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RUSSLAND/158: Wie links ist die russische "Linke Front"? (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 6 vom 8. Februar 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Wie links ist die russische "Linke Front"?
Politik und Aktivitäten auf dem Prüfstand

von Willi Gerns



Seit dem Beginn der Anti-Putin-Demonstrationen Ende 2011 vergeht kaum eine Woche ohne Berichte in den russischen Medien über spektakuläre Aktivitäten der "Linken Front" (LF) und ihres Führers Sergej Udalzow. Die roten Fahnen mit den Symbolen der Organisation sind bei den Demonstrationen und Kundgebungen nicht zu übersehen. Zum Bekanntheitsgrad der LF tragen aber auch die Nadelstiche der russischen Sicherheitsorgane gegen Udalzow und seine Mitstreiter bei. Außerhalb Russlands ist trotz gelegentlicher Berichte weniger über sie bekannt. Das veranlasst uns, der Geschichte, den programmatischen Vorstellungen und der politischen Praxis der "Linken Front" nachzugehen.


Geschichte und Ziele der "Linken Front"

Die Idee, eine Bewegung wie die "Linke Front" zu schaffen, ist im Frühjahr 2005 in Vorbereitung des ersten Russischen Sozialforums entstanden. Im Sommer des gleichen Jahres fand bereits eine erste Konferenz und im Oktober die Gründungskonferenz der Moskauer Regionalorganisation statt. 2006 spielte die LF eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung des zweiten Russischen Sozialforums in Petersburg, das mit dem zur gleichen Zeit stattfindenden Treffen der G-8 zusammenfiel. Ihre Aktivisten beteiligten sich sowohl an den Veranstaltungen des Sozialforums wie an den Protesten gegen die G8. 2007 nahmen die Aktivitäten weiter zu, wobei die Zusammenarbeit mit der "Avantgarde der Roten Jugend" (AKM) von großer Bedeutung war. 2008 fanden dann in zahlreichen Regionen Versammlungen zur Bildung von Gruppen der LF statt, in denen sich ehemalige Aktivisten der LF, der AKM und einfach junge Leute mit linken Auffassungen vereinigten.

Am 18. Oktober 2008 tagte der erste Kongress der LF. Auf dem Kongress wurde mit der "Politischen Plattform der Linken Front" eine Art programmatisches Dokument der Bewegung beschlossen. Einleitend heißt es darin u. a.: "Das Hauptziel der Linken Front ist der Aufbau des Sozialismus in Russland. Die unmittelbare Aufgabe der Linken Front besteht darin, die Einheit aller Kräfte zu gewährleisten, die für Sozialismus, Demokratie und Internationalismus eintreten. Gegenwärtig sind die Menschen, die diese Ansichten teilen, Mitglieder verschiedener Organisationen oder nehmen überhaupt nicht am politischen Kampf teil. Ihre freiwillige Zusammenführung macht die Linke Front zu einer qualitativ neuen Bewegung, die den Massen die effektivsten Formen und Methoden des Kampfes gegen die Bourgeoisie vorschlägt." Hier wird bereits der Avantgardeanspruch der LF gegenüber den anderen sich am sozialistischen Ziel orientierenden Parteien und Organisationen deutlich, der sicher dazu beigetragen hat, dass aus der "Zusammenführung" nichts geworden ist.

Vor wenigen Wochen, am 5. Januar 2013, tagte in Moskau der 3. Kongress der "Linken Front". Er verabschiedete eine Entschließung zu den konkreten Aufgaben der Bewegung in diesem Jahr. Außerdem wurden die Führungsorgane neu gewählt, der Rat der Linken Front und das Exekutivkomitee. Als Kommunist kann man der "Politischen Plattform" und anderen programmatischen Positionen der LF weitgehend zustimmen. Das gilt auch für die Orientierung auf die Unterstützung der betrieblichen Kämpfe und sozialen Bewegungen. Auffällig ist allerdings, dass der Friedenskampf und die internationale Solidarität keine oder kaum eine Rolle spielen.


Widersprüche zwischen Zielen und Praxis

Von ihrer Zusammensetzung her ist die LF vor allem eine Jugendbewegung. Sie organisiert Sommerlager, Schulungen zu den sozialistischen Ideen für junge Menschen, Filmklubs u. a. Im Vordergrund stehen aber die Aktionstätigkeit und insbesondere spektakuläre Aktionen unter der Devise der "direkten Aktion".

