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NATO-GEGENGIPFEL/005: Stützpunktinfrastruktur der NATO im Visier (SB)


Kriegsgegner thematisieren das Basenimperium der NATO

Workshop - NATO-Gegengipfel - Lissabon, Portugal - 19. November 2010


Eröffnet wurde der Workshop "NATO and Bases" von der deutsch-amerikanischen Friedensaktivistin und Filmemacherin Elsa Rassbach, die einen ausführlichen Einblick in das gigantische Basenimperium der nordatlantischen Militärallianz gewährte. Die meisten NATO-Basen seien doppelt besetzt - und zwar von den Streitkräften der USA und denen des NATO-Bündnispartners, auf dessen Territorium der jeweilige Stützpunkt steht. Das Pentagon habe die Welt in mehreren Regionalkommandos aufgeteilt. [1] Die meisten Kommandozentralen befänden sich in den USA. Das Hauptquartier von dem für den die Kriege im Irak und in Afghanistan zuständigen CENTCOM zum Beispiel befinde sich in Tampa, Florida. Afrika fiele früher unter den Zuständigkeitsbereich von EUCOM. Das 2007 geschaffene AFRICOM teile bis heute sein Hauptquartier mit EUCOM in Stuttgart, weil sich bisher kein afrikanisches Land fand, das die Einrichtung in seinem Hoheitsgebiet haben wollte.

Mittels einer Reihe von Leinwandprojektionen veranschaulichte Rassbach die ungeheure Ausbreitung der NATO nach der Auflösung des Warschauer Paktes und der Sowjetunion. Inzwischen reichten die NATO-Basen von der Atlantikküste Spaniens, Portugals, Frankreichs, Großbritanniens und Norwegens über Osteuropa nach Zentralasien. In Afghanistan bauten die USA mehrere riesige Stützpunkte, obwohl laut Umfragen die Bevölkerung dort die westliche Militärpräsenz ablehne. Solche Ablehnung habe die USA jedoch niemals ernsthaft interessiert. Rassbach wies auf die hohe Prozentzahl der Menschen in allen NATO-Staaten hin, die seit langem einen Abzug der Truppen aus Afghanistan befürworteten. Auch in Bezug auf amerikanische Militärbasen sei die Ablehnung der Bevölkerung der jeweiligen Nationalstaaten groß. Zwar wollten zum Beispiel die meisten Deutschen, daß ihr Land in der NATO bleibe, sähen es aber gern, wenn die USA ihre Stützpunkten schlößen und ihre Soldaten nach Hause holten.

Rassbach meinte, die NATO-Basenstruktur trage die koloniale Handschrift der USA. Sie erläuterte, wie wichtig die US-Basen in Deutschland für die Fähigkeit Washingtons sind, gegenüber Rußland, im Nahen Osten und in Zentralasien "Power Projection" zu betreiben. Ungeachtet der Tatsache, daß im Grundgesetz stehe, daß von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgehen soll, werde die öffentliche Forderung Berlins nach dem Abzug taktischer US-Atomwaffen aus Deutschland von Washington schlichtweg ignoriert.

Die Proteste gegen die geplante Errichtung des Bombodroms der Bundeswehr im brandenburgischen Wittstock hätten gezeigt, daß sich Hartnäckigkeit für die Friedensbewegung lohnt. Der internationale Flughafen in Leipzig habe sich zum Beispiel zu einem wichtigen logistischen Drehkreuz für das US-Militär entwickelt. Dagegen müsse man vorgehen und die Tatsache bekannt machen, daß von dort drei Flüge am Tag mit Soldaten und Rüstungsmaterial in den Irak und nach Afghanistan gingen. Auch die Bundeswehr benutze den Flughafen in Leipzig für Transportflüge. Hinzu kämen Logistikflüge des Post-Tochterunterhmens DHL, das mit dem Pentagon einen Exklusivvertrag für den Zuständigkeitsbereich von CENTCOM bekommen habe.

Zum Schluß erinnerte Rassbach daran, daß es auch in den USA eine lange Tradition des Antimilitarismus gibt - siehe die Kampagne des Eugene V. Debs gegen den Eintritt Amerikas in den Ersten Weltkrieg, was dem sozialistischen Präsidentschaftskandidaten mehrere Jahre Gefängnis einbrachte. Derzeit weigerten sich nicht wenige US-Soldaten, dem Entsendungsbefehl in den Irak oder nach Afghanistan zu gehorchen. Häufig seien es Veteranen, die bereits in einem der beiden Länder Dienst an der Waffe geleistet haben. Es gebe mehrere Fälle von US-Soldaten, die deshalb Asyl in Deutschland oder Kanada beantragt haben. Solche GIs bräuchten Unterstützung. Ihre Berichte über die Verhältnisse im Zweistromland und am Hindukusch müßten verbreitet werden, so Rassbach, die in diesem Zusammenhang auf die Website www.gi-rights.eu verwies.

Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen machte auf die Bedeutung sogenannter State Of Forces Agreements (SOFA) aufmerksam, welche die USA mit den Ländern abschlößen, die ihnen die Stationierung von Soldaten und Kriegsgerät gestatteten. Klassische Beispiele hierfür seien die Abkommen Washingtons mit den besiegten Gegnern des Zweiten Weltkrieges, wobei es auch hier Unterschiede gebe. Tokio trage immer noch fast komplett die Unterhaltskosten der US-Basen in Japan, während der entsprechende Prozentsatz seitens der Deutschen und Italiener erheblich geringer ausfalle. Während seiner Zeit als EU-Parlamentarier habe Pflüger mitbekommen, wie sehr sich in den letzten Jahren bei der NATO der ganze Bereich Militärbasen im Fluß befinde. Viele US-Stützpunkte in Westeuropa seien entweder geschlossen, gen Osten wie zum Beispiel nach Usbekistan verlegt oder in NATO-Basen umdeklariert worden. Die britischen Basen auf Zypern würden von den EU-Partnern nicht genutzt. Dagegen führten die Mitglieder des deutschen Kommando-Spezialkräfte (KSK) Dschungel-Training auf Basen in Französisch-Guyana durch. Das Ausmaß, in dem NATO und EU militärisch zusammenwüchsen, werde von der Öffentlichkeit nicht angemessen wahrgenommen und müßte von der Friedensbewegung mehr thematisiert werden. Das zuvor erwähnte Bombodrom der Bundeswehr wäre auch von den Luftwaffen der EU- und NATO-Partnern benutzt worden.

Vor diesem Hintergrund hob Pflüger auf die Bedeutung des geplanten NATO-Raketenabwehrsystems hervor, das die Errichtung neuer Stützpunkte und die Stationierung Tausender Soldaten am Schwarzen Meer und dessen Umgebung ermöglicht bzw. erforderlich mache. Auch die Kriege im Kosovo 1999, in Afghanistan 2001 bis heute und im Irak 2003 bis heute seien mit einem drastischen Anstieg von US-NATO-Basen am Persischen Golf und in Zentralasien einhergegangen. Offiziell werde die Errichtung des Raketenabwehrsystems mit der angeblichen Bedrohung durch den Iran und Nordkorea begründet. In Wirklichkeit diene es der eventuellen Zerstörung der Zweitschlagskapazität Rußlands, des für die USA einzigen ernsthaften strategischen Konkurrenten, und träge daher zur internationalen Instabilität bei. Eine Angriffsfläche für die Antikriegsbewegung bei der Raketenabwehr seien die enormen Kosten des Systems, die durch Kürzungen an anderer Stelle, zum Beispiel im Sozialbereich, bestritten werden. In diesem Zusammenhang begrüßte Pflüger den Generalstreik, den Gewerkschaftler und linke Aktivisten für die kommenden Tage in Portugal geplant hätten, um gegen den von der Regierung geplanten sozialen Kahlschlag zu protestieren.

Nach Angaben von Jan Majicek vom tschechischen No-Bases-Network waren seine Landsleute von den Plänen George W. Bushs, im Rahmen des Raketenabwehrsystems eine gigantische Radaranlage in ihrem Land zu bauen, nicht sonderlich begeistert. Aus fünf Personen und einer kleinen Internetkampagne sei eine große Massenbewegung geworden, die mit ihrem Widerstand Washington zum Verzicht auf den geplanten Bau der Anlage gebracht habe. In Polen, wo die Abfangraketen samt Silos hätten stationiert werden sollen, wäre die Sache komplizierter gewesen wegen der Angst der Menschen dort vor Rußland. Viel mehr Polen als Tschechen sähen im Raketenschirm einen Schutz vor Moskau. Deswegen hätten konservative polnische Politiker die Gegner des US-Raketenabwehrsystems als fünfte Kolonne Rußlands diffamiert - ohne Erfolg. Dafür richteten die USA die entsprechenden Stützpunkte weiter östlich ein - in Bulgarien, Rumänien usw. -, während die Friedensbewegung in Polen und Tschechien angesichts der umfangreichen Kürzungen im Sozialbereich infolge der internationalen Finanzkrise immer häufiger die Militärausgaben thematisiere.

Im Anschluß an die Ausführungen Rassbachs, Pflügers und Majiceks entsponn sich eine lebhafte Diskussion zwischen Publikum und Podiumsteilnehmern (die hier nur verkürzt wiedergegeben wird). Ein Mitglied der portugiesischen Friedensgruppe PAGAN meinte, die Gefahr eines Atomkrieges werde überbewertet, während man den Krieg der NATO gegen andere Kulturen in den sogenannten Entwicklungsländern einschließlich der Aufstandsbekämpfungsdoktrin, die auch innerhalb der NATO-Staaten stets an Bedeutung gewinne - Stichwort Terrorabwehr, Befriedung sozialer Konflikte - , außer Acht lasse. Die Kriege im Irak und in Afghanistan seien nicht zuletzt Übungsfelder zum Beispiel für die sogenannte Interoperabilität der verschiedenen NATO-Streitkräfte.

