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BERICHT/059: Tagung "Wenn Studieren zum Normalfall wird" - Kulturwandel für die Lehre gefordert (idw)


CHE Centrum für Hochschulentwicklung - 11.12.2014

CHE Tagung "Wenn Studieren zum Normalfall wird": Kulturwandel für die Lehre gefordert



Unterfinanzierung und starre Rahmenbedingungen gehören zu den größten Hindernissen deutscher Hochschulen, wenn es darum geht, die Menge und Vielfalt der Studierenden zu bewältigen. Im Rahmen der Jubiläumstagung des CHE Centrum für Hochschulentwicklung am 4./5. Dezember in Berlin äußerten Hochschulvertreter klare Forderungen an die Politik. Gute Beispiele aus der Praxis zeigten aber auch, wie Studierende mit unterschiedlichen Bildungsbiografien zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden können. Hierfür bedarf es jedoch eines größeren Stellenwertes der Lehre.

"Den Zugang zu akademischer Bildung wieder sehr selektiv zu gestalten, beispielsweise durch einen stärkeren Numerus Clausus auch im Bachelor-Bereich, ist wenig sinnvoll und politisch nicht umsetzbar", erläuterte CHE-Geschäftsführer Jörg Dräger in seinem einleitenden Vortrag. Gründe seien eine nach Prognosen weiterhin konstant hohe Zahl an Studierwilligen sowie der Akademikerbedarf am Arbeitsmarkt. Aber auch der Ausbau von Studienplätzen könne nicht dauerhaft erfolgreich sein, wenn am Bedarf des Arbeitsmarktes und den Bedürfnissen der Studierenden vorbei geplant werde, so Dräger. Als Keynote-Speaker beschrieb Alex Usher, President at Higher Education Strategy Associates, Toronto, unter dem Titel "where demand takes us", wie das kanadische Hochschulsystem, gestützt auf massive finanzielle Anreize, expandierte. Dort studieren in der Alterskohorte der 25- bis 34-Jährigen mittlerweile knapp 57 Prozent eines Jahrganges.

Die Auswirkungen der aktuellen Expansion in Deutschland auf Hochschulen und Wirtschaft diskutierten neben Jörg Dräger und Alex Usher, Hans-Ulrich Heiß, Vizepräsident für Studium und Lehre an der TU Berlin; Dieter Jahn, Vorsitzender des Universitätsrates der Universität Konstanz, ehemals BASF und Hans-Hennig von Grünberg, Präsident der Hochschule Niederrhein.

Moderiert von CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele standen Themen wie die Beratung und Unterstützung in der Studieneingangsphase oder eine engere Verzahnung von beruflicher und akademischer Bildung als mögliche Antworten auf die gestiegene Heterogenität der Studierenden zur Debatte. Einigkeit herrschte darüber, dass die berufliche und akademische Bildung nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, immer mehr Studierende schließen sowohl eine Lehre als auch ein Studium ab. In diesem Kontext forderten die Beteiligten mehr Durchlässigkeit in beide Richtungen.


Verlässliche Grundmittel und Anpassungen bei der individuellen Studienfinanzierung gefordert

Größtes Sorgenkind der Tagungs-Teilnehmer ist die unsichere Finanzierung von beispielhaften Projekten. In TED-Umfragen konnten alle Tagungsteilnehmerinnen und-teilnehmer ihre Meinungen zu vorformulierten Fragen äußern. Gefragt danach, wo Veränderungen am dringlichsten seien, nannten über 40 Prozent die institutionelle Hochschulfinanzierung. Der Bildungsökonom Dieter Timmermann, Präsident des Deutschen Studentenwerkes, machte deutlich: "Die Grundmittel pro Studierenden sinken inflationsbereinigt seit Jahren. Im internationalen Vergleich liegen wir hinter vielen Industrienationen." Aber auch bei der individuellen Studienfinanzierung werde die Vielfalt an den Hochschulen noch nicht ausreichend berücksichtigt. Das BAföG berücksichtige zwar schon einige unterschiedliche Lebensumstände der Studierenden, für eine systematische Finanzierung des Lebenslangen Lernens gebe es jedoch noch keine Lösung.