Dabei gewinnt man besonders in jüngster Zeit den Eindruck, dass die Aktionen häufig zum Selbstzweck werden und sowohl die Inhalte, um die es geht, wie die Partner mit denen man sich verbündet, nur noch zweitrangig oder überhaupt nicht von Bedeutung sind. So mutet es schon seltsam an, wenn bei den Anti-Putin-Aktionen die "Linke Front" gemeinsam mit Nationalisten und von den westlichen Ländern gesponserten Gruppen sowie Aktivisten der antisozialistischen Konterrevolution in der Sowjetunion demonstriert und Udalzow neben Leuten wie Alexej Nawalny, Boris Nemzow und Garri Kasparow auf der Rednertribüne steht. Nawalny ist für rassistische Sprüche bekannt und gehörte zu den Organisatoren der nationalistischen "Russischen Märsche", Nemzow war unter Jelzin stellvertretender Ministerpräsident und einer der Haupteinpeitscher für die Verschleuderung des Volkseigentums an die Oligarchen und Kasparow ist US-amerikanischer Staatsbürger und wurde von der Internetseite der neokonservativen Organisation Center for Security Policy als Mitglied ihres Beirats für Nationale Sicherheit geführt.

Ein Bild, das die Bündnispolitik der LF fragwürdig erscheinen lässt, bot sich auch bei der Demo gegen das von der Duma beschlossene Verbot der Adoption russischer Kinder durch US-Bürger am 15. Januar in Moskau. An der Spitze marschierten Nemzow und Kasparow. Im Tross folgten die RF sowie Demonstranten, die ihren politischen Standort dadurch deutlich machten, dass nach einem Bericht in der "Sowjetskaja Rossija" über ihren Köpfen viele US-Fahnen zu sehen waren. Um bei diesem Anblick von den Medien ja nicht übersehen zu werden, stellte sich Udalzow mit einem in Brand gesteckten Foto Putins in Pose.

Anders die Kommunisten der KPRF. Sie hatten in der Duma für das Adoptionsverbot gestimmt, dies aber mit der Forderung eines generellen Verbots des Verkaufs russischer Kinder an Ausländer verbunden und verlangt, dass die Adoption von Heimkindern durch russische Familien stärker gefördert und zugleich alles getan werden müsse, in Waisenheimen die bestmöglichen Bedingungen für das Leben und die Entwicklung der Kinder zu schaffen.

Bei manchen Aktionen der LF drängt sich der Eindruck auf, dass sie - gewollt oder ungewollt - Zusammenstöße mit den Sicherheitsorganen herausfordern oder diesen den Vorwand für hartes Durchgreifen liefern. Ob das der linken Sache dient, darf bezweifelt werden. Schließlich zieht das in der Regel die Verengung des Teilnehmerkreises nach sich.

Wie die Ereignisse auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau im Mai letzten Jahres zeigen, kann dies zudem die Existenz der LF gefährden. So deutet vieles darauf hin, dass das im Gefolge dieser Ereignisse gebildete Untersuchungskomitee dabei ist, einen großen Strafprozess gegen die bereits Verhafteten und weitere Teilnehmer wegen "Massenunruhen und Gewaltanwendung gegen Vertreter der Staatsmacht" sowie gegen Udalzow und seine Mitstreiter Rawosshajew und Lebedjew "wegen Vorbereitung und Organisation von Massenunruhen auf dem Territorium der Russischen Föderation" vorzubereiten. Zwischen linken Ansprüchen und der politischen Praxis der "Linken Front" sind also bei genauerer Betrachtung Widersprüche nicht zu übersehen. Damit soll die linke Gesinnung der an den Aktivitäten der LF teilnehmenden jungen Menschen keineswegs infrage gestellt werden. Sie wollen gegen das die Interessen der Oligarchen und Politbürokraten vertretende Putin-Regime, gegen die Manipulationen bei den Wahlen und die Einschränkung der demokratischen Rechte aktiv werden und das durchaus mit jugendgemäßen Aktionsformen. Darum ist es nicht verwunderlich, dass bei den Demonstrationen im Block der LF auch nicht wenige Mitglieder der Jugendorganisation der KPRF und junge Parteimitglieder zu finden sind, die die vorwiegend auf die parlamentarische Arbeit gerichtete Orientierung der KPRF allein nicht befriedigt.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 6 vom 8. Februar 2013, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2013