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GAZA/082: Waffengang und Widerstand - Geld, Zeit und Narben ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. September 2014

UN: Ehrgeiziger Wiederaufbauplan für den Gazastreifen

von Mel Frykberg


Bild: © Shareef Sarhan/UNRWA-Archiv

Palästinenserfamilien auf dem Weg in eine UNRWA-Unterkunft in Gaza-Stadt im Juli 2014
Bild: © Shareef Sarhan/UNRWA-Archiv

Ramallah, Westjordanland, 18. September (IPS) - Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) hat einen ehrgeizigen Wiederaufbauplan für den Gazastreifen entworfen, der in einem 50-tägigen Krieg zwischen Hamas und Israel dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Allerdings hängt der Erfolg des Unternehmens von drei Faktoren ab: der Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Mittel, der Nachhaltigkeit der Feuerpause und der Aufhebung der israelisch-ägyptischen Blockade dieses Küstengebiets.

"Wir arbeiten an einem 24-Monate-Plan, der sich an 70 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens richtet, die Flüchtlinge sind. Doch umsetzen lässt er sich nur, wenn die Blockade aufgehoben wird, damit Baumaterialien und andere Güter in den Gazastreifen gelangen", sagt der UNRWA-Sprecher Chris Gunness im IPS-Gespräch.

"Die internationalen Steuerzahler sind erneut dazu aufgerufen, den Wiederaufbau des Gazastreifens zu finanzieren", so Gunness. "Zum derzeitigen Zeitpunkt gibt es allerdings keine Sicherheitsgarantien. Deshalb ist ein ständiger Waffenstillstand erforderlich, wenn wir nicht in den ewigen Kreislauf von Zerstörung und Wiederaufbau zurückkehren wollen."


Zerstörungen wie nach einem Erdbeben

Die Bombardierung des Gazastreifens mit dem euphemistischen Codenamen 'Operation Schutzlinie' ist der bisher schlimmste Militäreinsatz gegen den Gazastreifen seit der israelischen Besetzung der Palästinensergebiete 1967. Die diesmal verursachte Zerstörung sei ungeheuerlich, meint der UNRWA-Sprecher. Teile des Gazastreifens wiesen Ähnlichkeiten mit einem Erdbebengebiet auf: Die Infrastruktur sei über eine Länge von 29 Kilometern zerstört. Nach bisherigen Erkenntnissen starben rund 2.130 Menschen, mehr als 11.000 wurden verletzt.

Mindestens 18.000 Wohneinheiten liegen in Schutt und Asche. Vier Krankenhäuser und fünf Kliniken zur Erstversorgung mussten geschlossen werden. 17 der 32 Hospitäler im Gazastreifen und 45 der 97 Kliniken zur Erstversorgung sind stark beschädigt. Der Wiederaufbau wird auf mehr als sieben Milliarden US-Dollar geschätzt. UNRWA zufolge sind 22 Schulen vollständig dem Erdboden gleichgemacht und 118 beschädigt worden.

Rund 110.000 Palästinenser harren in UN-Nothilfelagern aus oder sind bei Gastfamilien untergekommen. Allein die Bereitstellung von Unterkünften wird mit mehr als 380 Millionen Dollar zu Buche schlagen - 270 Millionen Dollar davon allein für die Unterbringung der vielen palästinensischen Flüchtlinge.

Der Palästinensische Industrieverband gab indes bekannt, dass 419 Unternehmen und Werkstätten beschädigt wurden, in 129 Fällen sei nichts mehr von der Substanz zu retten.

"Wir haben einen Zwei-Jahres-Plan aufgestellt, der das gesamte Spektrum der Bedürfnisse der Palästinenser berücksichtigt", berichtet Gunness. "Derzeit sind 300 Ingenieure vor Ort, die den Umfang der Wiederaufbaumaßnahmen abschätzen werden."

