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USA/363: USA - wie weiter nun? (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2012

US-Wahlen:
USA - wie weiter nun?

Von Lewis Hinchman



Nach der Wiederwahl Obamas und der Euphorie der Demokraten darüber, hat wieder der politische Alltag in den USA begonnen. Die Schwierigkeiten, mit denen der alte und neue Präsident zu kämpfen hat, sind beileibe nicht weniger geworden. Zudem werden ihm systemische Eigenheiten, die eher den Republikanern zugute kommen, das Regieren weiter erschweren.


Trotz des Sieges der Demokratischen Partei in den Präsidentschaftswahlen im November verharren die USA in ihrer bisherigen politischen Lage: eine geteilte Regierung und eine polarisierte Wählerschaft. Die Republikaner beherrschen mit einer Mehrheit von 234 zu 194 Sitzen weiterhin das Repräsentantenhaus, während die Demokraten im Senat über eine Mehrheit von 55 zu 45 verfügen, sofern die zwei unabhängigen Senatoren sie unterstützen. Wie gewöhnlich hat die "Grand Old Party" (GOP = die Republikaner) im Süden und den "Prärie-Staaten" gesiegt, während die Demokraten die Vorherrschaft in ihren Hochburgen, dem Nordosten und der Pazifikküste, behaupten konnten. Die "Schlachtfeld"-Staaten im Mittelwesten waren wie immer hart umkämpft. Manchmal gaben sie ihre Stimmen Obama, während sie gleichzeitig Republikaner ins Gouverneursamt oder die Landesparlamente wählten. Fest steht, dass die Obama-Regierung gegen den Widerstand der GOP im Repräsentantenhaus keine großen Reformen durchfechten kann. Die republikanischen Politiker glauben, dass ihr Mandat lautet, Obama zu stoppen. Dennoch droht Washington nicht der komplette Stillstand, denn in einigen Fällen lohnt sich für die GOP die Zusammenarbeit mit Obama und in anderen kann die Regierung ohne Unterstützung durch den Kongress handeln.

Zur Erinnerung: Als das Bundeshaushaltsdefizit während der Wirtschaftskrise erschreckend zunahm, drohten die Republikaner im Kongress, den Staat in die Insolvenz zu treiben, indem sie die Erhöhung der Verschuldungsgrenze verweigerten. Am Ende musste die Obama-Regierung mit der GOP verhandeln, aber diese verlangte einen hohen Preis: weitgehende Kürzungen der Sozialausgaben ohne Steuererhöhungen. Um dem "Super-Ausschuss", der 2011 einen Kompromiss finden sollte, einen starken Erfolgsanreiz zu geben, hat der Kongress entschieden: Falls kein Kompromiss zustande kommt, treten Anfang 2013 automatisch pauschale Haushaltskürzungen in Kraft. Die sogenannten Bush-Steuersenkungen von 2002 laufen ebenfalls am 1.1.2013 aus. Mit automatischen Budget-Kürzungen und erheblichen Steuererhöhungen gleichzeitig droht der US-Wirtschaft Anfang 2013 der finanzpolitische Abgrund (Fiscal Cliff). Pauschale 10%ige Kürzungen entziehen der Wirtschaft 984 Milliarden Dollar über 10 Jahre, die Hälfte davon aus dem Militärbudget, der Rest aus anderen Bereichen. Das Ende von Bushs Steuersenkungen würde die meisten Amerikaner mit tausenden Dollar belasten, am meisten die Wohlhabenden. Das könnte die Arbeitslosenquote bis Ende 2013 auf 9,1% erhöhen und eine erneute Wirtschaftskrise heraufbeschwören.

