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USA/331: Islamfeindliche Bloggerbewegung distanziert sich von norwegischem Attentäter (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Juli 2011

USA: Islamfeindliche Bloggerbewegung distanziert sich von norwegischem Attentäter

Von Jim Lobe


Washington, 27. Juli (IPS) - Nach den Anschlägen in Norwegen mit mindestens 76 Toten wirft die Öffentlichkeit in den USA islamfeindlichen Gruppen und Bloggern vor, den Attentäter Anders Behring Breivik in seinen mörderischen Absichten bestärkt zu haben. Die Ultrarechten distanzieren sich aber von dem Norweger, dessen wirre Theorien neben antiislamischen auch antisemitische Züge tragen, obwohl er sich selbst als Philosemit ausgibt.

Breivik selbst hat in seinem unter dem Pseudonym 'Andrew Berwick' im Internet publizierten Manifest '2083: A European Declaration of Independence' einschlägige Hinweise gegeben. Wie der Wissenschaftler Toby Archer vom Finnischen Institut für internationale Angelegenheiten in einem kürzlich auf der Website des internatonalen Online-Magazins 'Foreign Policy' erschienenen Artikel darlegt, gehören diese anti-islamischen Vereinigungen zu einer "transatlantischen Bewegung, die sich selbst oft als 'Gegen-Dschihad' bezeichnet".

"Seine Schriften zeigen, dass Breivik eindeutig ein Produkt der vor allem im Internet beheimateten antimuslimischen Community ist, zu der auch Regierungskritiker und Einwanderungsgegner gehören", schreibt Archer. Anders als die traditionelle Rechte in Europa sei dieses Netzwerk von der Tendenz her philosemitisch und unterstütze die ultrarechten Parteien in Israel.

Einige US-Mitglieder des Netzwerks, die allesamt den Neokonservativen zuzurechnen sind, hatten sich im vergangenen Jahr an einer umstrittenen Kampagne gegen den Bau einer Moschee nahe Ground Zero in New York beteiligt.


Massive Werbung für islamfeindlichen Film während US-Wahlkampf

Dieselben Blogger und Gruppen warben offen für den Film 'Obsession: Radical Islam's War Against the West'. Produziert wurde er vom 'Clarion Fund', hinter dem offensichtlich die rechtsextreme israelische Vereinigung 'Aish Hatorah' steht, für die radikale Islamisten eine ebenso große Bedrohung darstellen wie einst die Nazis.

Vor den Präsidentschaftswahlen 2008 verteilte der Clarion Fund etwa 28 Millionen DVDs des Films an Haushalte in den so genannten 'Swing States', den US-Bundesstaaten, in denen ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Kandidaten erwartet wurde. Damit sollten Wähler beeinflusst werden, gegen Barack Obama zu stimmen.

In seinem Manifest machte Breivik seine Leser auch auf YouTube-Videos von 'Obsession' aufmerksam. Der 32-jährige Norweger bezieht sich außerdem mehr als 160 Mal auf das Blog 'Jihad Watch' und seinen Autor Robert Spencer. Auch Daniel Pipes und sein 'Middle East Forum' (MEF) werden mehrfach genannt, wie die liberale Denkfabrik 'Center for American Progress' berichtete.

Des weiteren zitiert Breivik Pamela Geller und ihren Blog 'Atlas Shrugs', das 'Center for Security Policy' und seinen Präsidenten Frank Gaffney sowie die CSP-Nahostexpertin Caroline Glick. Alle diese Blogger haben sich vehement von Breivik distanziert. Erst am 23. Juli erfuhren sie die wahre Identität des Norwegers. In den Medien wehrten sie sich gegen Vorwürfe, sie trügen Mitverantwortung für die Anschläge.

Geller hatte im vergangenen Jahr gemeinsam mit Spencer ein Buch veröffentlicht, in dem Obama beschuldigt wird, einen "Krieg gegen Amerika" zu führen. Der ehemalige US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Bolton, verfasste das Vorwort zu dem Buch. Die 'New York Times' berichtete auf ihrer Titelseite, dass die Autoren häufig Breivik zitierten.

In ihrem Blog 'Atlas Shrugs' schrieb Geller, ihr eine Mitschuld zu geben, sei so, als ob man die Beatles für die Morde von Charles Manson mitverantwortlich machen würde. "Manson verstand den Beatles-Song 'Helter Skelter' als Aufforderung für seine Morde", erklärte sie. Es wäre aber lächerlich, die Beatles dafür zu beschuldigen. Die Hippie-Kommune 'Manson Family' ermordete 1969 die Schauspielerin Sharon Tate und vier weitere Menschen. Auch Spencer äußerte sich auf der Website 'Jihad Watch' empört über Breiviks Taten und gegen ihn selbst gerichtete Schuldzuweisungen.


