von weniger als zwei Jahren zum dritten Mal an die Wahlurnen, weil das Parlament sich für die Wahl eines Staatspräsidenten nicht als mehrheitsfähig erwiesen hatte. Es ging auch dieses Mal darum, dass im Parlament eine solche von der Verfassung geforderte Dreifünftelmehrheit (mindestens 61 Abgeordnete) zustande kommen kann. Es geht aber auch weiter darum, ob Moldawien ein unabhängiger, freier demokratischer und sozialer Staat bleiben kann oder unter den Herrschaftsbereich der NATO, der krisengeschüttelten EU und des in der wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe gelandeten Rumäniens geraten soll. Es sind nicht nur die Kommunisten, die für Unabhängigkeit, Freiheit und soziale Marktwirtschaft antraten. Für dieses Ziel trat u.a. auch die Humanistische Partei an. Diese Werte stehen nun nach dem bekannt gegebenen Wahlergebnis weiter in Frage. Verfehlt wurde auch wieder das Ziel, in Bezug auf die Wahl eines Staatpräsidenten auf der Grundlage der geltenden Verfassung mehrheitsfähig zu werden. Transnistrien (die Dnestr-Republik) boykottierte die Wahl als undemokratisch.

Immerhin konnten trotz massiver Hilfen im Wahlergebnis westliche Interessen nicht voll durchgesetzt werden. Ein wichtige Rolle spielte dabei, dass das Nachbarland Rumänien, besonders seit zwei Jahren, absolut nicht mehr ein irgendwie erstrebens- und nachahmenswertes Vorbild für die Moldawier liefert, seitdem dort Lohn- und Rentenkürzungen sowie die Schleifung des an sich schon bisher kläglichen Sozialsystems allgemeine Merkmale einer radikalen Sparpolitik, genannt Politik der Konsolidierung, speziell der Budgetkonsolidierung, geworden sind. Und auch die im EU-Bereich und in anderem westlichen Ausland arbeitenden Auslandsmoldauer bekamen die Folgen der westeuropäischen Finanz- und Wirtschaftskrise heftig zu spüren und konnten weniger Geld an ihre Verwandten und Freunde in Moldawien überweisen.

Im Wahlkampf zeigte sich deutlich die Polarisierung der politischen Kräfte des Landes.

Für Aufgabe der nationalen und sozialen Interessen Moldawiens und ihre Abtretung an Brüssel und Bukarest als dessen Unterstatthalter stehen insbesondere der bisher amtierende Premierminister Vlad Filat mit seiner Liberaldemokratischen Partei und noch prononcierter der bisherige Parlamentspräsident und Interims-Präsident Moldawiens, Michai Ghimpu mit seiner Liberalen Partei. Beide verkündeten in ihren Wahlprogrammen die bekannten leeren Phrasen von Freiheit, Demokratie und Wohlstand, wobei sie in Wirklichkeit Antidemokraten sind und Wohlstand nur einer auserwählten Klasse von Bankern, Börsianern Geldabzockern, Großaktionären und Großunternehmern sowie Managern zugestehen. Und sie stehen für den NATO-Beitritt. Vorerst hat der USA-Senat deswegen schon die intensive Unterstützung dieser beiden Politiker beschlossen und man ließ für sie auch beträchtliche Geldmittel springen. Diese finanzielle Unterstützung floss auch auffallend reichlich aus dem EU-Bereich. In diesem Zusammenhang ist z. B. die Losung "Für die Stabilisierung und Konsolidierung Moldawiens" reine Augenauswischerei. Richtig benannt ist nur das Ziel "Eingliederung in den Raum der europäischen Werte", wenn man weiß, dass diese im Grunde dem Wesen nach nur die Werte der Ausbeuter und Geldabzocker des parasitären Kapitalismus sind und nicht die Werte der Volksmassen. Die Losung "Für ein Moldawien ohne Armut" ist in diesem Zusammenhang nur auf Volksbetrug angelegt und stellt reine Heuchelei dar. Bei Ghimpu geht es noch ganz prononciert vordergründig um die Alternative "Ost oder West, niemals wieder die Kommunisten an die Macht lassen" oder die verlogene Phrasen "Zukunft oder Vergangenheit" und "Europa oder Nicht-Europa". Er ist zudem Anhänger einer Vereinigung mit Rumänien, d. h. er tritt ganz offen für die Wiedererstehung eines Großrumäniens ein. Dahinter steckt diktatorisches Gehabe und das dünkelhafte rassistische Denken imperialer Politiker. Im Klartext sagen sie u.a. aus, dass alles, was über eine bestimmte europäische Grenze östlich hinausgeht, keine Zivilgesellschaft, nur noch Wildnis mit minderwertigen Menschen sei.

Der Führer der Demokratischen Partei hebt sich da schon etwas vernünftiger ab. Marian Lupu hatte in seinem Wahlprogramm das Ziel gesetzt, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden und dabei auch die Kommunisten und die russisch orientierte Humanistische Partei einzubinden. Er wäre auch für Russland ein Kompromisspolitiker, da er nach seinen Wahlaussagen nicht den Austritt Moldawiens aus der GUS anstrebt und entsprechend der verfassungsmäßigen Neutralitätsverspflichtung Moldawiens gegen seinen Beitritt zur NATO ist. Allerdings hängt nun vieles von seinem weiteren Verhalten ab. Offen ist, ob er und seine Demokratische Partei voll ins westliche Lager abschwenken oder ihre Wahlversprechen einhalten, dass Moldawien kein NATO- und EU-Land werden soll und soziale Rechte voll gewahrt werden.

