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SPANIEN/004: Spanien nach dem Generalstreik (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 15 vom 13. April 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Spanien nach dem Generalstreik
Die nächsten Kampfaktionen werden kommen

von Hans-Peter Brenner



"Die Politik der Regierung bedeutet mehr Arbeitslosigkeit." Auf diesen einfachen Nenner hatte Paloma López, die Bundessekretärin für Beschäftigung der spanischen Gewerkschaft CC.OO (Comisiones Obreras - ursprünglich kommunistisch geprägt), Anfang März die Wirtschaftsund Sozialpolitik der neuen postfranquistischen Partido-Popular-Regierung unter Mariano Rajoy gebracht.

Die Arbeitslosenzahlen und die dahinter stehenden Schicksale der Betroffenen sind bedrückend. Wer durch die Großstädte geht, sieht die Verarmung, stolpert über auf den Straßen schlafende Arbeitslose und kann auch die Bettler und arbeitslos Herumlungernden nicht mehr übersehen. Die Berichte über zur Auswanderung gezwungene junge Spanier, die selbst als qualifizierte Ingenieure, Techniker oder Lehrer keine Arbeit finden oder die gezwungen sind, noch länger als früher bei ihren Eltern zu leben, sind kaum zu ertragen. Eine Maueranschrift in Cordoba bringt es auf den Punkt: "Capitalismo = paro. Resistencia no es terrorismo." (Kapitalismus = Arbeitslosigkeit. Widerstand ist kein Terrorismus)

Drei Monate nachdem die neue Regierung die "reforma laboral" (Arbeitsreform) eingeführt hat, erreichen die Arbeitslosenzahlen ein neues Rekordhoch. Allein im März sind sie im Vergleich zum Vormonat um 0,82 Prozent auf 4.750.867 gestiegen. "Die ersten 100 Tage der Regierung von Rajoy zeigen das Scheitern der Maßnahmen, die nur aus einschneidenden Kürzungen bestehen und mehr Arbeitslosigkeit und eine Verschärfung der Krise bringen." So lautet deshalb die Bewertung der CC.OO Vertreterin.


BeeindruckendeKampfbereitschaft - aber mit Reserven

Über 10 Millionen Menschen hatten sich am 29. März am Generalstreik beteiligt. Allein 900.000 hatten in Madrid demonstriert; 800.000 waren es in Barcelona, 250.000 in Valencia, 100.000 in Sevilla. Die Gewerkschaften UGT ("sozialdemokratisch") und CC.OO sprechen von einer Streikbeteiligung von 77 Prozent. Selbst die baskische Regierung geht von einer Streikbeteiligung zwischen 60 und 70 Prozent aus. Sämtliche Autofabriken standen still, ebenso wie Häfen und Flughäfen.

Die Zeitung der CC.OO bewertet den Streik in einem Kommentar so: "Der Generalstreik vom 29. März war ohne Frage ein Erfolg in Bezug auf die Teilnahme und ein demokratischer Erfolg der Arbeiter und Arbeiterinnen, die sich nicht durch die Angst oder durch Nötigungen haben einschüchtern lassen.