Hohe finanzielle Unterstützung für anti-islamische Gruppen in den USA

David Horowitz, den Breivik in seinem Manifest erwähnte, soll über sein 'David Horowitz Freedom Center' Ende des vergangenen Jahrzehnts etwa 920.000 US-Dollar für 'Jihad Watch' bereitgestellt haben. Auch er verteidigte Spencer auf seiner rechtsextremen Website 'FrontPage'.

Der größte Teil des Geldes wurde von der 'Fairbrook Foundation' gespendet, die von Aubry und Joyce Chernick geleitet wird. Die Stiftung unterstützt islamfeindliche Gruppen wie 'Pipes MEF', 'Gaffneys CSP' und 'Aish Hatorah' ebenso wie die rechtsextreme 'Zionist Organization of America' (ZOA), wie Steuerunterlagen von 2009 belegen. Viele Geber, bei denen es sich zumeist um ultrakonservative Juden handelt, haben in den vergangenen Jahren anti-islamische Gruppen bezuschusst.

"Robert Spencer hat niemals einen Terrorakt unterstützt", erklärte Horowitz auf 'FrontPage'. "Nach Ansicht der Linken besteht sein Vergehen darin, dass er die Wahrheit über islamische Fanatiker gesagt hat." Gaffney wiederum hat lange Zeit behauptet, dass die Vereinigung Muslimbruderschaft dem Westen einschließlich der USA die 'Scharia', das islamische Recht, aufzwingen wollte. Auf seiner Website äußerte er seine Sorge darüber, dass "das Chaos" in Norwegen die falschen Lehren vermitteln könnte.

"Die blutrünstigen Angriffe in Norwegen schreien nach Gerechtigkeit für die Opfer", schrieb er. Norwegen und andere zivilisierte Nationen sollten mit Bedacht reagieren und der Versuchung widerstehen, diejenigen zu unterdrücken, die vor dem Vormarsch der Scharia warnten.


Hetzschrift von britisch-schweizerischer Wissenschaftlerin

Laut Archer ließ sich das transatlantische Netzwerk der Islamfeinde von der britisch-schweizerischen Wissenschaftlerin Bat Ye'or beeinflussen, die 2005 ein Buch mit dem Titel 'Eurabia: The Euro-Arab Axis' veröffentlicht hatte. Darin beschreibt sie die Entwicklung Europas von einer jüdisch-christlichen Zivilisation zu einer post-jüdisch-christlichen Zivilisation, die sich der Ideologie des Dschihad unterwerfe.

"Eurabien" sei ein antisemitisches Konzept, das sich gegen die USA und Israel richte, sagte Ye'or bei einer Präsentation ihres Buches im neokonservativen Hudson-Institut in Washington. In der Publikation bezieht sie sich unter anderem auf Pipes, Spencer, die italienische Schriftstellerin Oriana Fallaci und den britischen Historiker Niall Ferguson. In Breiviks Manifest wird Ye'or 59 Mal zitiert.

Beobachter in den USA betrachten Breiviks Philosemitismus als Ironie, da die extreme Rechte in Europa immer judenfeindlich gewesen ist. Indem der Norweger wiederholt den "kulturellen Marxismus" als großen Feind der westlichen Zivilisation hinstellt, geselle er sich in Wirklichkeit zu den zahlreichen Theoretikern, die antisemitische Verschwörungen ersonnen und eine kleine Gruppe von Juden für den Niedergang ihrer Gesellschaften verantwortlich gemacht hätten.


Zugleich Islamhasser und Judenfeind

"Breivik ist unbestritten ein fanatischer Islamhasser. Andererseits verficht er eine Theorie, die das Multikulturelle und die politische Korrektheit auf eine Verschwörung marxistischer Juden aus der Frankfurter Schule der dreißiger Jahre zurückführt. Das Ergebnis sei die Einwanderung von Muslimen, die Norwegen und den Rest Europas zerstören und die christliche Kultur des Westens auslöschen wollen", meinte Chip Berlet von der Denkfabrik 'Political Research Associates' in Boston im Gespräch mit IPS.

Berlet, der die extreme Rechte in den USA seit langem beobachtet, entdeckte Parallelen zwischen Breiviks Manifest und einem offenen Brief des Gründers der ultrarechten 'Free Congress Foundation', Paul Weyrich, aus dem Jahr 1999. Darin hatte Weyrich erklärt, dass der 'kulturelle Marxismus' mit seinem "Krieg gegen unsere Kultur" Erfolg habe. "Breivik ist pro-israelisch, weil er das Land als Bollwerk gegen den Islam sieht", erklärte Berlet. "Dass er selbst antisemitisch eingestellt ist, glaube ich nicht. Dennoch ist er ein Anhänger einer antisemitischen Verschwörungstheorie." (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.foreignpolicy.com/articles/2011/07/25/breivik_s_swamp
http://www.ufmt.br/ufmt/site/
http://www.publiceye.org/index.php
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56618

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Juli 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2011