Für den Ausgang der Parlamentswahlen gab es zunächst u.a. folgende Prognose: Liberaldemokratische Partei von Premierminister Filat 22,7 %, Demokratische Partei von Marian Lupu 12,1 %, Liberale Partei des amtierenden Parlamentspräsidenten und Staatspräsidenten ad interim Mihai Ghimpu 10,9%, Allianz "Unser Moldawien" unter Serafim Urechean 7 % und Humanistische Partei unter Valeriu Pasat 5,5 %. Die Kommunistische Partei unter Vladimir Woronin hätte 32,1 %. erreicht. In diesen Größenordnungen bewegten sich fast alle Prognosen.

Das vorläufige amtliche Endergebnis brachte dann eine Überraschung. Die Kommunistischer Partei (PCRM) erlangte 39,29 %, die Liberaldemokratische Partei (PLDM) 29,38 %, die Demokratische Partei (PDM) 12,72 % und die Liberale Partei (PL) 9,96 %. Alle übrigen Parteien sollen an der 4-Prozent-Hürde gescheitert sein.
Die Wahlbeteiligung lag am 28. Oktober 2010 bei 2,65 Millionen Wahlberechtigten bei 59.10 %.

Die Sitzverteilung im Parlament ergibt sich mit dem Wahlausgang vom 28. November 2010 nach dem vorläufigen Endergebnis wie folgt: Kommunistische Partei 42, Liberaldemokratische Partei 32, Demokratische Partei 15 und Liberale Partei 12. Die Allianz "Unser Moldawien" unter Serafim Urechean flog aus dem Parlament raus und wurde damit für ihre rechtsextremistischen Positionen abgestraft. Für die laut geltender Verfassung notwendige Mehrheit von mindestens 61 Abgeordneten (Drei-Fünftel der Abgeordnetenmandate von 101) zur Wahl eines Staatsoberhaupts gibt es wieder keine realen Mehrheitsverhältnisse. Das heißt, die Wahl eines Staatspräsidenten ist erneut blockiert und die politische Krise wird sich fortsetzen, wenn keine Übereinkunft mit den Kommunisten über eine Verfassungsänderung erzielt werden kann. Die parlamentarische Pattsituation und damit das Dilemma der "moldawischen Demokratie" würden damit andauern. Allerdings könnte das gerade den Herren Filat und Ghimpu andererseits durchaus zurecht kommen, denn ein politisches Desaster ist ihnen erst einmal erspart geblieben. Sie werden sicherlich versuchen, mit provisorischen, auch verfassungswidrigen Lösungen über die Runden zu kommen und ihre Macht weiter sichern wollen, denn eine Übereinkunft der Kommunistischen Partei mit der Demokratischen Partei über die Wahl eines Staatspräsidenten und eine Regierungskoalition mit einfacher parlamentarischer Mehrheit werden sie zu verhindern trachten..

Vergleich zu den Ergebnissen der Parlamentswahlen im Jahr 2009 (Abgeordnetensitze):


April 2009
Juli 2009
November 2010
PCRM 60
48
42
PLDM 15
17
32
PLM 15
15
12
AMN 11
8
-
PDM -
13
15

Der Vergleich der Wahlergebnisse zeigt eindeutig, wie bürgerliche Wahlen manipulationsanfällig und zunehmend ein Ergebnis auch von tatsächlichen Manipulationen sind. Und die Parteien von Filat und Ghimpu haben ihre Manipulationsmöglichkeiten auch mit westlicher Unterstützung jetzt am 28. November 2010 offensichtlich reichlich genutzt, so dass eine Mehrheit moldawischer Bürger entweder überhaupt nicht zur Wahl ging oder eben gegen ihre eigenen Bürgerinteressen ihre Stimmen abgab. Und zurecht vermutet werden auch massive Fälschungen, was sich insbesondere in der Ausbootung kleinerer Partei zeigt, denen die reale Chance genommen wurde, die 4-Prozent-Wahlhürde zu überspringen. Und einen Stimmenklau vermutet man auch gegenüber der Kommunistischen Partei unter Vladimir Woronin und sogar gegenüber der Demokratischen Partei von Marian Lupu, dem jetzt die Möglichkeit genommen werden soll, zusammen mit den Kommunisten auf der Grundlage eines Kompromisses zur Wahl eines Staatsoberhaupts zu kommen. Man wollte bei dem sich abzeichnenden Sieg der demokratischen und sozialen Kräfte zumindest dafür sorgen, dass klare Mehrheitsverhältnisse zu deren Gunsten ausblieben. Das Finanz- und Bankkapital, das um Machterhalt und Machtgewinn kämpft, erwies sich wieder einmal zu allem fähig. Naiv wäre es, irgendwelchen echten demokratischen Werten zu vertrauen. An echte Demokratie zu glauben, erweist sich immer mehr als Glauben an Wunder. Das zeigen auch die letzten Wahlen in Moldawien. Nicht nur die Kommunistische Partei (PCRM), sondern auch andere kleinere Parteien haben bereits offiziell Beschwerde wegen Wahlfälschungen eingelegt.


Quellen:
www.itar-tass.com
www.moldova.md
www.romanialibera.ro


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Quelle:
Copyright 2010 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2010