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RUSSLAND/157: Bitteres Erwachen der Anti-Putin-Opposition (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 1 vom 4. Januar 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Bitteres Erwachen der Anti-Putin-Opposition
Zahl der Demonstranten schmilzt - Putin sitzt fest im Sattel

von Willi Gerns



Nach den gefälschten Parlamentswahlen 2011 versammelten sich im Dezember 2011 und im Januar 2012 in Moskau nach unabhängigen Quellen jeweils mehr als 40.000 Menschen zum Protest gegen das Putin-Regime. Seitdem hat die Zahl der Protestierenden kontinuierlich abgenommen. Am 15. Dezember 2012 bei dem als "Freiheitsmarsch" bezeichneten Jubiläumsprotest waren es nach Polizeiangaben gerade noch 700 und nach unabhängigen Quellen höchstens 1.000, davon rund 200 Journalisten. Die Massenproteste, die ohnehin auf Moskau, Petersburg und einige andere große Städte beschränkt blieben und die Weiten Russlands kaum erreicht hatten, haben sich offenbar totgelaufen. Zu dieser Einschätzung kommen inzwischen viele seriöse Beobachter. So stellt z. B. der Politologe Alexej Muchin vom Zentrum für Politische Informationen in Moskau in einer von ihm Anfang Dezember vorgestellten Untersuchung ohne Umschweife fest, dass die Turbulenzen vorbei seien, Putin fest im Sattel sitze und dies mit politischen Mitteln erreicht habe ohne Panzer nach Moskau zu holen.

In der Tat: Obwohl Putin im Vergleich zu den Spitzenwerten während seiner zweiten Amtsperiode an Zustimmung verloren hat, geht er aus allen Meinungsumfragen nach wie vor als der mit großem Abstand populärste Politiker Russlands hervor. Zudem kann er der uneingeschränkten Unterstützung der Sicherheitsapparate sicher sein. Im Unterschied zur Zeit vor einem Jahr wagt darum heute kein Politiker, Journalist oder Politologe, der ernst genommen werden will, mehr die Prognose, dass Putin während der laufenden Amtsperiode als Staatsoberhaupt abgelöst werden könnte.

Was sind die Gründe dafür? Fließen in Russland heute Milch und Honig? Gibt es keine politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme? Herrscht eitel Freude und Zufriedenheit? Keineswegs! Die Probleme sind die alten geblieben, neue sind hinzu gekommen. Zugunsten der Kreml-Partei "Einiges Russland" wurde auch bei den jüngsten Wahlen in einigen Regionen und Kommunen manipuliert. Auf dem Hintergrund der tiefen Krisen im Euroraum, mit dem Russland wirtschaftlich eng verbunden ist, der Abhängigkeit Russlands von seinen Rohstoffexporten, insbesondere von den Unwägbarkeiten des Ölpreises und der nach wie vor kaum vorankommenden Modernisierung der Wirtschaft wachsen die ökonomischen Unsicherheiten. Und auf dem Feld der Sozialpolitik, nicht zuletzt in der kommunalen Wohnungswirtschaft mit ihren steigenden Tarifen, die vor allem Rentner und Niedriglöhner besonders schwer belasten, entsteht Sprengstoff.

Die wesentlichen Ursachen dafür, dass die Oppositionsbewegung den Wind in den Segeln verloren hat, liegen unserer Meinung vor allem in Folgendem:

Erstens. Die Protestbewegung hat nur ein einziges Anliegen verbunden, das in ihrer zentralen Losung seinen Ausdruck fand: "Russland ohne Putin". Dieses Ziel war angesichts der gegebenen Kräfteverhältnisse von Anfang an unrealistisch. Das haben auch die Präsidentenwahlen bestätigt. Mussten doch selbst keineswegs Putin freundlich gesonnene westliche Politologen eingestehen, dass die für ihn bei den Präsidentenwahlen angegebenen Ergebnisse zwar überhöht sein mochten aber außer Zweifel steht, dass die Mehrheit der an den Wahlen teilgenommenen Wählerinnen und Wähler ihre Stimme für Putin abgegeben hat. Nachdem inzwischen für jeden, auch für jeden Oppositionellen der in der Lage ist, die russische Realität nüchtern zu beurteilen, klar sein dürfte, dass Putin in überschaubarer Zeit nicht aus dem Präsidentenamt zu verdrängen ist, zerbröckelt die Protestbewegung.

Zweitens. Mit der Ausrichtung des Protestes auf die Forderung "Russland ohne Putin" hängt auch die eingeschränkte soziale Basis der Bewegung zusammen. Die breiten Massen im Land, die Arbeiter, Bauern, Rentnerinnen und Rentner wurden kaum erfasst. Sie haben andere Sorgen, vor allem auf sozialem Gebiet. Die Teilnehmer kamen insbesondere aus den großstädtischen Mittelschichten. Für sie ist die soziale Frage weitgehend gelöst. Ihnen geht es vor allem um demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten. Nachdem klar ist, dass Putin fest im Sattel sitzt und zugleich einige kleine Zugeständnisse von den Machthabern gemacht wurden wie die erleichterte Zulassung von Parteien und deren Möglichkeiten an Wahlen teilzunehmen oder die erneute Wahl der Gouverneure, sind viele dieser Kräfte zwar darüber enttäuscht, nicht mehr erreicht zu haben, sehen aber im Augenblick keine Möglichkeiten mehr durchzusetzen. Protest um des Protestes Willen ist nicht ihr Anliegen.

Drittens. Die Anti-Putin-Opposition hat ein politisches Spektrum zusammengebracht, das über die Losung "Russland ohne Putin" hinaus nicht zueinander passt. Es reicht von Oligarchen die das Volkseigentum ausgeraubt haben, über Politiker, die an der Seite Jelzins Russland in den Abgrund gestoßen haben und bürgerliche Liberale bis zu Anarchisten und sich als Sozialisten und Kommunisten verstehende Kräfte. Hier dürfte auch der wesentliche Grund dafür liegen, dass diese Opposition und ihre Sprecher außerstande sind der Politik des Putin-Regimes ein konstruktives Programm entgegen zu stellen.

Viertens. Der Anti-Putin-Opposition fehlen politische Köpfe, die in der Lage sind die sich verändernden Realitäten wahrzunehmen, strategisch zu denken und taktisch zu reagieren. So hatte der Koordinationsrat, das Leitungsgremium der Proteste vor der Jubiläumsaktion am 15. Dezember offenbar die Veränderungen, die sich seit dem damaligen ersten Massenprotest vollzogen hatten nicht zur Kenntnis genommen oder nicht nehmen wollen. Wie wäre sonst die gewaltige Diskrepanz zwischen der Anmeldung von 50.000 Demonstranten und den dann tatsächlich erschienenen maximal 1.000 Teilnehmern zu erklären? Die Folgen sind Enttäuschung bei den Teilnehmern, Frustration im Koordinierungsrat, dem Leitungsgremium der Protestbewegung, und fehlende Antworten darauf, wie es mit den Protesten weitergehen soll.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 1 vom 4. Januar 2013, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2013