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OSTEUROPA/360: Vor einem Machtwechsel in Georgien (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 41 vom 12. Oktober 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Vor einem Machtwechsel in Georgien
Wohin führt der Oligarch Iwanischwili das Land?

von Willi Gerns



Bei den Parlamentswahlen in Georgien haben Präsident Micheil Saakaschwili und seine Partei "Vereinigte Nationale Bewegung", die sich bisher auf eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten stützen konnten, eine Niederlage erlitten. Wahlsieger ist die von dem Oligarchen Bidsina Iwanischwili geführte Parteienkoalition "Georgischer Traum".

Saakaschwili, der im Zuge der "Rosenrevolution" vor fast neun Jahren an die Macht gekommen ist, regiert seither das Land selbstherrlich und mit harter Hand. Auf dem Feld der Außenpolitik hat er einen prowestlichen, antirussischen Kurs durchgesetzt. Um jeden Preis sollte das Land in die EU und die NATO geführt werden. Die antirussische Politik gipfelte im Fünftagekrieg mit Russland, der mit einer blutigen Nase für den Brandstifter und einem Boykott für georgische Waren auf den russischen Märkten endete. Auf wirtschaftlichem Gebiet hat der Präsident rigoros sein Programm der Privatisierung staatlichen Eigentums, der Deregulierung und sozialen Belastungen für die einfachen Menschen durchgepeitscht. Im Ergebnis gehört Georgien zu denjenigen Nachfolgestaaten der UdSSR, in denen die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist und die Lebensbedingungen für die Masse des Volkes besonders schlecht sind. Unter der Maske angeblicher Demokratie wurden die demokratischen Rechte mehr und mehr beschnitten und ein diktatorisches Regime installiert. Der "Feldzug gegen Korruption und Kriminalität", mit deren "Erfolgen" der Präsident gern protzte, verschonte die großen Wirtschaftskriminellen und Diebe des Volkseigentums und traf die kleinen "Ladendiebe", die aus bitterer Not handelten. Im Ergebnis sind die Gefängnisse total überfüllt und es herrschen dort menschenunwürdige Zustände. So ist es denn auch wohl kein Zufall, dass es der Folterskandal in einem Gefängnis der Hauptstadt Tiflis war, der den Volkszorn zum Überkochen brachte und zum letzten Sargnagel für die Herrschaft Saakaschwilis geworden sein dürfte.

Die Macht Saakaschwilis geht bei den nächsten Präsidentenwahlen zu Ende, die wahrscheinlich Ende 2013 stattfinden werden. Nach zwei Amtszeiten kann er kein weiteres Mal antreten. Darum wurde auf sein Betreiben die Verfassung dahin geändert, dass der Präsident, wie in Deutschland, künftig nur noch repräsentative Funktionen hat. Die tatsächlichen politischen Vollmachten liegen beim Parlament und vor allem beim Ministerpräsidenten. In dieses Amt wollte sich Saakaschwili durch eine Parlamentsmehrheit seiner Partei wählen lassen. Dieses Vorhaben ist nun geplatzt.

Zum neuen Ministerpräsidenten und damit zum starken Mann der Kaukasusrepublik ab Ende nächsten Jahres, wird allem Anschein nach Bidsina Iwanischwili gekürt werden. Wer ist dieser bisher weitgehend unbekannte Mann und auf welchen Weg wird er Georgien führen?

