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USA/301: Mexikanische Zeitarbeiter in den USA - Sklaven mit Arbeitsvisum (idw)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Oktober 2010

Mexiko:
Zeitarbeiter in den USA - Sklaven mit Arbeitsvisum

Von Emilio Godoy


Mexiko-Stadt, 8. Oktober (IPS) - Der Mexikaner Alberto Rivero ist einer von 130.000 Arbeitsmigranten, die Jahr für Jahr mit einem Zeitvertrag in der Tasche zum Arbeiten in die USA reisen. Seit drei Jahren bezahlt er alle Kosten für Visum, Reise und Unterkunft selbst, obwohl diese Kosten eigentlich von seinem Arbeitgeber getragen werden müssten.

"Im vergangenen Jahr musste ich für etwa 800 US-Dollar selbst aufkommen. Bei meiner ersten Beschäftigung in den USA waren mir diese Kosten erspart geblieben", erklärt der 33-jährige Arbeitsmigrant Rivero, der als Gärtner in West Chester im US-Bundesstaat Pennsylvania beschäftigt ist.

Seit 1943 gibt es in den USA das Arbeitsvisum H2 für ausländische Arbeitnehmer. In den 80er Jahren kamen das Visum H2A für Plantagenarbeiter und das Visum H2B für andere Berufsgruppen wie Gärtner, Bauarbeiter und Hotelreinigungskräfte dazu. Die Arbeitskräfte dürfen nur an vorher festgelegten Arbeitsplätzen tätig werden, und der Arbeitgeber muss für die Kosten des Arbeitsaufenthalts aufkommen.

"Wenn der Arbeitgeber seinen gesetzlichen Pflichten nicht nachkommt, hat ein mexikanischer Gastarbeiter keine Möglichkeit, sich in den USA einen Alternativjob zu suchen. Aus Angst vor der Deportation halten Arbeitsmigranten deshalb lieber still", erklärt Victoria Gavito, Leiterin der Abteilung für Rechtsfragen beim Zentrum für die Rechte von Migranten (CDM) im mexikanischen Bundesstaat Zacatecas.


Menschenhandel mit Zeitarbeitern

"Der Missbrauch beginnt bei den Arbeitsvermittlern. Sie fordern von den Mexikanern eine Kostenbeteiligung für Visum und Reisekosten bei Vertragsabschluss. Problem ist, dass es keinerlei rechtliche Bestimmungen über die Ausgestaltung dieser Verträge gibt", erläutert Alejandra Ancheita, Rechtsberaterin beim Migrantenhilfswerk 'ProDesc'.

Die Arbeitsvisa H2A und H2B leisteten dem Menschenhandel Vorschub", so die Organisation, die wie das CDM den Arbeitsmigranten rechtlichen Beistand leistet und in Missbrauchsfällen vor Gericht zieht.

Nach übereinstimmenden Angaben von US-Regierung und Nichtregierungsorganisationen nehmen jährlich etwa 130.000 Mexikaner an diesem Zeitarbeitsprogramm teil. Die angeworbenen Arbeitnehmer kommen vor allem aus den Bundesstaaten Guanajuato, San Luis Potosí, Jalisco und Zacatecas und arbeiten in den US-Bundesstaaten Louisiana, North Carolina Massachusetts, New York und Washington.

Der Absolvent des Masterstudiengangs Internationale Studien an der Nationalen Autonomen Universität Mexiko UNAM, Enrique González, hat sich in seiner Abschlussarbeit mit den H2-Visa befasst. Bei seinen Recherchen hörte er sich in 867 Haushalten im Bezirk El Naranjo im zentralmexikanischen Bundesstaat San Luis Potosí um und fand 24 Landsleute, die im Rahmen des Zeitarbeitprogramms in den USA tätig gewesen waren. Siebzig Prozent von ihnen hatten für ihr Arbeitsvisum und 92 Prozent für die Reisekosten bezahlt. In nur 45 Prozent der Fälle hatten die Arbeitnehmer die Auslagen erstattet.