Ein Vertreter der irischen Friedensbewegung berichtete von der Kampagne gegen die Verwendung des zivilen Flughafens Shannon an der Atlantikküste für Transportflüge des US-Militärs. Die Flüge würden von Washington benutzt werden, um die Unabhängigkeit Irlands zu unterminieren und das Land in Richtung NATO-Mitgliedschaft zu drängen. Obwohl die Flüge nach irischem Gesetz illegal seien, landeten in den letzten Jahren mehr als drei Millionen vollbewaffnete US-Soldaten beim Flug von oder nach dem Nahen Osten in Shannon zwischen. Darunter sollen auch CIA-Folterflüge gewesen sein. Trotz der Hinweise seitens der Friedensaktivisten hätte sich die irische Polizei geweigert, ihrer Pflicht nachzukommen und die mutmaßlichen Charterflugzeuge der CIA nach verschleppten Personen zu durchsuchen. Man wisse auch nicht, ob nicht einige der Transportflugzeuge biologische oder chemische Kampfstoffe an Bord haben. Bei einem Unglück wären die 70.000 Menschen, die in der Nähe des Flughafens leben, gefährdet - zumal man keinerlei Schutzmaßnahmen vor eventuellen Unglücken ergriffen habe. Insgesamt habe die Mitgliedschaft der EU die Neutralität Irlands stark beeinträchtigt. Irische Soldaten hätten an der EU-Operation in Kosovo teilgenommen und bis vor kurzem die Franzosen in Tschad unterstützt. Es seien sogar mehrere Verbindungsoffiziere der irischen Streitkräfte in Kabul stationiert.

Auf diese Stellungnahmen aus dem Publikum ging Tobias Pflüger ausführlicher ein. Er verwies auf verschiedene Abkommen, wonach die EU und die NATO in bestimmten Situationen gegenseitig auf die Ressourcen der anderen zurückgreifen können bzw. beide Organisationen auch eine gewisse Arbeitsteilung vornehmen würden. Als Beispiel für letzteres Phänomen führte er die Zusammenarbeit zwischen KFOR und der EULEX-Mission in Kosovo an. Pflüger bezeichnete Kosovo als erste Kolonie der Europäischen Union. Als Beleg machte er die Tatsache geltend, daß die Außen- und Wirtschaftsbeziehungen der ehemaligen Südprovinz Serbiens von der EU geregelt werden. Laut Pflüger steht die zivil-militärische Zusammenarbeit bei der NATO groß im Kurs, weil sich dadurch Interventionen im Ausland als humanitäre Mission verkaufen lassen. In Afghanistan führe die NATO gegen Taliban und andere Aufständische Krieg, versuche gleichzeitig der Öffentlichkeit weiszumachen, man sei dorthin gegangen, um Demokratie zu verbreiten, Frauenrechte durchzusetzen und Armut zu bekämpfen - was nicht der Fall sei. Von daher sieht Pflüger in der engeren Zusammenarbeit zwischen EU und NATO eine gefährliche Entwicklung. Ein Mann aus dem Publikum korrigierte Pflüger mit der Behauptung, daß eigentlich Bosnien-Herzegowina die erste Kolonie der EU ist.

Auf die Frage von Rassbach, ob es inzwischen EU-Militäroperationen ohne Beteiligung der NATO gibt, nannte Pflüger die laufende Intervention der Franzosen in Tschad und die deutsch-französische Mission vor einigen Jahren im Kongo. In beiden Fällen wäre es um die postkolonialistische Ressourcensicherung gegangen, weshalb Paris und Berlin die Amerikaner nicht hätten dabei haben wollen. Auf die Frage eines Diskussionsteilnehmers hinsichtlich der jüngsten Proteste gegen den Atomtransport nach Gorleben meinte Pflüger, diese seien sehr erfolgreich verlaufen, wiewohl das gigantische Ausmaß der polizeilichen Begleitoperation einschließlich des erstmaligen Einsatzes französischer Polizisten auf deutschem Boden sowie der Amtshilfe der Bundeswehr, die Fahrzeuge und Stützpunkte zur Verfügung stellte, höchst beunruhigend sei.

Fußnote:

1. NORTHCOM (Nordamerika), SOUTHCOM (Südamerika und die Karibik), PACCOM (Pazifischer Raum und Ostasien), CENTCOM (Naher Osten, Teile Süd- und Zentralasiens, Horn von Afrika) AFRICOM (restliches Afrika) und EUCOM (West-, Mittel-, und Teile Osteuropas)

21. November 2010