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RUSSLAND/124: Sehnsucht nach dem Imperium? (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 1 - 2009

Sehnsucht nach dem Imperium?

Von John Andreas Fuchs


Eine internationale Tagung an der KU widmete sich dem Untergang des Sowjetimperiums und dessen Folgen. Noch heute haben restaurative Kräfte großen Einfluss auf Russlands Politik. Hoffnung machen starke Bande zum Westen.


Wenig verändert die politische Weltkarte so sehr wie der Untergang eines Imperiums. Den Untergang des Sowjetimperiums und dessen Folgen analysierten Historiker und Politologen aus fünf Nationen bei einer internationalen Tagung des Zentralinstituts für Mittel- und Osteuropastudien (ZIMOS) an der KU unter dem Titel "Der Abschied vom Imperium im 20. und 21. Jahrhundert". Dabei griffen sie vergleichend auf den Untergang des Wilhelminischen, des Habsburger, des osmanischen sowie des zarischen Reiches zurück. Auch die Situation der USA, als letztem verbliebenem Imperium, wurde berücksichtigt. Untersucht wurden nicht nur die unmittelbaren Folgen des Unterganges, sondern auch die nostalgische Sehnsucht nach Imperien, neue imperiale Strömungen sowie nationalistische Tendenzen.

Lassen sich aus dem Untergang der alten Imperien auch Lehren für die heutige Zeit ziehen? In seinem verlesenen Grußwort an die Teilnehmer der Konferenz sagte der Direktor des ZIMOS, Nikolaus Lobkowicz, dazu: "Historiker sollen sich hüten, Aussagen über die Zukunft zu machen. Aber ihre Untersuchungen und Überlegungen erlauben, besser zu verstehen, wie sich die Welt heute entwickelt". Leonid Luks, der die Tagung in Zusammenarbeit mit Christian Holtz (Denkendorf) organisierte, sprach in seinem einführenden Statement von einer Renaissance des Begriffs "Imperium", die ausgerechnet nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion - eines der letzten multinationalen Großreiche der Erde - zu beobachten war. Die von den USA geprägte "neue Weltordnung" sei gelegentlich als eine Art neue "Pax Romana" bezeichnet worden. Luks wies auf die Brüchigkeit dieses neuen Imperialmodells hin: "Radikale Gegner des amerikanischen Hegemonialkonzepts traten sehr schnell auf den Plan und begannen imperiale Gegenentwürfe zu entwickeln."


Revisionistische Bestrebungen und nationalistische Träume im europäischen Machtvakuum nach dem Ersten Weltkrieg thematisierte Karsten Ruppert (Eichstätt) im ersten Vortrag der Konferenz. Imperiale Träume speziell in der Türkei waren Thema des Vortrages von Aygul Ashirova (Eichstätt) zum "Panturkismus". Auch wenn in der Türkei heute eine pro-europäische Realpolitik betrieben wird, lebt die Vision eines islamischen Panturkismus weiter. So lange allerdings weiterhin Uneinigkeit unter einzelnen Turkstaaten herrscht und die EU der Türkei mehr Vorteile zu bieten hat als ein imaginäres Imperium, bleibt der Panturkismus ein Traum, so Ashirova.

Ebenfalls mit Träumen und Visionen beschäftigte sich Andreas Umland (Eichstätt) in seinem Vortrag "Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken im postsowjetischen Russland". Im postsowjetischen Russland konnte sich laut Umland kein nicht-imperialistischer Konservatismus entwickeln, stattdessen träumen restaurativ orientierte alte Eliten von der Wiederherstellung des Sowjetimperiums. Antisowjetische Nationalisten, wie der kürzlich verstorbene Aleksandr Solzenicyn, befürworten ebenfalls eine Wiederherstellung des Russischen Reiches, vor allem die Wiedervereinigung mit den Ostslawen. Hinzukommen revolutionär-imperialistische Gruppierungen wie Zirinovskijs Liberal-Demokratische-Partei und Aleksandr Dugins Eurasische Bewegung. Die besonders radikalen Ideologien dieser beiden Organisationen beeinflussen den innerrussischen Diskurs um künftige Ziele und Methoden der russischen Außenpolitik soweit, dass der bisherige, restaurative Neoimperialismus Bestandteil der offiziellen außenpolitischen Doktrin Russlands geworden ist.


