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INTERNATIONAL/024: Israel - Politik-Fakultät der Ben-Gurion-Universität soll schließen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Oktober 2012

Israel: Politik-Fakultät soll schließen - Deutsche Gutachter in der Kritik

von Jillian Kestler-D'Amours


Die Ben-Gurion-Universität bangt um ihre akademischen Freiheiten - Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Die Ben-Gurion-Universität bangt um ihre akademischen Freiheiten
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Beer Scheva, Israel, 12. Oktober (IPS) - Die politikwissenschaftliche Fakultät der Ben-Gurion-Universität (BGU) in Israel ist von der Schließung bedroht. Am 23. Oktober soll der israelische Rat für Höhere Bildung über die Empfehlung seines Komitees für Qualität in der Bildung abstimmen.

Die Empfehlung beruht auf einem Gutachten einer internationalen Kommission, der der deutsche Politikwissenschaftler Thomas Risse vorsteht. Risse ist Professor an der Freien Universität Berlin. Der Rat für Höhere Bildung hatte die internationalen Forscher beauftragt, die Qualität von Forschung und Lehre israelischer Universitäten zu untersuchen. Bereits als die Ergebnisse Anfang des Jahres feststanden, gab es heftige Kritik an der Kommission.

"Ich habe das Gefühl, dass die Regierung uns drohen will. Nach dem Motto 'Passt auf, was ihr sagt. Seid vorsichtig mit eurer Forschung und euren politischen Ansichten. Seid nicht zu kritisch'", sagte Tamar Zandberg, der an der politikwissenschaftlichen Fakultät der BGU promoviert, gegenüber IPS. "Seit wann ist es ein Verbrechen, Wissenschaftler zu sein und sich links zu verorten?"

Die Kommission unter Risse hatte mehrere Änderungsvorschläge unterbreitet. Neue Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter sollten eingestellt werden. Doch die Kommission soll auch Bedenken darüber geäußert haben, dass die als links geltende Fakultät politischem Aktivismus einen hohen Stellenwert einräumt.

Daraufhin empfahl das Qualitätskomitee des Rates für Höhere Bildung am 4. September einen Aufnahmestopp für neue Studierende der Fakultät zu Beginn des akademischen Jahres 2013/2014. Dies würde letztlich die Schließung der gesamten Einrichtung bedeuten. Ende Oktober will der Rat über die Empfehlung abstimmen.


'Hexenjagd' gegen liberale Kräfte

"Die politische Stimmung in Israel wird von Engstirnigkeit und Extremismus beherrscht", sagte Zandberg. "Einige Professoren sprechen gar von einer Hexenjagd auf progressive, liberale und linksgerichtete Kräfte in Israel." Tatsächlich haben mehr als 300 israelische Professoren aus dem ganzen Land eine Petition unterzeichnet, in der sie die Schließung der Fakultät ablehnen und die Empfehlungen der internationalen Kommission als Verletzung der akademischen Freiheit anprangern.

Nach Ansicht von Itzhak Galnoor, Vorsitzender der Vereinigung für Politikwissenschaft in Israel, zeigt dies, dass der Angriff auf die BGU eine Bedrohung für die gesamte Forschungslandschaft des Landes darstellt und nicht auf eine Disziplin beschränkt ist. "Ich sehe die Gefahr, dass vor allem Sozialwissenschaftler an ihrer Arbeit gehindert werden. Es reicht ja schon aus, wenn junge Wissenschaftler wegen der Stimmung im Land eine andere Richtung in ihren Forschungen einschlagen oder die Art ihrer Lehre verändern."

Auf eine Anfrage von IPS erklärte Risse, er wolle sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht öffentlich zu dem Thema äußern. Einem kürzlich in der israelischen Tageszeitung Haaretz erschienenen Bericht zufolge hat jedoch die internationale Kommission vor kurzem einen Brief an den Rat für Nationale Bildung geschickt. Die Forscher werfen dem Rat darin vor, Maßnahmen zu ergreifen, die "weit extremer sind als empfohlen". Der Rat setze andere Maßstäbe an die BGU als an andere Universitäten im Land an.


Bildungseinrichtung in Westjordanland will Universitätsstatus

In den vergangenen Monaten gab es auch heftige Debatten über eine weitere akademische Einrichtung: Das Universitätszentrum in Ariel, einer der größten illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland, will den Universitätsstatus erhalten. Eine Vorentscheidung vom Juli liegt nun dem Israelischen Zentralkommando vor, der für das besetzte Westjordanland zuständigen Behörde.

Zustimmen muss außerdem das Verteidigungsministerium. Die israelische Regierung hat allerdings schon ihr Wohlgefallen ausgedrückt, und Unterstützung kam auch von Premierminister Benjamin Netanjahu sowie Bildungsminister Gideon Saar.

Bereits im August haben Vertreter mehrerer Universitäten des Landes, darunter die Hebräische Universität Jerusalem, die Universität Tel Aviv und die Universität Haifa, eine Petition beim Obersten Gerichtshof eingereicht, um die Entscheidung zu verhindern.

Politikwissenschaftler Galnoor betrachtet die beiden Entwicklungen mit Sorge. "Ich fürchte um die Zukunft der höheren Bildung in Israel." (Ende/IPS/jt/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/10/israeli-academics-fight-for-freedom/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2012