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RUSSLAND/152: Wachablösung im Kreml (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 19 vom 11. Mai 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Wachablösung im Kreml
Ändert Putin den Kurs?

von Willi Gerns



Vor wenigen Tagen, am 7. Mai, hat Dmitrij Medwedjew die Vollmachten des Präsidenten der Russischen Föderation an Wladimir Putin, den neuen Hausherrn des Kreml, übergeben. Wird der neue Amtsinhaber den politischen Kurs der letzten vier Jahre weiterführen oder sind wesentliche Änderungen zu erwarten? Darüber wird bereits seit dem Parteitag der Kreml-Partei "Einiges Russland" am 24. September letzten Jahres, auf dem Putin zum Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde, und mehr noch nach seiner Wahl am 4. März dieses Jahres, in den westlichen Medien spekuliert.

Auch seriöse Russlandspezialisten haben sich zu diesem Thema geäußert. So schreibt Alexander Rahr, der Leiter des Berthold-Beitz-Zentrums für Russland, Ukraine, Belarus und Zentralasien in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, über die möglichen Szenarien: "Anknüpfend an seine zweite Amtszeit könnte der Präsident den Weg einer 'autoritären Modernisierung', also einer weiteren Stärkung des Staates und der Geheimdienste, beschreiten. ... In diesem Szenario würde das staatskapitalistische Wirtschaftssystem ausgebaut ...

Außenpolitisch könnte Putin auf Konfrontationskurs mit dem Westen gehen, sich mit Washington wegen der Raketenabwehr endgültig überwerfen, in einen teuren Rüstungswettlauf eintreten, gemeinsam mit China westliche Sanktionsregime unterminieren und die Rivalität um die Kontrolle im postsowjetischen Raum, vor allem in der Ukraine und Zentralasien, verschärfen. Mit der Europäischen Union birgt vor allem die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Gasmarktes Konflikte." Und weiter: "Optimisten hoffen auf ein anderes Szenario: Der neue Putin wird demnach kein engstirniger Restaurator, sondern ein Modernisierer, der demokratische Gouverneurs- und Föderationswahlen wieder einführt, liberal gesinnte Minister akzeptiert und Geheimdienstler von der Macht fernhält. ... Insgesamt würde das internationale Konfliktpotenzial schwinden, Russland eine Freihandelszone mit der EU aushandeln und in Fragen der Sanktionen gegen Iran und Syrien an der Seite des Westens stehen." Nach Meinung Rahrs deutet vieles darauf hin, "dass der künftige Kreml-Kurs eine Mischung aus beiden Szenarien wird, also zwischen einer Politik des starken Staates und notwendiger Modernisierung liegen wird. (Alexander Rahr, Russland zwischen Restauration und Modernisierung, in: DGAPstandpunkt 12, 30.11.2011)

Dies scheint in der Tat das wahrscheinlichste Szenario zu werden. Es ist dabei keineswegs neu. Auch in seinen ersten beiden Amtszeiten als Präsident hat Putin einen solchen gemischten Kurs verfolgt, je nach politischer Konjunktur. So war er vor allem in Vorwahlzeiten bemüht, sich mit starken Worten gegenüber dem Westen für das heimische Wählervolk als Patriot zu profilieren. Dabei ging es vor allem darum, im Potential der KPRF zu fischen. Zugleich wurden in solchen Zeiten mit nicht weniger kräftigen Worten und auch Taten, wie in den Fällen Gusinski, Beresowski und Chodorkowski Konzessionen an die Wut der breiten Massen auf die Oligarchen gemacht usw. Bei anderer Gelegenheit wurde mit den USA gemauschelt, nicht zuletzt auch bei der Unterstützung des Afghanistanabenteuers, und den Putin gegenüber loyalen kapitalistischen Räubern wurden weitere Teile des Staatseigentums durch neue Privatisierungen in den Rachen geworfen.

Auch während seiner jüngsten Wahlkampagne ist er in den Thesen seines Wahlprogramms und in Grundsatzartikeln zur Außen- und Militärpolitik wieder mit "Patriotismus" auf Stimmenfang gegangen. Was die Oligarchen betrifft, so lädt er diese sogar inzwischen ein, ihre Interessen ohne Umwege als Regierungsmitglieder wahrzunehmen, wie das entsprechende Angebot an den Oligarchen Prochorow zeigt. Aber das geschah natürlich nicht vor sondern nach den Wahlen. Auch der "Patriotismus" scheint nach dem Urnengang schon wieder ausgedient zu haben. Das zeigt das Beispiel der Verhandlungen über den US-Stützpunkt in Uljanowsk, über das wir bereits berichteten. Darauf deutet auch eine überraschende Aussage des russischen Generalstabschefs Nikolai Makarow hin, der am 24.‍ ‍April im Fernsehkanal "Russia Today" mit Blick auf Gefahren für Russland aus dem Iran und Nordkorea plötzlich erklärte: "Die Gefahr besteht immer, deshalb verfolgen wir aufmerksam die Entwicklung des atomaren Potentials vieler Staaten. Und diese Analyse, die wir gemeinsam mit den Amerikanern durchgeführt haben, bestätigt, dass es eine solche Wahrscheinlichkeit gibt, die Gefahr besteht. Darin, dass es notwendig ist, eine Raketenabwehr zu schaffen, stimmen wir überein." (Nach: utro.ru vom 25.4.)

Das ist tatsächlich eine Überraschung, haben doch bisher die führenden russischen Politiker und das russische Verteidigungsministerium die Gefahr einer atomaren Bedrohung für Russland, zumindest von Seiten des Iran, immer verneint und erklärt, dass dieser über kein ausreichendes Potential verfüge, um Atomwaffen und die erforderlichen Trägersysteme für sie zu schaffen. "Viele Länder, die den Besitz von Atomwaffen nicht zugeben, haben sie in Wirklichkeit", sagte Makarow, und fügte hinzu, dass Russland zur Abwehr dieser Gefahren bereit sei, mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten.

Der Verfasser des Beitrags auf "utro.ru" kommentiert das so: "Dem Wesen der Sache nach teilt der Kreml dem Westen, vor allem den USA mit, dass Russland bereit ist, ihre militärpolitische Doktrin zu akzeptieren. Und das schließt andere unerwartete Schritte von Seiten Moskaus, bis hin zur Veränderung seiner Position zum Raketen-Abwehrsystem (der USA in Europa - W.G.) nicht aus, das eines der Haupthindernisse auf dem Weg zur Verbesserung der russisch-amerikanischen Beziehungen ist.

Das alles könnte davon zeugen, dass die höchste russische Führung entschieden hat, das außenpolitische Hauptgewicht auf die Verbesserung der Beziehungen zu den USA und zum Westen zu legen. Es ist völlig klar, dass derartige Initiativen nicht von dem aus dem Amt scheidenden Präsidenten ausgehen, der die Zuständigkeit für die Außenpolitik verliert, sondern vom künftigen Herrn des Kreml."

Wenn der gleiche russische Generalstabschef nun allerdings nur wenige Tage nach seinen zitierten Äußerungen ebenso überraschend auf der internationalen Raketenabwehr-Konferenz in Moskau ankündigte, das Russland im Falle einer Verschärfung der Situation vorbeugende Schläge gegen das Raketenabwehr-System der NATO führen könnte, so macht dies die widerspruchsvolle und sprunghafte Außen- und Militärpolitik Moskaus besonders anschaulich.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 19 vom 11. Mai 2012, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2012