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HOCHSCHULE/1688: Kleine Fächer schärfen Hochschulprofile durch Vernetzung und Interdisziplinarität (idw)


Hochschulrektorenkonferenz (HRK) - 07.12.2011

Kleine Fächer schärfen Hochschulprofile durch internationale Vernetzung und Interdisziplinarität


Die Kleinen Fächer haben sich im dynamischen Umfeld der Studienreform und der Exzellenzinitiative behauptet und entwickeln kontinuierlich Lösungsmöglichkeiten für anstehende Herausforderungen, zum Beispiel durch Kooperationen in der Lehre. Das war der Tenor einer internationalen Tagung in Berlin, in deren Rahmen am Freitag die Ergebnisse des im Auftrag der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) durchgeführten Projekts "Kartierung der Kleinen Fächer" vorgestellt und von Fachvertreterinnen und Fachvertretern sowie Verantwortlichen der Hochschulpolitik diskutiert worden sind. HRK-Vizepräsident Prof. Klaus Dicke hob in seiner Rede hervor, dass die Kleinen Fächer für die Universitäten von besonderem Wert seien. Auch leisteten sie zu ihrer Internationalisierung einen wichtigen Beitrag. Außerdem seien sie "hoch flexible, hoch qualifizierte, methodenplurale Partner im interdisziplinären Geschäft". Dicke lobte die Leistungen des Projekts und hob hervor, dass nun eine empirische Datenbasis zu den Kleinen Fächern vorliege, auf deren Grundlage sich Fachvertreterinnen und Fachvertreter mit den Dekanaten und Hochschulleitungen im Falle anstehender Entscheidungen verständigen könnten. Jetzt gehe es darum, die strategischen Konsequenzen aus den Projektergebnissen zu ziehen. Die Vermittlung von Good Practice-Beispielen sei ebenso notwendig wie die Einrichtung von Sonderprogrammen für die Kleinen Fächer.

In seiner Keynote Speech bezeichnete Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford University) die Geisteswissenschaften, und insbesondere die Kleinen Fächer, als "Laboratorien riskanten Denkens". Sie seien Inbegriff dessen, was die Universität im Kern ausmache. Die Kleinen Fächer seien besonders dazu geeignet, die eingefahrenen Wege des Denkens in Frage zu stellen und die Komplexität von Fragestellungen zu erhöhen. Nur wenn sie diese Rolle entschlossen wahrnähmen, gebe es für sie eine Zukunft.

Das Projekt "Kartierung der Kleinen Fächer" wurde für eine Laufzeit von drei Jahren (Januar 2009 bis Februar 2012) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert und im Auftrag der HRK von der Arbeitsstelle Kleine Fächer an der Universität Potsdam unter Leitung von Prof. Dr. Norbert Franz durchgeführt.

Hier die wichtigsten empirischen Befunde:

• Der Blick auf die quantitative Entwicklung der Professuren in den Kleinen Fächern zeigt, dass sowohl wissenschaftsimmanente Entwicklungen als auch exogene, gesellschaftliche Faktoren für Veränderungen verantwortlich gemacht werden können. Die Einbußen etwa der Anthropologie (1997: 16,5 Professuren, 2011: 12 Professuren), der Kristallographie (1997: 42, 2011: 23,5) und der Mineralogie (1997: 77,5, 2011: 59) sind durch neue Trends in den Naturwissenschaften (Stichworte "Life Sciences", "Humangenetik") erklärbar. Dagegen wird das Wachstum der Islamwissenschaften (1997: 29, 2011: 33) durch den "11. September" und die daraus resultierenden öffentlichen Diskussionen verständlich. Die in diesem Zusammenhang gewachsene öffentliche Sensibilität für Religionen als gesellschaftliche Faktoren dürfte für den Anstieg der Professuren in der Judaistik (1997: 10, 2011: 15) und der Religionswissenschaft (1997: 20, 2011: 27,5) verantwortlich sein. Umgekehrt hat die Slawistik (1997: 93, 2011: 80) nach dem Ende des "kalten Krieges" starke Verluste hinnehmen müssen. Ein Fach wie Gender Studies (1997: 29,5, 2011: 52,5), das einen wichtigen gesellschaftlichen Trend wissenschaftlich bearbeitet, hat ein großes Wachstum zu verzeichnen, während die nicht primär anwendungsorientierten Altphilologien (1997: 200 Professuren, heute: 158,5 Professuren), deren Existenz sich zum großen Teil auf die Lehrerbildung stützt, größere Einbußen erleiden mussten. Umschichtungen, die sich auf gesellschaftliche Trends zurückführen lassen, verzeichnen etwa auch die Geschichtswissenschaften. Hier sind die Wissenschaftsgeschichte (1997: 28, 2011: 16), die Wirtschafts- und Sozialgeschichte (1997: 45, 2011: 37) und Medizingeschichte (1997: 31, 2011: 25) von starken Verlusten betroffen, während die Außereuropäische Geschichte zu Regionen wie Ost- und Südasien oder Lateinamerika (1997: 23, 2011: 30) gewonnen haben.

• In der Lehre kann, als natürliche Konsequenz der Studienreform, ein Trend zum interdisziplinären Verbund-Studiengang und zu internationalen Kooperationen festgestellt werden. Studiengänge, die früher auf ein Kleines Fach lauteten, werden oft durch regionalwissenschaftliche Lehrformate (Nahoststudien, Südasienkunde) ersetzt.

• Weitgehend ungelöst ist bisher die Ausbildung in seltenen Fremdsprachen auf der Bachelorstufe, wenn diese nur sechs Semester umfasst. Hier zeigen die Ergebnisse der Studie, dass 7- oder 8-semestrige Bachelor-Studiengänge mit integrierten Auslandssemestern besser geeignet sind, die Sprachvermittlung zu leisten und die Wissenschaftlichkeit des Bachelorabschlusses sicher zu stellen.

• Die Kleinen Fächer haben in den letzten zehn Jahren ihre Forschungsprofile signifikant verändert, um sie den neuen Anforderungen flexibel anzupassen. Die Kleinen Fächer kooperieren intensiv in Forschungsverbünden und wirken am Aufbau neuer interdisziplinärer Zentren mit.

Einig waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung, dass die vom Projekt erarbeiteten, wertvollen Befunde und Einsichten aktuell gehalten und die Daten daher weiter gepflegt werden müssen. Nur dann biete die Kartierung auch in Zukunft die nötige verlässliche Informationsbasis für verantwortungsbewusste Entscheidungen und Initiativen in Bezug auf die Kleinen Fächer.

Die Ergebnisse des Projekts sollen in einer Publikation, die im ersten Quartal des kommenden Jahres erscheint, dokumentiert werden.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution313


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Susanne Schilden, 07.12.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2011