Die Obama-Regierung muss den Sturz in diesen Abgrund verhindern. Daher hat sie vorgeschlagen, die Haushaltskürzungen zu verschieben, bis eine tragfähige Lösung erreicht ist (etwa eine allgemeine Sanierung des Steuersystems), aber nur unter der Bedingung, dass reiche Steuerzahler (mit mehr als 250.000 Dollar Jahreseinkommen) höhere Sätze zahlen als heute. Die Republikaner im Repräsentantenhaus scheinen zu neuen Staatseinnahmen bereit, aber nicht zu höheren Steuersätzen für die Reichen. Wahrscheinlich werden alle Kürzungen verschoben. Dies käme aber einer mangelnden Bereitschaft der Regierung gleich, das Haushaltsdefizit, welches fast 100% des BIP ausmacht, ernst zu nehmen und könnte zur Abwertung der US-Staatsanleihen führen. Wollte die Obama-Regierung mit der GOP pokern, könnte sie jedoch den Absturz in den Abgrund in Kauf nehmen. In dem Fall würde sie sowohl höhere Steuersätze erlangen als auch erheblich Kürzungen im Verteidigungsbudget, die ihr weniger ausmachen als den Falken in der GOP. Dann könnte sie mit den Republikanern aus einer stärkeren Position verhandeln, da der neue Status Quo für sie annehmbarer wäre als für die Republikaner. Das birgt aber das Risiko einer Wirtschaftskrise, die gerade die Schutzbedürftigsten am härtesten treffen würde.


Die neue Krankenversicherung

Die prägende Gesetzgebung der Obama-Regierung ist ihre Reform von 2010, die 30 Millionen nicht-versicherten Amerikanern Zugang zu einer Krankenversicherung verschafft. Mitt Romney gelobte, dieses Gesetz sofort nach Amtsantritt wieder abzuschaffen. Nun scheint die Zukunft des Gesetzes aber gesichert. Mit der Zeit wird es sich so tief in der Praxis der amerikanischen Gesundheitspflege verankern, dass auch ein späterer republikanischer Präsident es nicht mehr beseitigen kann. Im Juni 2010 hat das Oberste Gericht das Gesetz durch eine knappe 5:4-Mehrheit als verfassungsgemäß erklärt, obwohl es ab 2014 Unternehmen bzw. Individuen rechtlich verpflichtet, Krankenversicherungen abzuschließen. Es gibt freilich weitere Hürden, denn das Gericht hat auch verfügt, dass die Bundesstaaten aus Medicaid, einem Gesundheitsdienst für Geringverdiener, aussteigen dürfen, wodurch eine wirkliche universelle Krankenversicherung in Frage gestellt wäre.


Die Ernennung oberster Richter

Artikel II der Verfassung der Vereinigten Staaten gibt dem Präsidenten die Befugnis, Richter für alle Bundesgerichte zu ernennen, aber nur mit Zustimmung des Senats. Zwar wird die Kandidatenwahl für das Oberste Gericht öffentlich am stärksten beachtet, den größeren Einfluss auf die Rechtsprechung üben aber die Richter aus, die für die unteren Ebenen des Bundesgerichtssystems ernannt werden: die 94 Bundesbezirksgerichte und die 12 Berufungsgerichte. Letztere sind besonders ausschlaggebend für die Entwicklung des Rechts in den USA, da das Oberste Gericht nur rund 1% aller Urteile der Berufungsgerichte überprüft. Obama hat bisher nur 105 Richter ernannt, eine verhältnismäßig geringe Zahl. Deswegen wird er während seiner zweiten Amtszeit sicher die Gelegenheit nutzen, auf die Zusammensetzung der Richterschaft nachhaltig Einfluss zu nehmen, zumal viele republikanische Richter in Kürze in Pension gehen.

Falls Obama die Chance hat, einen Kandidaten zum Obersten Gericht zu ernennen, kommt vieles darauf an, welche Richter ersetzt werden. Mögliche Gerichtsabgänger sind Antonin Scalia und Anthony Kennedy, beide von Ronald Reagan ernannt und beide 76 Jahre alt. Wenn einer oder beide sich pensionieren ließen, würde sich die ideologische Richtung des Obersten Gerichtes dramatisch verändern. Gerade deshalb aber werden sie wohl kaum einem demokratischen Präsidenten die Gelegenheit bieten, sie zu ersetzen.