Rahmenbedingungen flexibler gestalten

Für mehr Durchlässigkeit zwischen Beruf und Studium warb Anke Hanft, Direktorin des C3L (Centrum für Lebenslanges Lernen) der Universität Oldenburg. "Durchlässigkeit betrifft alle Hochschulen", so Hanft. Die Rahmenbedingungen für erfolgreiches lebenslanges Lernen seien an den deutschen Hochschulen in vielerlei Hinsicht strukturell, finanziell und organisatorisch noch nicht geschaffen worden, obwohl Modularisierung, ECTS und Kompetenzorientierung berufsbegleitendes Lernen in flexiblen Strukturen grundsätzlich gut ermöglichen würden.

In der Diskussionsrunde mit Dieter Timmermann und Anke Hanft sowie Kai Gehring (MDB), Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen für Hochschule, Wissenschaft und Forschung, Micha Teuscher, Rektor der Hochschule Neubrandenburg und Sprecher der Mitgliedergruppe der Fachhochschulen in der HRK, versicherte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka: "Jeder der studieren kann und möchte, soll es auch können."


Wunsch nach Kulturwandel: größerer Stellenwert der Lehre

Handlungsoptionen für die Hochschulen angesichts der aufgeführten Herausforderungen lagen im Fokus des zweiten Veranstaltungstages. Christian Berthold, Geschäftsführer von CHE Consult, erläuterte, warum es einer Individualisierung der Lehre bedürfe: "Die individuellen Talente und Fähigkeiten der Studierenden sollten produktiv genutzt werden." Eine Orientierung an Regelstudienzeiten stehe laut Sönke Knutzen, Vizepräsident der TU Hamburg-Harburg, einem individuellen Studium, das die unterschiedlichen Studierenden zu einem qualifizierten Abschluss führe, jedoch entgegen. "Studienstrukturen sollten flexibler sein. Entscheidend ist aber ein Kulturwandel", so Knutzen. Vielfalt müsse als Chance begriffen werden. Auch müsse Lehre in den Hochschulen und der Politik einen genauso hohen Stellenwert bekommen wie die Forschung, damit die vielen guten Projekte im Umgang mit der Vielfalt der Studierenden auch dann nachhaltig Wirkung entfalten, wenn die Projektförderungen ausgelaufen sind.

Jan Philipp Schmidt (MIT Media Lab) präsentierte, woran sich seine Projekte orientieren: Lernen nach individuellem Tempo, an Themen, die das eigene Interesse wecken, kreativ und vor allem mit Risikofreude am Experimentieren und in Peer-to-Peer-Situationen. Effektives Lernen erfolge nicht durch Zuhören, wie es an Universitäten seit über tausend Jahren praktiziert werde, sondern durch eigenes Tun, so Schmidt. Digitale Medien eröffnen dafür neue Wege, wie seine Beispiele zeigten.

Neue Technologien lösen dabei nicht die heutigen Herausforderungen in der Lehre, solange sie nur die klassische Vorlesung ersetzen. Didaktische Ansätze sollen die Studierenden aktiv in den Lernprozess einbinden. Die Mittel aus dem Hochschulpakt bieten aktuell die Möglichkeit, neue Formen der Lehre auszuprobieren und in den Hochschulen zu verankern. Entscheidend sei ein Paradigmenwechsel bei allen Akteuren: Lehre müssen den ihr angemessenen Stellenwert bekommen und die Heterogenität der Studierenden als Chance begriffen werden.

Die Tagung "Hochschulbildung wird zum Normalfall - Handlungsoptionen für Hochschulen und Politik" mit über 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Hochschulen und Wirtschaft fand aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums des CHE am 4./5. Dezember im dbb-Forum in Berlin statt.

Ein Grußwort der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) übermittelte Holger Burckhart, Vizepräsident der HRK. Burckhart forderte dazu auf, in der Gesellschaft einen Konsens herbeizuführen, ob mehr Teilhabe an Bildung gewünscht sei und genügend Mittel dafür bereit stehen sollen. Einen Rückblick auf die Anfangszeit des CHE gab Detlef Müller-Böling, ehemaliger Leiter des CHE. "Schon damals war es unser Ziel, die Vielfalt der Studierendenschaft zu vergrößern. Entscheidend dafür war, dass die Hochschulen mehr Autonomie erhielten", unterstrich Müller-Böling.

Die Vorträge der Tagung stehen online zur Verfügung.



Weitere Informationen unter:
http://www.che.de/normalfall-studium
- Weitere Informationen und Links zu den Präsentationen

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution409

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
CHE Centrum für Hochschulentwicklung, Britta Hoffmann-Kobert, 11.12.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2014