Iwanischwili ist der reichste Mann seines Landes. In diesem Jahr wurde er vom Magazin Forbes mit einem geschätzten Vermögen von 6,4 Mrd. USDollar auf Platz 153 der Liste der reichsten Menschen der Welt geführt. Den Grundstock zu seinem Reichtum legte er während der Perestroika Gorbatschows. Mit einem Partner gründete er ein Importunternehmen für Computer, Videorecorder und Telefone und verdiente zusammen mit diesem bis 1990 100.000 Dollar. Mit dem Geld gründeten sie im gleichen Jahr die Rossiski-Kreditbank. Mit der Privatisierung des Staatsvermögens in den "wilden Neunzigern" kam dann, wie für die übrigen Räuber des Volkseigentums auch, das große Fressen. Die Unternehmen und Beteiligungen, die schließlich bei Iwanischwili landeten, sind unter dem Dach der Iwanischwili-Holding zusammengefasst. Bisher ist wenig über dessen Pläne bekannt. Einiges lässt sich dennoch aus seinen Aussagen in jüngster Zeit ableiten, die wir einem Kommentar der russischen Nachrichtenagentur ITAR-TASS entnehmen.

Was das Verhältnis zu Russland betrifft, so hat der Führer des Bündnisses "Georgischer Traum" betont, "die Beziehungen zu Russland werden in Ordnung gebracht. Wir sind verpflichtet zu freundschaftlichen Beziehungen mit Russland zurückzukehren. Wir werden alles dafür tun." Präsident Saakaschwili beschuldigte er, dessen "undurchdachte Erklärungen an die Adresse der Führung der Russischen Föderation" hätten dazu geführt, dass Georgien den Zugang zu den russischen Märkten verloren habe. Die von ihm geführte Koalition werde im Falle des Wahlsieges alles unternehmen, damit die georgischen Produkte wieder auf die russischen Märkte zurückkehren. Hinsichtlich Südossetiens kritisierte er Saakaschwili für jene Politik, die zum georgisch-russischen Krieg von 2008 geführt hat. "Wir müssen unsere Schuld vor allen anerkennen, uns vor unseren Müttern und den ossetischen Müttern entschuldigen, wir werden Untersuchungen anstellen und unsere Beziehungen widerherstellen", versicherte er und unterstrich, dass nach dem Wahlsieg eine Volksdiplomatie beginnen und die Völker Georgiens und Ossetiens sich versöhnen werden.

Zugleich versicherte Iwanischwili, Georgien werde "den Kurs auf Integration in die europäischen Strukturen fortsetzen", da es für das Land keine Alternativen zum EU- und NATO-Beitritt gebe. Wobei er aber davon ausgehe, "dass wir Russland überzeugen können, dass die Mitgliedschaft Georgiens in der NATO nicht zum Schaden Russlands sein wird, und es möglich ist, ohne die aggressive Rhetorik Saakaschwilis die Beziehungen mit ihm in Ordnung zu bringen". Mit Blick auf die Innenpolitik versicherte Iwanischwili, es gebe "nicht die Absicht, die Andersdenkenden und irgendjemand der Opponenten zu verfolgen". Und im georgischen Fernsehsender "9-archi" sagte er, dass er bereit sei, "im Namen der Staatsinteressen Georgiens auch mit Präsident Saakaschwili zusammenzuarbeiten, natürlich dann, wenn dieser konstruktive Positionen einnimmt". Ansonsten ist innenpolitisch über ein Konzept ebenso kaum etwas bekannt wie über wirtschafts- und sozialpolitische Vorhaben.

Nach alledem kann man wohl davon ausgehen, dass von einer möglichen Verbesserung der Beziehungen zu Russland abgesehen, die im wirtschaftlichen Interesse Georgiens liegt, mit keinen grundlegenden Veränderungen zu rechnen ist. Das mag auch den Umstand erklären, dass in den Tagen vor der Wahl in westlichen Medien zu lesen war, Iwanischwilis Wahlkampf werde längst von US-Juristen und Lobyisten unterstützt. Und dies macht wiederum verständlicher, dass der Machtmensch Saakaschwili so sang- und klanglos und noch bevor das Gros der Stimmen ausgezählt war, seine Niederlage anerkannte. Sollte da Washington angesichts der Unzufriedenheit der Georgier mit Saakaschwili und den Gefahren, die dessen antirussische Provokationen auch für die USA und die NATO heraufbeschwören können, nachgeholfen und auf das neue Pferd gesetzt haben?

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 41 vom 12. Oktober 2012, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2012