Einwanderungsreform

Obama hat die Wahl vor allem durch die Unterstützung von 71% der hispanischen Wähler gewonnen. Der Anteil der "Latinos" an der Wählerschaft hat sich 2012 von zuvor rund 7% auf 10% erhöht, auch weil viele von ihnen sich erstmalig für die Wahl registrieren ließen. Der Präsident hat neue Gesetze versprochen, die den Weg der illegal im Lande Lebenden zur amerikanischen Staatsbürgerschaft erleichtern sollen. Sie könnten jedoch durch den Widerstand der Republikaner verhindert werden, wodurch diese dann freilich bei den nächsten Wahlen einen Preis zu zahlen hätten. Anfang 2012 hatte Obama den Kindern illegaler Einwanderer, die in den USA aufgewachsen sind, für zwei Jahre einen halb-legalen Status verschafft, der sie in die Lage versetzt, ungestört Arbeit zu suchen bzw. zu studieren. 200.000 Latinos haben sich dieser Möglichkeit schon bedient, und das ganze Programm hat Obama viel positive Resonanz in der hispanischen Gemeinschaft verschafft.

Romney hatte das Programm abgelehnt und den Illegalen empfohlen, sich sozusagen selbst abzuschieben. Die klügeren Köpfe in der GOP-Führung erkennen freilich, dass ihre Partei es sich langfristig nicht leisten kann, einen so großen, rasch wachsenden Wählerblock zu entfremden. Daher werden die Republikaner im Kongress vermutlich in die weitgehende Einwanderungsreform einwilligen. Selbst einflussreiche rechtsextremistische Medienstars wie Sean Hannity unterstützen mittlerweile diese Reformen.


Die politische Landschaft nach 2012

Dieser Tage frohlocken demokratisch-orientierte Kommentatoren und Parteisprecher über den langfristigen Vorsprung, den ihre Partei angeblich im Wahlmännerkolleg bei künftigen Präsidentschaftswahlen genießt. Solche optimistischen Erwartungen sind freilich nur bedingt berechtigt. Zwar vermehren die hispanischen Amerikaner rasch ihren Anteil an der Wählerschaft gerade zu einer Zeit, da sie zu treuen Stammwählern der Demokraten geworden sind. Die Einwanderungsreform würde ihren politischen Einfluss noch mehr steigern. Außerdem ist die Geburtenrate der größten demokratisch-gesinnten Minderheiten (Afro-Amerikaner, Latinos, Amerikaner asiatischer Herkunft) höher als die der Weißen. Heute gehören mehr als 50% aller in den USA geborenen Kinder zu diesen Minderheiten. Spätestens 2050 werden alle Minderheiten zusammen die Zahl der GOP-freundlichen weißen Bürger übertreffen.

Ein anderes Bild als bei den nationalen Wahlkämpfen ergibt sich aber beim Blick auf die Resultate der Gouverneurs- und Parlamentswahlen. Die Republikaner halten gegenwärtig 59 Kammern in den gesetzgebenden Versammlungen, die Demokraten nur 36, die GOP verfügt über 29 Gouverneure, die Demokraten nur über 20. Die Politik in den Bundesstaaten ist Schule und Ausbildungslager für die künftigen Politiker auf der nationalen Ebene. So kommt es, dass die GOP heute mehr potenzielle Senatoren und Repräsentanten heranzieht als die Demokraten. Zudem werden alle zehn Jahre nach den Volkszählungen die Wahlkreisgrenzen für die Wahlen zum Repräsentantenhaus neu gezogen, um Bevölkerungsverschiebungen widerzuspiegeln. In den USA bestimmen in der Regel die Gouverneure und Staatsparlamente diese Grenzen neu, und zwar so, dass das Ergebnis der eigenen Partei zugutekommt (etwa indem sie die meisten Wähler der anderen Partei in einem oder zwei Wahlkreisen konzentrieren, das sogenannte gerrymandering). Im Bundesstaat North Carolina z.B haben die zwei großen Parteien jeweils rund 50% aller Stimmen für das Repräsentantenhaus gewonnen, aber die GOP verfügt jetzt über 9, die Demokraten nur über 4 Sitze. Die Dominanz einer Partei auf Bundesstaatsniveau verhilft ihr daher häufig zur Mehrheit im Repräsentantenhaus.