Trotz der Erpressung, der Bedrohung und der Versuche der Unternehmer und der regierungsnahen Gruppen, den Tag der Arbeitsniederlegung als nicht legitim zu erklären, sind fast 80 Prozent der arbeitenden Bevölkerung des Landes (97 % der Industrie, der Transporte und des Baugewerbes und 57 % des öffentlichen Dienstes) dem Aufruf der CC.OO und der UGT gefolgt und übten ihr Streikrecht gegen die Arbeitsreformen aus, die Kündigungen und Einschnitte in die Arbeitsrechte vereinfachen. Es war ein Erfolg hinsichtlich der Teilnahme, der von den Millionen von Teilnehmern, die zu den beeindruckenden Demonstrationen im ganzen Land kamen, bestätigt wurde." Dagegen fällt der Versuch der rechten Presse die Teilnehmerzahlen klein zu schreiben schon fast peinlich aus. Der "Diario de Cadiz" hatte von einem "Huelga a medio gas" - einem "Generalstreik mit halbem Gas" - gespöttelt und zur Begründung den nicht nachprüfbaren Fakt genannt, dass in der dortigen, unter Führung einer stramm konservativen PP-Bürgermeisterin stehenden Rathausverwaltung nur wenige Beschäftigte gestreikt hätten. Ähnliches verkündete die Generaldirektorin des Innenministeriums, Cristina Diaz. Nach ihren Angaben beteiligten sich in der Verwaltung der Zentralregierung nur 16,7 Prozent der Beschäftigten, in de r Verwaltung der autonomen Provinzen 19,42 und bei den Lokalbehörden sogar nur 15,24 Prozent der Beschäftigten am Generalstreik. Wie sehr auch diese Zahlen nach unten gerechnet worden sein mögen, so machen sie aber doch auf ein Problem aufmerksam, um das sich die erfahrenen spanischen Gewerkschaften aber sicherlich zu kümmern wissen. Dies betrifft nicht nur die Beschäftigten des Staatsdienstes, sondern auch Teile der noch in Lohn und Brot stehenden - oft auch hochqualifizierten - Angestellten in der kleinen und mittleren Industrie und im Dienstleistungssektor.


Überbordende Arbeitslosigkeit

Für die spanischen Gewerkschaften ist unabhängig von sonstigen Unterschieden und parteipolitischen Rücksichten indes klar, dass es nach dem 29.3. keine Pause geben kann und darf. Zu viel steht auf dem Spiel. Die Durchsetzung der "reforma laboral" würde laut UGT die Zahl der Arbeitslosen auf 6 Millionen ansteigen lassen.

Nur einen Tag nach dem Generalstreik präsentierte die Regierung ihr mit der EU abgestimmtes Sparbudget. Ministerpräsident Rajoy hatte extra die Wahlen in Andalusien und Asturien, bei denen die PP eine deutliche Niederlage erlitt, und den Generalstreik abgewartet, bevor er den Haushalt 2012 vorstellte. Die EU-Kommission hatte ihn eindringlich dazu aufgefordert und eigens Finanzinspektoren nach Madrid geschickt, um sich ein Bild über die fatale Lage der Staatsfinanzen zu machen und die Vorgaben aus Brüssel mit gehörigem Nachdruck vor Ort zu vertreten - mit "Erfolg".

Der Haushaltsentwurf sieht Einsparungen und Steuererhöhungen von insgesamt 35 Milliarden Euro vor. Finanzminister Montoro sprach von der "größten Anstrengung zur Haushaltskonsolidierung" seit dem Ende der Franco-Diktatur 1975. Die Ausgaben sollen durchschnittlich um fast 17‍ ‍Prozent gekürzt werden, um das neue Defizitziel zu erfüllen, erklärte Vize-Ministerpräsidentin Sáenz de Santamaría.

Die dringendste Aufgabe der Regierung sei es, das Haushaltsdefizit zu senken und Spanien wieder zu Wachstum und Beschäftigung zu führen. Dazu müssten Renten, Gehälter und Arbeitslosenunterstützung zwar nicht gekürzt, aber "eingefroren" werden. Nach der Logik dieser Regierung der Reichen und Multimillionäre sind außerdem die komplette Streichung der Beihilfe für Menschen mit Behinderung und Streichungen bei der staatlichen Arbeitsförderung konsequente und nötige Maßnahmen. Die Förderungsprogramme werden um gut 1,5 Milliarden Euro gekürzt. Das ist eine Absurdität angesichts der Millionen Arbeitslosen. Solche Programme sind in den Regionen mit durchschnittlichen Arbeitslosenquoten über 30 Prozent, bei Jugendlichen mit 50 Prozent, die einzige Möglichkeit überhaupt eine Beschäftigung bzw. Aus- oder Fortbildung zu finden.


PP-Regierung beginnt zu lavieren

Nur wenige Tage nach dem Generalstreik zeigte sich, dass die PP-Regierung einerseits unter dem Druck der Millionen und der Wahlschlappen in Andalusien und Asturien zum Lavieren gezwungen ist, andererseits aber ihren Kurs nicht ändern will.