Vladimir Kantor (Moskau) erläuterte "Das imperiale Denken am Beispiel des Zarenreiches" und brachte so eine weitere, "innerrussische" Vergleichsebene für das Handeln des Sowjetimperiums zur Sprache. Er unterschied grundsätzlich zwei Arten von Imperien: zum einen das europäische, kulturelle und religiöse, zum anderen das orientalischdes potische Imperium. Im Zarenreich zeichnete sich bis zum Sturz des Zaren ein immer stärker werdender Nationalismus, der das russische Volk immer stärker in den Mittelpunkt rückte, ab. Das einfache Volk wurde u.a. von Fedor Dostoevskij als "Gottträger-Volk" gesehen, was dem Wunsch nach dem Reich Gottes auf Erden entsprach und gleichzeitig den Aufstieg des "Volksweisen" Grigorij Rasputin, und somit zugleich das Ende des zarischen Imperiums, begünstigte. Ähnliches stellte Heinz Hürten (Eichstätt) in seinem Vortrag "Die Sehnsucht nach dem 'Reich' in der Weimarer Republik" fest. Auch hier entsprach die Sehnsucht nach dem Reich einer religiösen Sehnsucht und läutet das Ende des bestehenden Systems, tragischerweise der ersten Demokratie auf deutschem Boden, ein. Das "Reich" wurde nicht nur theologisch gesehen, sondern auch als Chiffre für eine neue, bessere Zukunft verstanden, so Hürten.

Von literaturwissenschaftlicher Seite näherte sich Alexei Rybakov (Eichstätt) mit seinem Vortrag "Das 1. und das 3. Rom in der Poesie Osip Mandelstams" dem Imperium. Obwohl Mandelstam aufgrund seiner jüdischen Herkunft ein Außenseiter war, tauchen in seinen Werken sehr häufig die Begriffe "Rom", "Reich" und "Imperium" auf. Gerade die Außenseiterrolle könnte die Grundlage für die Sehnsucht nach dem Imperium gelegt haben, so Rybakov. Mandelstam schreibt nach dem Untergang des Imperiums, fühlt sich ihm jedoch "kindlich verbunden". Diese Verbundenheit ist allerdings äußerst ambivalent, so steht das Imperium nicht nur für Ordnung, sondern auch für Heuchelei.


Ordnung war auch etwas, das Ungarn in den siebziger und achtziger Jahren beschäftigte. György Dalos (Budapest/Berlin) beschrieb in seinem Beitrag "Der Mitteleuropa-Diskurs der 1970er und 1980er Jahre - die Sehnsucht nach dem Habsburger Reich?" auf unterhaltsame Art, wie sich das ehemalige "k.u.k."-Land Ungarn nach einem einheitlichen und geordneten Mitteleuropa sehnte. Das "ungarische System" war sich, wie Dalos immer wieder herausstrich, seines operettenhaften Charakters bewusst und nahm sich selbst nicht ernst. Die Folge davon war, dass die Europa-Debatte streckenweise eine wichtigere Rolle einnahm, als die Nationaldebatte, was durchaus eine Ausnahme darstellte. Zusätzlich befördert wurde dies durch die "geerbte" große Affinität zu Österreich. Dalos' Fazit: "Was die BRD für die DDR war, war Österreich für Ungarn."

Leonid Luks betrachtete den "Zerfall des Sowjetreiches in vergleichender Perspektive" und unterstrich die Parallelen: Sowohl 1917 als auch 1991 kam es nicht nur zum Untergang eines Imperiums, sondern auch zu einem politischen System- und Ideologiewechsel. Deshalb bietet es sich an, den Untergang des Sowjetimperiums nicht in erster Linie mit dem Untergang westlicher Imperien zu vergleichen, sondern mit dem Untergang des ersten russischen Imperiums 1917/18, so Luks. Ähnlich wie 1917 die Zarenidee bei der Bevölkerungsmehrheit diskreditiert war, war es 1991 die kommunistische Idee. Die postsowjetischen Demokraten verzichteten auf ein radikales Vorgehen gegen ihre Gegner, was die Rückkehr restaurativer Kräfte auf die politische Bühne ermöglichte. Grund zur Hoffnung gäben allerdings Russlands starke Verflechtungen mit dem Westen. So sei es nicht ausgeschlossen, dass Russland den Prozess seiner "Rückkehr nach Europa" doch wieder aufnehmen werde.