Hinzu kommt, dass parteitreue Beamte und Abgeordnete in den Bundesstaaten die Wahlregeln gestalten und umsetzen. Republikanische Beamte versuchen manchmal, die Wahlbeteiligung von stark demokratischen Gruppen niederzuhalten, z.B. indem sie jeden potenziellen Wähler auffordern, einen Ausweis mit Foto vorzulegen. Einen solchen haben die Mitglieder ethnischer Minderheiten, vor allem die Afro-Amerikaner, oft nicht, denn ihre Herkunftsstaaten im Süden sind nachlässig bei der Registrierung der Geburt schwarzer Kinder. Und ohne Geburtszeugnis gibt es häufig keinen Foto-Ausweis. Außerdem haben die Bundesstaatsbeamten ziemlich viel Spielraum, ob sie das sogenannte Frühwählen erlauben (die Stimmabgabe vor dem offiziellen Wahltag). Sie entscheiden auch über andere Spielregeln: wie viele Wahlmaschinen einem bestimmten Wahlbezirk (precinct) zukommen, wie lange die Einschreibungsfrist dauert usw. Die GOP-Beamten haben all ihren Spielraum während der November-Wahlen ausgenutzt, um die Wahlbeteiligung unliebsamer Gruppen zu unterdrücken. Zum Beispiel mussten Wähler in stark demokratischen Städten wie Miami manchmal sechs Stunden warten, um ihre Stimme abzugeben, während die weißen Wähler in ländlichen Wahlbezirken Floridas nur 15 Minuten ausharren mussten. Der Grund: Der Gouverneur Floridas, Rick Scott (GOP), hatte die Frist für die Frühwahlen von 14 Tagen auf nur 8 verkürzt. Dadurch waren die Wahllokale in den Großstädten am offiziellen Wahltag total überlaufen, offenbar nicht ohne Absicht! Zudem verfügten die Wahllokale in Miami über viel zu wenige Wahlmaschinen. Fazit: Ihre politische Herrschaft in den Bundesstaaten bietet den Republikanern durchaus Möglichkeiten, trotz der für sie ungünstigen demografischen Entwicklung in der amerikanischen Politik konkurrenzfähig zu bleiben.


Kann Obama die Kulturkriege beenden?

Außer beim Thema Einwanderungsreform wird sich die amerikanische Politik in den kommenden vier Jahren vermutlich durchwursteln. Aber mehr auch nicht, denn die GOP wird fast alle progressiven Vorhaben blockieren. Ein fairer Steuerausgleich und eine wirksame Klimagesetzgebung sind nicht zu erwarten. Republikanische Spitzenpolitiker und Medienstars streiten gegenwärtig über die Ursachen ihres Wahldebakels, aber nur wenige geben zu, dass die Parteiideologie und -Politik eine Mitschuld tragen. In ihren Augen geht es allein darum, ihr Image bei Latinos und Frauen zu polieren, nicht ihre Positionen zu überdenken. Einige Beobachter hegen immer noch die Hoffnung, dass die Republikanische Partei von ihrem gemäßigten Flügel zurückerobert wird, aber dies ist ein Wunschtraum. Gemäßigte Kandidaten werden schon bei den Vorwahlen durch hoch engagierte rechtsextreme Wähler (z.B. die Tea Party-Anhänger) ausgeschaltet. Und die Politiker achten auf die Werte derjenigen, die sie gewählt haben; im Falle der GOP handelt es sich immer noch um ultra-rechte Werte, ob libertär oder christlich-fundamentalistisch. Trotzdem ist es möglich, dass die Republikaner nicht mehr mit ihrem üblichen Parteispendenvorteil rechnen können. Milliardäre wie die Gebrüder Koch oder Sheldon Adelson haben fast unbeschränkt Geld in den Wahlkampf gesteckt, aber die von ihnen unterstützten Kandidaten haben fast alle verloren. Nach so großen Verlusten werden sie wohl irgendwann den Geldhahn zudrehen. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass die Demokraten in den nächsten Jahren die Grundlagen für eine progressivere Politik legen können, die sich vielleicht erst in 10 oder 15 Jahren verwirklichen lässt - durch die Nachfolger Obamas.


Lewis Hinchman (* 1946) ist Professor (em.) für Politikwissenschaft an der Clarkson University in Potsdam/New York. Veröffentlichte 2007 gemeinsam mit Thomas Meyer das Buch: The Theory of Social Democracy.
(lhinchma@clarkson.edu)

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2012, S. 19-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2013