Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → BRENNPUNKT

LIBYEN/010: Libyen-Kontaktgruppe der NATO setzt weiter auf Krieg (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 29 vom 22. Juli 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

NATO-Kontaktgruppe setzt weiter auf Krieg
Gaddafis Abgesandte boten "Verhandlungen ohne Bedingungen"

Von Georg Polikeit


Die Ergebnisse der Zusammenkunft der sogenannten Libyen-Kontaktgruppe am letzten Wochenende in Istanbul lassen erkennen, dass sich bei den NATO-Führungsmächten erneut jene Kreise durchgesetzt haben, die den Krieg bis zum "Endsieg" fortsetzen wollen - ungeachtet der menschlichen Opfer, materiellen Schäden und enormen Kosten.

Dabei schien Anfang letzter Woche eine "politische Regelung" schon fast zum Greifen nah. Am 12. Juli erklärte Gaddafis Premierminister Al-Mahmoudi in einem Interview in der Sarkozy-freundlichen französischen Tageszeitung "Le Figaro", dass die Machthaber in Tripolis zu "Verhandlungen ohne Bedingungen" mit der Gegenseite bereit seien. Einzige Voraussetzung: die Einstellung der NATO-Luftangriffe. "Wir haben keine Schwierigkeiten, mit den Leuten vom Nationalen Übergangsrat zu sprechen. Wir kennen uns gut, manche waren sogar in der Regierung", sagte er. Zusätzlich betonte er, dass "Revolutionsführer" Gaddafi nicht darauf bestehe, selbst an solchen Verhandlungen beteiligt zu sein. Der "Guide" werde "nicht in diese Diskussionen eingreifen" und sei "bereit, die Entscheidung des libyschen Volkes zu respektieren". Al-Mahmoudi erklärte, es gehe um einen "Dialog zwischen allen Parteien", die "unter dem Schirm der UNO und der Afrikanischen Union geführt werden können" und dessen Ziel die Einführung eines neuen politischen Systems in Libyen sein könne: "Alles ist vorstellbar, die Abfassung einer provisorischen Verfassung, Meinungsfreiheit, die Bildung politischer Parteien, Demokratie."

Der Chef der Gaddafi-Regierung knüpfte damit an frühere Erklärungen gegenüber der Afrikanischen Union (AU) an, in denen bereits betont worden war, dass nach einem vereinbarten Waffenstillstand, der von der AU, der UNO, der EU oder sogar der NATO überwacht werden könne, Gespräche zwischen allen beteiligten Parteien über einen "demokratischen Reformprozess" beginnen sollen, der in freie Wahlen einmünden soll. Damit könne das libysche Volk selbst über sein künftiges politisches System und seine künftige Regierung entscheiden.

Am gleichen Tag. (12.7.) hatte Frankreichs Außenminister Juppé in einem Interview mit dem französischen Nachrichtensender "France Info" nach anfänglichen Dementis bestätigt, dass es Kontakte zwischen Gaddafi-Abgesandten und der französischen Regierung gegeben habe. Diese seien aber "noch nicht als echte Verhandlungen" zu bezeichnen. Er bestätigte damit eine Äußerung von Gaddafis Sohn Seif Al Islam in einer algerischen Zeitung, dass Emissäre des Gaddafi-Regimes in Paris empfangen worden seien. Einer von ihnen habe sogar mit Sarkozy persönlich gesprochen.

Schon zwei Tage vorher hatte der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet in einem Fernsehinterview den Eindruck erweckt, dass die französische Regierung nunmehr auf eine Regelung des Konflikts durch Verhandlungen setzt. Man müsse sich "nun um einen Tisch setzen", hatte er erklärt. Und weiter sagte er: "Die Bombardements werden eingestellt, sobald die Libyer miteinander reden und die Soldaten aller Seiten in ihre Kasernen zurückkehren". Denn es liege nun der Beweis vor, "dass es keine Lösung per Gewalt gibt".