Wie gefährlich die Sehnsucht nach goldenen Zeiten sein kann, kam in Boris Chavkins (Moskau) Beitrag "Die Nostalgie nach dem Stalinschen Imperium im postsowjetischen Diskurs" zum Ausdruck. Die Russische Föderation sieht sich sowohl in der Nachfolge des zarischen Imperiums als auch des Sowjet-Imperiums und Russland bleibe auch immer ein Imperium, so die gängige Vorstellung. Die vorherrschende Nostalgie werde zusätzlich durch das Verschweigen der Gründe des Scheiterns des kommunistischen Reiches gefördert. Chavkin nennt dies das "post-sowjetische Syndrom", das auch die Ursache für die Konflikte nach 1991, ganz aktuell den Kaukasus-Konflikt, darstellt. Traumata wie der Verlust der Krim tragen zusätzlich zur Sehnsucht nach "goldenen" sowjetischen Zeiten bei. Hand in Hand damit gehen eine Stalin-Sehnsucht - die Popularität des Diktators steigt wieder in den letzten Jahren - und eine Ideologie imperialistischer Revanche. Die Idee, dass sich Russland wieder von den "Knien erheben wird", kann laut Chavkin zu einem entscheidenden politischen Faktor werden. Dieser brächte allerdings eine negative Konsolidierung der russischen Nation mit sich, nach dem Motto. "Mitbürger, gegen wen haltet ihr Freundschaft?" Zaur Gasimov (Eichstätt) ging mit seinem Vortrag "Der imperiale Gedanke und die Nationalitätenfrage in der Sowjetischen Armee zur Zeit der Gorbacevschen Perestrojka" auf den Widerspruch zwischen nationaler Identität und imperialen Gedanken ein. Im letzten Vortrag der Konferenz beschäftigte sich John Andreas Fuchs (Eichstätt / München) mit der Frage: "Das letzte Imperium? - Imperiale Erfahrungen im heutigen amerikanischen Diskurs."


Abgerundet wurde die Tagung durch eine Podiumsdiskussion zum Thema "Die Rückkehr des Imperiums? Die Politik Russlands im postsowjetischen Raum am Beispiel Georgiens und der Ukraine und ihre Auswirkung auf den zivilgesellschaftlichen Ost-West-Dialog". Neben den bereits erwähnten Referenten nahmen an ihr die Mitveranstalter dieser Podiumsdiskussion - Staatssekretär a.D. Helmut Domke (Stiftung West-Östliche Begegnungen) und Christian Holtz (Internationale Cooperation für Wirtschaft und Kultur, Denkendorf) - sowie Klaus Schubert (KU Eichstätt-Ingolstadt) und Studierende der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt aus Russland, Georgien und der Ukraine (Antonina Zykova, Olga Chupyra und Zurab Aliashvili) teil. In einer teils aufgewühlten Debatte erörterten Staatsbürger Russlands, der Ukraine und Georgiens sowie deutsche Beobachter Chancen und Hindernisse einer erneuten Annäherung zwischen den Völkern und Regierungen der drei post-sowjetischen Staaten und die Vermittlerrolle des Westens. Betont wurde hierbei die Bedeutung des konstruktiven Dialogs vor Macht- und Drohgebärden.


John Andreas Fuchs ist Mitglied des ZIMOS an der KU und Doktorand am Amerika-Institut der LMU. Seit 2007 ist er Lehrbeauftragter für Amerikanistik und Geschichte an der KU. Zudem ist er Lehrer am Gnadenthal-Gymnasium in Ingolstadt.


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Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
25. Jahrgang, Ausgabe 1/2009, Seite 22-23
Herausgeber: Der Vorsitzende der Hochschulleitung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2009