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USA/337: Niedergang einer Supermacht - Rechnung von Al Kaida aufgegangen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. September 2011

USA: Niedergang einer Supermacht - Rechnung von Al Kaida aufgegangen

Analyse von Jim Lobe


Washington, 9. September (IPS) - Zehn Jahre nach dem spektakulären Terroranschlag vom 11. September 2001 auf die New Yorker Zwillingstürme des 'World Trade Center' und das Pentagon haben sich die Hoffnungen des Terrornetzwerks Al Kaida in diesem Jahr offenbar erfüllt. Trotz des gewaltsamen Todes ihres charismatischen Führers Osama bin Laden konnten sie den Niedergang der Supermacht beschleunigen wenn nicht sogar herbeiführen.

Diese Ansicht vertritt inzwischen die Mehrheit aller US-Auslandsexperten. Sie sind sich zudem weitgehend einig darin, dass die Regierung des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush auf die Attentate "überreagiert" hat und die 'Überreaktion' bis heute anhält.

Verursacht wurde sie von einer kleinen Gruppe Neokonservativer und anderer Falken. Noch bevor sich der Staub des zerstörten World Trade Centers in Lower Manhattan abgesetzt hatte, bemächtigte sich dieser Personenkreis der Außenpolitik der Bush-Regierung mit dem Ziel, die Dominanz Washingtons im Großraum Nahost zu konsolidieren. Dabei verfolgten sie eine auf Schockwirkung ausgelegte Militärstrategie, die die Gegner lähmen und rivalisierende Regionalmächte dazu bringen sollte, sich mit einer US-dominierten 'unipolaren' Welt abzufinden.

Zu den prominentesten Verfechtern der 'Shock and Awe'-Strategie innerhalb der damaligen Regierung gehörten Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Zusammen mit anderen Falken waren sie bereits vier Jahre zuvor dem sogenannten 'Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert' (PNAC) beigetreten. Mitbegründer der sogenannten 'letter-head organisation' waren die neokonservativen Ideologen William Kristol und Robert Kagan, die 1996 in einem viel beachteten Beitrag die USA aufgefordert hatten, ihre Hegemonie nach dem Kalten Krieg möglichst lange zu halten.


Militarisierungspropaganda

In einer Reihe nachfolgender Briefe und Veröffentlichungen drängten sie zu immer neuen militärischen Ausgaben, Präventivschlägen und unilateralen Militäraktionen gegen potenzielle Gefahren sowie zu Regimewechseln in 'Schurkenstaaten'. Erstes Opfer ihrer Kriegspropaganda war Iraks ehemaliger Staatspräsident Saddam Hussein.

Die kurz vor dem Anschlag vom 11. September von PNAC verbreitete Ansicht, dass Washington seine "wohlwollende globale Hegemonie" bis in die Unendlichkeit verlängern könne, kommt nicht von ungefähr. Mit einem Anteil an der Weltwirtschaft von mehr als 30 Prozent, einem Verteidigungshaushalt, der größer ist als der der anderen 20 höchstgerüsteten Länder der Welt zusammengenommen, und der stärksten finanzwirtschaftlichen Position innerhalb einer Generation schien Washington unschlagbar. Der Eindruck wurde durch die Demonstration nationaler Einheit nach den Anschlägen vom 11. September und die Geschwindigkeit und scheinbare Leichtigkeit, mit der die USA den Sturz der Taliban in Afghanistan herbeiführten, weiter verstärkt.

"Ich habe die Weltgeschichte zurückverfolgt, doch konnte ich nichts Vergleichbares finden", kommentierte begeistert der Historiker der Yale-Universität Paul Kennedy die damalige Überlegenheit Washingtons und sah sich ermutigt, einen Vergleich zum ehemaligen Britischen Empire zu ziehen. Auch die PNAC-Kämpen waren beeindruckt. "Tatsache ist, dass es kein anderes Land gibt, das seit dem römischen Reich kulturell, wirtschaftlich, technologisch und militärisch derart überlegen war", frohlockte der neokonservative Kommentator der Washington Post, Charles Krauthammer, ein Cheney-Anhänger und Verfechter einer US-geführten "unipolaren" Welt.

Die Begeisterung führte dazu, dass PNAC sein nächstes Vorhaben in Angriff nahm: das Herbeiführen eines Regimewechsels im Irak. Einen solchen Versuch zu unterlassen, könne im Krieg gegen den internationalen Terrorismus einer verfrühten Kapitulation gleichkommen, warnte PNAC. Washington müsse Staaten, insbesondere diejenigen, die Israel feindlich gesinnt seien und Terrorgruppen unterstützten, auf seine Abschussliste setzen.