In afrikanischen Medien wurden die neuen Töne aus Paris auch mit den hohen Kosten in Zusammenhang gebracht, die der Libyen-Einsatz für Frankreich mittlerweile verursacht hat. In dem Nachrichtenportal AllAfrica.com hieß es beispielsweise, dass fraglich sei, "wie lange die Franzosen noch mit diesem militärisch abenteuerlichen und ökonomisch ebenso kostspieligen Unternehmen einverstanden sein werden". Schließlich habe die französische Finanzministerin Pecresse erst unlängst bekannt gegeben, dass sich die Kosten der Intervention in Libyen für Frankreich bis dato auf 160 Millionen Euro belaufen.

Dessen ungeachtet hat sich auf der Tagung der Libyen-Kontaktgruppe in Istanbul offenbar wieder die "harte Linie" durchgesetzt. Eine Feuereinstellung komme für die NATO auch während des kommenden Fastenmonats Ramadan nicht in Frage, wurde verkündet. Und eine "politische Lösung mit Gaddafi" sei nicht möglich. Jede Diskussion über eine Lösung der Krise könne nur "auf eine Zukunft ohne Gaddafi und seine Familie" abzielen. Deshalb sollen "innovative Wege" gefunden werden, um die "Rebellen" noch mehr zu unterstützen, ließ der türkische Außenminister Davutoglu verlauten. Die nach Istanbul eingeflogene US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton sprach davon, dass die in den USA eingefrorenen libyschen Staatskonten dem "Übergangsrat" als "Sicherheit" für Kredite zur Verfügung gestellt werden könnten. Vertreter Russlands und Chinas hatten an der Tagung in Istanbul demonstrativ nicht teilgenommen.

Es liegt längst auf der Hand, dass der Fortsetzung des NATO-Krieges in Libyen jede völkerrechtliche Legitimation fehlt. Mit der Einführung einer "Flugverbotszone", um damit die Zivilbevölkerung vor Gaddafis Luftwaffe zu schützen, wie seinerzeit von der UNO-Resolution genehmigt, haben die NATO-Bombenangriffe schon seit Wochen nichts mehr zu tun. Offenkundig wollen die "Rebellen", deren großangekündigte "militärische Offensive gegen Tripolis" auch in den letzten Tagen nicht so richtig vorankam, sich nicht auf Verhandlungen über eine Feuereinstellung einlassen, ohne sicher zu sein, dass sie am Ende definitiv die Macht in die Hand bekommen. Das ist auch das Interesse ihrer internationalen Beschützer. Ihr "Vertrauen in die Demokratie" reicht wohl nicht so weit, dass sie sich einem demokratischen Wahlprozess aussetzen würden, ohne vorher schon die Sicherheit zu haben, dass sie die Sieger sein werden.


Die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch (HRW) hat schwere Vorwürfe gegen libysche "Rebellen" erhoben: Aufständische sollen in einigen der von ihnen eingenommen Ortschaften im Westen des Landes Häuser von mutmaßlichen Anhängern des libyschen Staatschefs Gaddafi in Brand gesteckt haben. Zudem wurde von Plünderungen von Geschäften und medizinischen Einrichtungen berichtet.

Die Organisation forderte die Kommandeure der Rebellen auf, ihre Truppen für die Zerstörung privaten Eigentums zur Rechenschaft zu ziehen. Rebellenkommandeure äußerten sich zunächst nicht zu den Vorwürfen - Laut Human Rights Watch sollen sie zwar einige Verstöße eingeräumt, aber darauf hingewiesen haben, dass die Betroffenen in Eigenregie und nicht etwa nach Direktive von oben gehandelt hätten.


*


Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, Nr. 29 vom 22. Juli 2011, Seite 10
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de

Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 126,- Euro, Ausland: 130,-
Ermäßigtes Abo: 72,- Euro
Förder-Abonnement: ab 150 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2011