Ursprünglich geplant war offensichtlich eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das wurde jedoch vorerst auf Eis gelegt, angeblich weil man den "Konsum nicht belasten" wolle. Der Finanzminister bestätigte damit aber indirekt, dass diese Massenverbrauchssteuer entgegen den Wahlversprechen eigentlich erhöht werden sollte. Über die Anhebung der Strompreise um 7 und der Gaspreise um 5 Prozent wird den breiten Massen aber auf andere Weise tief in die Taschen gegriffen. Hinzu kommt, dass die Kaufkraft der Bediensteten im öffentlichen Dienst sinkt, weil deren Löhne eingefroren bleiben, nachdem die Sozialisten diese zuvor bereits gesenkt hatten.

Besonders die Steueramnestie für die Reichen und die Großunternehmen stößt in breiten Teilen der Bevölkerung auf Kritik. Nach einer von der als "rechtsliberal" eingestuften Tageszeitung "El Mundo" durchgeführten Umfrage lehnen 63 Prozent der Befragten die Maßnahme ab. Die PP-Regierung plant, dass Steuerhinterzieher eine lächerliche Strafe von nur 10 Prozent für ihre nicht deklarierten Einkommen oder Vermögen zahlen. Für das ins Ausland verschobene Schwarzgeld soll sogar nur ein Satz von 8 Prozent gelten.

Alle im Parlament vertretenen Oppositionsparteien äußerten scharfe Kritik. Der Generalsekretär der Sozialistischen Partei (PSOE), Pérez Rubalcaba, beschuldigte die Regierung, Steuerhinterzieher zu belohnen und Steuerzahler zu bestrafen. Er erinnerte daran, dass sich die Partido Popular noch vor zwei Jahren strikt gegen eine Steueramnestie ausgesprochen habe.

Offenbar unter dem Druck der Proteste und des Streiks kürzt die Regierung einige Abschreibungsmöglichkeiten bei Großunternehmen und erhöht die Einkommens- und Grundsteuern. Mit dieser eher symbolischen Maßnahme verprellt sie aber dennoch einige Sektoren ihres Klientels. Und das Großkapital reagiert mit einer Strafaktion.

Die Risikoaufschläge für spanische Staatsanleihen sind wieder auf fast 380‍ ‍Basispunkte gestiegen. Der Zinsaufschlag liegt wieder so hoch wie im Dezember 2011 und deutlich über dem Aufschlag Italiens. Bis vor wenigen Wochen lagen die Aufschläge für Rom stets deutlich über denen für Spanien.

An den Finanzmärkten wird befürchtet, dass Spanien mit diesen Einschnitten noch tiefer in die Rezession rutscht und damit zum Nothilfe-Kandidaten Nummer eins noch vor Italien wird. In den ersten beiden Monaten des Jahres sind die Steuereinnahmen erneut um 3,5 Prozent eingebrochen. Damit steht der gesamte Haushalt schon jetzt auf wackeligen Beinen. Von "Konsolidierung" der Staatsfinanzen und Erholung der Wirtschaft können nur Träumer oder Demagogen reden. Es wird eine spannende Frage in den nächsten Wochen sein, inwieweit die beiden größten Gewerkschaften, UGT und CC.OO, den Weg des klassenorientierten Massenkampfes weiter gehen wollen und wie stark die auf Kompromisse und Verhandlungen mit der Regierung setzenden Strömungen, die es nicht nur in der UGT gibt, sich zu Wort melden.


Die Diskussion um den nächsten Schritt

Dass der Generalstreik nicht das letzte Wort sein kann wird offen ausgesprochen. Ein neuer Generalstreik im Mai wird auf allen Eben diskutiert. Von einem "unbegrenzten Streik", wie bereits am 29.3. auf Flugblättern sowohl der syndikalistischen CGT wie auch der anarchistischen CNT gefordert, dürften die Mitglieder der beiden Großgewerkschaften derzeit kaum überzeugt sein. Klar ist, dass Zugeständnisse besonders unter jungen Aktivisten bei UGT und CC.OO kein Verständnis finden würden. Gerade sie fordern mehr als nur ein "Nein" zur "reforma laboral", sondern erwarten überzeugende und greifbare Alternativen.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 15 vom 13. April 2012, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2012