Kriminelle Arbeitsvermittler - Regierung untätig

Die Arbeitsvermittler haben in Mexiko Unternehmen gegründet, um Arbeitskräfte aus dem ganzen Land anzulocken. Sie arbeiten dabei eng mit Firmen in den USA zusammen. Kontrollen seitens des mexikanischen Arbeits- und Sozialministeriums müssen die Firmen nicht fürchten, da ein entsprechendes bilaterales Abkommen fehlt.

Nach mexikanischem Arbeitsrecht müssen die Vermittlungsunternehmen die Kosten für Visa- und Reisekosten sowie die Bearbeitung der Arbeitsverträge übernehmen, die eigentlich der Schlichtungs- und Schiedskommission vorgelegt werden müssten. Doch dieser Verpflichtung kämen die Firmen schlichtweg nicht nach, so die Aktivisten.

Ihre Untätigkeit angesichts der fehlenden Einhaltung von Bestimmungen begründet die Regierung mit dem Argument, dass es sich in diesen Fällen um Übereinkünfte zwischen Privatpersonen handle und sie deshalb nicht eingreifen könne, erläutert Gonzáles. "Weder mischt sich die Regierung ein, noch will sie überhaupt wissen, welcher Art die Verträge sind."


Rechtsbeistand nur durch Nichtregierungsorganisationen

Die Organisation ProDesc begleitet momentan zwei Sammelklagen von Zeitarbeitern, die im US-Bundesstaat Louisiana eingesetzt worden waren. Einer der Fälle betrifft 35 Immigranten aus San Luis Potosí, die 2008 bei der Erdbeerernte halfen. Die Arbeitgeber hatten den Migranten die Pässe abgenommen und sie anschließend unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten lassen. Außerdem waren sie physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt.

Die Hilfsorganisationen wollen erreichen, dass sich Arbeitgeber und Arbeitsvermittler auch vor mexikanischen Gerichten verantworten müssen. Entsprechende Prozesse in den Vereinigten Staaten haben bereits begonnen. "Die Regierung muss dafür sorgen, dass es rechtliche Regelungen gibt. Ein Gerichtsprozess kann das Grundproblem nicht lösen. Der Prozess des Vertragsabschlusses sowie die Erteilung von Visa und die Transportkosten müssen klar geregelt werden", betont die Anwältin Ancheita von der Organisation ProDesc.

Die Organisation CDM ist dabei, Daten über Zeitarbeitsmigranten zu sammeln. Dieses Jahr hat sie bereits drei Anzeigen von Arbeitnehmern wegen Verletzung der Arbeitsrechte erhalten, die in North Carolina, Georgia und Kalifornien in Vergnügungsparks tätig waren.

Das 1994 in Kraft getretene Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA, dem Kanada, die USA und Mexiko beigetreten sind, sieht keine Regelungen für Zeitarbeitsverträge vor. Immerhin wurde im März dieses Jahres das Visa-Programm H2 leicht verändert. Seit 1974 gibt es jedoch einen bilateralen Vertrag für Zeitarbeitskräfte im Agrarsektor zwischen Mexiko und Kanada. Nach offiziellen Angaben kommen jährlich 15.000 Mexikaner auf Grundlage dieses Vertrages zum Arbeiten nach Kanada.

Immerhin wurde im März dieses Jahres das Visa-Programm H2 leicht verändert: Die Vertragsbedingungen müssen nun schriftlich festgehalten und die ausländischen Arbeitsvermittler genannt werden, um eventuelle Arbeitsrechtsverletzungen oder ungültige Vertragsklauseln gerichtlich anfechten zu können. (Ende/IPS/beh/2010)


Links:
http://www.cdmigrante.org/
http://www.prodesc.org.mx/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=96543

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2010