Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

USA/340: 'Occupy Wall Street' im Aufwind, Studien belegen zunehmende Ungleichheit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Oktober 2011

Finanzen:
'Occupy Wall Street' im Aufwind - Studien belegen zunehmende Ungleichheit

Von Jim Lobe


Washington, 27. Oktober (IPS) - Die zunehmend populäre Protestbewegung 'Occupy Wall Street' könnte durch eine neue Studie zusätzlichen Rückenwind bekommen. Eine überparteiliche Parlamentsbehörde in den USA hat herausgefunden, dass die Einkommensschere in den USA immer größer wird.

Wie aus der am 25. Oktober vom Haushaltsbüro beim Kongress (CBO) veröffentlichten Untersuchung hervorgeht, ist das durchschnittliche steuerbereinigte Realeinkommen des reichsten ein Prozentes der US-Haushalte zwischen 1979 und 2007 um 275 Prozent gestiegen. Dieser Zuwachs ist etwa sieben Mal größer als die Erhöhung der Einkommen der verbleibenden 99 Prozent im selben Zeitraum.

Das Einkommen der ärmsten 20 Prozent der US-Bürger sei in diesen 28 Jahren um lediglich 18 Prozent - und somit um weniger als ein Prozent jährlich - gewachsen, heißt es in dem Report, den führende Vertreter von Demokraten und Republikanern im Finanzausschuss des Senats vor etlichen Jahren in Auftrag gegeben hatten. CBO hat die Aufgabe, die öffentlichen Ausgaben während eines Haushaltsjahrs einzuschätzen.

Mehrere Studien des privaten oder Non-Profit-Sektors in den USA haben bereits belegt, dass die ungleiche Verteilung des Wohlstands seit einer Generation deutlich zugenommen hat. Als der CBO-Bericht verbreitet wurde, zeigte eine von 'New York Times' und 'CBS News' durchgeführte Umfrage, dass Occupy Wall Street mehr Unterstützung aus der Bevölkerung erhält als zunächst erwartet worden war. Nicht nur in New York, sondern in Dutzenden weiteren Städten der USA finden inzwischen Proteste gegen soziale Ungleichheit und die Übermacht der Banken statt.

Die Bewegung, die sich Mitte September im Zucotti-Park in Manhattan formierte, prangert die zunehmende Konzentration von Vermögen in den Händen einer Minderheit an. Die Lage der Mittelschicht, der Armen und der Arbeitslosen wird dagegen immer heikler. Kritisiert wird außerdem der als exzessiv betrachtete Einfluss der an der Wall Street angesiedelten Großbanken und Finanzinstitutionen auf die Regierungspolitik.


Mehrheit der Bürger sympathisiert mit Occupy Wall Street

43 Prozent von 1.650 von der New York Times und CBS Befragten erklärten, dass sie die Ansichten von Occupy Wall Street teilten. 27 Prozent sprachen sich dagegen aus. 30 Prozent hatten sich keine Meinung gebildet. Ebenso viele Befragte gaben an, bisher wenig oder gar nichts über die Bewegung gehört zu haben.

Die Umfrage bewies, dass zwischen den Anhängern der beiden großen politischen Parteien eine scharfe Linie verläuft. 54 Prozent der Demokraten stellten sich hinter die Protestierenden, während nur 13 Prozent von ihnen sich nicht mit der Initiative einverstanden zeigten. Bei den Republikanern betrug die Zustimmung dagegen lediglich 19 Prozent. 57 Prozent lehnten Occupy Wall Street ab.

Von den unabhängigen Wählern, die immerhin 30 bis 40 Prozent der Wählerschaft ausmachen, waren 48 Prozent mit der Anti-Kapitalismus-Bewegung solidarisch. Nur 20 Prozent sprachen sich dagegen aus.