Kardinalfehler

Anstatt sich ausschließlich auf die Jagd nach bin Laden und andere Al-Kaida-Mitglieder und die Mittelbeschaffung für den Wiederaufbau Afghanistans zu konzentrieren, begann Bush mit den Vorbereitungen für den Krieg gegen den Irak seinen wohl fatalsten außenpolitischen Fehler, der nicht nur die Voraussetzungen für eine Rückkehr der Taliban nach Afghanistan schuf, sondern den USA jeden Monat Kosten in Höhe von zehn Milliarden US-Dollar aufbürdete.

Zudem brachte die Bush-Entscheidung die US-Amerikaner um die internationale Unterstützung und Solidarität, die sie unmittelbar nach dem 11. September erfahren hatten. Deutlich wurde dies nicht zuletzt durch die Weigerung des UN-Sicherheitsrats, Bush die Zustimmung zu einer Irak-Invasion zu geben. Millionen Muslime sahen sich in ihrer in zahlreichen Umfragen geäußerten Meinung bestärkt, dass Washington einen Feldzug gegen den Islam führe.

Mit der Invasion des Iraks sind die USA in eine Falle getappt, die ihnen bin Laden aufgestellt hatte. Der Al-Kaida Chef hatte einen Zusammenhang zwischen Moskaus zehnjähriger Besetzung Afghanistans und dem Zusammenbruch der damaligen Sowjetunion gesehen und war überzeugt, diese Erfahrung auch im Kampf gegen die USA nutzen zu können.


Al Kaida auf den Leim gegangen

"Wir haben zusammen mit den Mudschaheddin Russland zehn Jahre lang ausbluten lassen, bis es bankrott war und sich als Verlierermacht zum Rückzug gezwungen sah", beschrieb bin Laden 2004 in einer Videoaufnahme eine Entwicklung, die er als "Abnutzungskrieg" bezeichnete. "Wir werden mit der Politik, Amerika bis zum Bankrott ausbluten zu lassen, fortfahren", fügte er hinzu. "Wir müssen lediglich zwei Mudschaheddin in den äußersten Süden entsenden, wo diese ein Stück Stoff mit der Aufschrift 'Al Kaida' hochhalten, und schon werden die Generäle dort rasen und Amerika menschliche, wirtschaftliche und politische Verluste bescheren, ohne irgendetwas zu erreichen, außer vielleicht, dass sie ihren Privatunternehmen gewisse Vorteile verschaffen."

Als bin Laden seine Äußerungen auf Video aufnahm, sahen sich die US-Truppen im Irak mit einer wachsenden Gegenwehr konfrontiert. Dieser Entwicklung folgten die Misshandlungen der Gefangenen im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis, die das Ansehen der ohnehin moralisch angeschlagenen USA weiter beschädigten. Außerdem rutschte der Irak an den Rand des Bürgerkriegs ab und machte die US-Militärintervention noch teurer.

So wie bin Laden vorhergesagt hat, setzte Washington, angespornt durch BNAC, überall dort, wo die Al Kaida oder ihre Verbündeten eine Fahne hissten, Truppen oder wie zum Schluss Drohnen ein. Dadurch wiederum schwächten sie die Lokalregierungen und zogen sich den Zorn der lokalen Bevölkerungen - etwa in Somalia und dem Jemen - zu.

Ganz zu schweigen von der Ablehnung, die die US-Truppen in Pakistan und in Afghanistan erfuhren, wo Bush-Nachfolger Obama die Truppenstärke in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit auf 100.000 Mann mehr als verdoppelte. Die US-Kosten sind in jeder Hinsicht exorbitant. Die Ausgaben von drei bis 4,4 Billionen Dollar, die Washington im Krieg gegen den internationalen Terrorismus buchstäblich verpulvert hat, trugen zu einem wesentlichen Teil zu der Finanzkrise bei, die die politische Lage in den USA dramatisch verändern und das Land in die Nähe des Bankrotts bringen sollte.


Bild vom unschlagbaren Amerika bröckelt

Auch wenn die US-Streitkräfte auch heute noch als die schlagkräftigsten der Welt gelten - die Erfolge kleiner Guerillagruppen haben Zweifel an der Unbesiegbarkeit der USA ausgelöst. Das Ergebnis sei eine "ständige Erosion der amerikanischen Position in der Welt", die Obama bisher nicht umkehren konnte, so der Kommentator der 'New York Times', Ross Douthat.

Nach Ansicht von Richard Clarke, einem hochrangigen Sicherheitsexperten der Bush-Regierung, der das Weiße Haus Monate vor dem 11. September vor einem Al-Kaida-Anschlag gewarnt hatte, "haben wir unseren Gegnern über einen langen Zeitraum in die Hände gespielt, indem wir genau das taten, was sie wollten, das wir taten: nämlich so auf ihre Provokationen zu reagieren, dass unsere Wirtschaft geschädigt wurde und sich der Nahe Osten von uns abwandte". Verantwortlich dafür sind genau diejenigen Falken, deren Wunsch es war, die Hegemonie der USA unumkehrbar auszubauen. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2011