Der UNRWA-Vorstoß verfolgt einen Drei-Phasen-Ansatz. Phase eins sieht die Bereitstellung dringend erforderlicher humanitärer Hilfsgüter wie Zelte, Nahrungsmittel und medizinische Versorgung für die vertriebenen Bewohner des Gazastreifens im Verlauf der nächsten vier Monate vor. Nach einer sich anschließenden 'frühen Wiederherstellungsperiode', in der die Schäden an der notwendigsten Infrastruktur repariert, die UNRWA-Fazilitäten erneuert und Hilfen für den Lebensunterhalt der notleidenden Menschen bereitgestellt werden sollen, folgt die Hauptprojektphase mit ihren Wiederherstellungsmaßnahmen.

Binnen zwei Jahren soll ein Programm für einen nachhaltigen Lebensunterhalt umgesetzt werden, das der Bevölkerung im Gazastreifen dazu verhelfen soll, sich wieder selbst zu versorgen. In dieser dritten Phase ist ferner vorgesehen, dass UNRWA vor Ort wieder soweit einsatzfähig ist, dass es den Palästinensern im Gazastreifen den vollen Umfang an Nothilfe und Schutz leisten und Maßnahmen zur menschlichen Entwicklung voranbringen kann.

Das UNRWA-Programm wird sich auch den Bereichen Schutz, Frauen und Behinderungen widmen. Die zunehmende Zahl frauengeführter Haushalte und von Familien mit kriegsversehrten Männern trägt zum Problem der Arbeitslosigkeit bei. "Den Frauen kommt in den Familien meist die Rolle der Betreuerin zu, die ans Haus gebunden ist und sich mit den psychologischen Traumata konfrontiert sieht, die sich an den Kindern zeigen", erläutert Gunness.


Innerfamiliäre Gewalt nimmt zu

Dem HRWA-Sprecher zufolge gibt es zudem Anzeichen für eine Zunahme geschlechtsspezifischer Gewalt. "Wir wollen ein Bewusstsein für das Problem der innerfamiliären Gewalt schaffen und mit unserem Programm zur Stärkung der Rolle der Frau im Sinne gesunder und gleichberechtigter Beziehungen beitragen."

Ebenso will das UN-Hilfswerk dafür sorgen, dass die Menschen die Nahrungsmittel erhalten, die sie brauchen, um ihren Kalorien-, Mineralien- und Vitaminbedarf zu decken. Außerdem sollen 42.000 Familien mit Hygieneartikeln, Wasserkanistern und anderen Bedarfsartikeln ausgestattet werden.

Darüber hinaus ist vorgesehen, die sanierbaren Unterkünfte wieder in Stand zu setzen. Bei dem jüngsten Konflikt wurden 70 Prozent mehr Wohneinheiten zerstört und beschädigt als bei den bewaffneten Auseinandersetzungen Ende 2008 / Anfang 2009. Auch sollen die Flüchtlingsfamilien ein kleines Taschengeld erhalten.

Bild: © Shareef Sarhan/UNRWA-Archiv

Palästinenserjunge in der Ruine eines Hauses nach einem Luftangriff auf das Zentrale Bureij-Flüchtingslager im Gazastreifen im Juli 2014
Bild: © Shareef Sarhan/UNRWA-Archiv

"Angesichts der enormen Schäden an den Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen hat UNRWA bisher 22 medizinische Anlaufstellen eingerichtet, die den Kranken und Verletzten grundlegende medizinische Leistungen anbieten", so Gunness.

Die psychologischen Folgen des Krieges sind ein weiterer Bereich, der UNRWA Sorge bereitet. "Es gibt in ganz Gaza nicht eine einzige Person, die nicht vom Krieg betroffen war. Nach Rücksprache mit dem Gemeinde-Gesundheitsprogramm von UNRWA haben wir zusätzliche Berater und Jugendkoordinatoren angeheuert, die Einzelpersonen und Personengruppen eine Bandbreite von Dienstleistungen bereitstellen können", sagt Gunness.

"Wenn sich der Gazastreifen aus den Trümmern erheben und die Bevölkerung Grund zu Hoffnung haben soll", ist es nach Ansicht von Gunness wichtig, "dass die internationale Gemeinschaft den Zivilisten im Gazastreifen, die den höchsten Preis zahlen mussten und werden, hilft". (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/09/un-launches-ambitious-humanitarian-plan-for-gaza/

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IPS-Tagesdienst vom 18. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2014