Eine starke Mehrheit von 46 Prozent der Interviewten unterstützten zudem die Aussage, dass "die Sichtweisen der Leute, die an Occupy Wall Street beteiligt sind, die Ansichten der meisten Amerikaner widerspiegeln". 34 Prozent zeigten sich damit nicht einverstanden, während der Rest keine Meinung dazu hatte.

Politische Beobachter leiten davon ab, dass die Demonstranten mittlerweile erheblich mehr Zuspruch aus der Bevölkerung bekommen. In den ersten zwei Wochen, in denen Occupy Wall Street in den großen US-Medien für Schlagzeilen gesorgt hat, ist der Bekanntheitsgrad der Bewegung beträchtlich gestiegen.

Bei einer Gallup-Umfrage kam Mitte Oktober heraus, dass nur 22 Prozent der Befragten die Zielsetzungen von Occupy Wall Street billigten und 15 Prozent dagegen waren. 63 Prozent erklärten, dass ihnen Informationen darüber fehlten.


Populärer als konservative 'Tea Party'-Bewegung

Mittlerweile scheint es hingegen, als sei die Bewegung sogar populärer als die erzkonservative 'Tea Party', die eine Schlüsselrolle beim Wahlsieg der Republikaner 2010 gespielt hatte. Jüngsten Untersuchungen zufolge unterstützen nur 25 Prozent der US-Bürger die Tea Party, die große Einschnitte im öffentlichen Haushalt fordert.

"In nur einem Monat haben die Protestierenden den nationalen Dialog von dem ständigen Fokus auf das Haushaltsdefizit zu den echten Problemen der Bevölkerung gelenkt: fehlende Jobs - vor allem angemessen bezahlte -, rasch zunehmende Ungleichheit, die Verschuldung mittelloser US-Bürger und der schädliche Einfluss von Geld auf die Politik", schrieb Joshua Holland, der die progressive Website 'Alternet' betreibt.

Die Umfragen förderten zutage, dass das Vertrauen der Bevölkerung in das Parlament und die Regierung so gering ist wie seit langem nicht mehr. Zwei Drittel der Befragten erklärten zudem, dass die Einkommen im Land gerechter werden müssten. Lediglich 26 Prozent bewerteten die gegenwärtigen Zustände als 'gerecht'.


Republikaner als Anwälte der Reichen gesehen

Fast 70 Prozent waren der Ansicht, dass die Republikaner die Reichen in den USA vor der Mittelschicht und den Armen bevorzugen. Seit die Konservativen im vergangenen Jahr die Mehrheit im Repräsentantenhaus errangen, haben republikanische Abgeordnete alle Vorstöße blockiert, die eine höhere Besteuerung von Firmen und wohlhabender Bürger zum Ziel hatten. Der jüngsten Umfrage zufolge entspräche dies aber dem Wunsch von rund zwei Drittel der Bevölkerung.

Die neuen Erkenntnisse des CBO könnten den Vorkämpfern für Veränderungen weiteren Zulauf bescheren. Nicht nur die Armen kamen bei der Steigerung der Einkommen zu kurz. Auch die Mittelschicht, die 60 Prozent der Bevölkerung ausmacht, konnte nur einen durchschnittlichen Anstieg ihrer Einkommen um 1,4 Prozent jährlich verzeichnen.

Die reichsten 20 Prozent im Land kassierten folglich mehr als die Hälfte der gesamten steuerbereinigten Einnahmen des US-Haushalte 2007. 1979 hatte dieser Anteil laut CBO noch 43 Prozent betragen.

Das unabhängige 'Economy Policy Institute' (EPI) zeigt in einem am 26. Oktober verbreiteten Bericht sogar eine noch größere Diskrepanz auf. Demnach wuchs das Einkommen der reichsten 0,1 Prozent der US-Bürger zwischen 1979 und 2007 sogar um 390 Prozent. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.cbo.gov/doc.cfm?index=12485
http://www.cbsnews.com/8301-503544_162-20125515-503544/poll-43-percent-agree-with-views-of-occupy-wall-street/
http://www.epi.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=105618

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Oktober 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2011