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NAHOST/018: Bagdad letzter Stein - Auslaufmodell Bündnis ... (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 17. Oktober 2017
german-foreign-policy.com

Mit deutschen Waffen (II)


BERLIN/ERBIL/BAGDAD - Die Bundeswehr setzt die Ausbildung irakisch-kurdischer Peschmerga vorläufig aus. Dies hat Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker am Freitag mit Blick auf die eskalierenden militärischen Spannungen im Nordirak entschieden, die gestern zu den ersten bewaffneten Kämpfen zwischen den Peschmerga und Truppen der irakischen Regierung führten. Damit entgehen die deutschen Soldaten in Erbil knapp der peinlichen Lage, vor Ort ohne Mandat in einen mittelöstlichen Bürgerkrieg involviert zu sein. Berlin hatte Erbil, das mit seinen Sezessionsplänen in Bagdad auf Widerstand stößt, bis zuletzt unterstützt. Die bislang letzte deutsche Lieferung militärischer Güter traf im irakisch-kurdischen Sezessionsgebiet wenige Tage vor dem Abspaltungsreferendum am 25. September ein. Noch vor einer Woche hat die Bundeswehr erklärt, die "Ausbildungsunterstützung Nordirak" könne auch weiterhin "ohne Einschränkungen durchgeführt werden". Politiker in Erbil erklären, man setze seine Hoffnung auf Berlin. Gestern ist zudem ein deutscher Polizist zum Leiter der jüngsten EU-Mission zum Umbau der irakischen Repressionsbehörden ernannt worden.

Die ersten Scharmützel

Am Sonntag Abend und am gestrigen Montag ist es in und um Kirkuk zu den ersten bewaffneten Kämpfen zwischen den Streitkräften des Irak und den irakisch-kurdischen Peschmerga gekommen. Anlass war das Sezessionsreferendum, das die Regierung der kurdischen Autonomieregion am 25. September abgehalten hat. Gestern gelang es der Armee, bei Kirkuk unter anderem eine wichtige Militärbasis, einen Militärflughafen sowie Ölfelder einzunehmen, die Erbil vom Irak abspalten wollte. Die Peschmerga mussten sich unter Verlusten zurückziehen; mehrere Milizionäre kamen ums Leben. Zahlreiche Einwohner von Kirkuk befinden sich mittlerweile auf der Flucht. Erbil hält trotz allem an seinen Sezessionsplänen fest.

Eigenständige Streitkräfte

Soldaten der Bundeswehr halten sich nach wie vor in Erbil auf. Sie hatten seit Mitte 2014 die Peschmerga unterstützt - für den Krieg gegen den IS. Bereits im Mai hieß es, man habe inzwischen "mehr als 14.000" bewaffnete Kämpfer ausbilden können, darunter eine kleine Zahl an Jeziden, überwiegend jedoch kurdische Peschmerga. Zu Trainingszwecken hat die Bundeswehr im vergangenen Jahr ein "Übungsgelände" errichtet, das "German Village" getauft wurde und unter anderem ein "Ghost House" enthält, in dem der "Kampf von Raum zu Raum" geprobt wird; auf das Erlernte könnten die Peschmerga nun in einem etwaigen Bürgerkrieg gegen Bagdad zurückgreifen.[1] Neben einfachen Truppen bildet die Bundeswehr seit einer Weile auch irakisch-kurdische Offiziere aus, um die Führungsstrukturen der Peschmerga zu professionalisieren. Ergänzend hat das Bundesverteidigungsministerium eine Militärberatergruppe im Peschmergaministerium installiert. Deren Aufgabe besteht nicht zuletzt darin, "den Peschmerga dabei zu helfen, zukunftsfähige Streitkräftestrukturen zu schaffen".[2] All dies geschieht völlig unabhängig vom eigentlich zuständigen gesamtirakischen Militär.

Ohne Einschränkungen

Dabei hat Berlin auch nach dem irakisch-kurdischen Sezessionsreferendum vom 25. September zunächst keinen Anlass gesehen, die Bundeswehr abzuziehen oder ihre Tätigkeit wegen der eskalierenden Bürgerkriegsgefahr zumindest einzuschränken. Bereits vor dem Referendum hatten sich die Spannungen in der Region rapide verschärft. So hatte nicht nur Bagdad angekündigt, das Referendum nicht anzuerkennen und geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen. Die Türkei und Iran hatten ebenfalls ihr Einschreiten in Aussicht gestellt und Militärmanöver unweit der Grenze zur kurdischen Autonomieregion gestartet. General Qassem Soleimani, der Kommandeur der Quds-Brigaden, die innerhalb der Iranischen Revolutionsgarde für Auslandsoperationen zuständig sind, hatte sich für außerstande erklärt, die schiitischen Al Hashd al Shaabi-Milizen vom Eingreifen abzuhalten. Die Aussicht, Streitkräfte zu trainieren und zu beraten, die im offenen Bürgerkrieg gegen irakische Regierungstruppen stehen, hatte bis Ende vergangener Woche keine Folgen für die knapp 150 deutschen Soldaten in Erbil. Noch am 9. Oktober teilte die Bundeswehr mit: "Der Auftrag der Ausbildungsunterstützung Nordirak kann weiter ohne Einschränkungen durchgeführt werden."[3] Man halte auch am aktuellen Kontingentwechsel fest; dieser verzögere sich "um zehn Tage", könne aber "bis zum 16.10." abgeschlossen werden. Erst am Freitag, als die Eskalation zum offenen Bürgerkrieg unübersehbar wurde, hat Generalinspekteur Volker Wieker die Aktivitäten der deutschen Soldaten in Erbil vorläufig auf Eis gelegt.

"Wenn Frau Merkel hilft..."

Auch die Ausrüstung der Peschmerga hatte Berlin bis zuletzt fortgeführt. Seit 2014 hat die Bundeswehr unter anderem 32.000 Handfeuerwaffen, mehr als 30 Millionen Schuss Munition, mindestens 20.000 Handgranaten, über 400 Panzerfäuste sowie mindestens 1.000 Lenkflugkörper, aber auch sogenannte nichtletale Ausrüstung wie Nachtsicht- und Funkgeräte, Minensonden und gepanzerte Dingo-Transporter nach Erbil geliefert. Noch am 19. September - nur wenige Tage vor dem Referendum - landete eine Antonov AN-124 aus Leipzig/Halle in Erbil, um dort die nächste Ladung militärischer Ausrüstungsgegenstände abzuliefern. Laut Angaben der Bundeswehr handelte es sich diesmal um "Material zur Dekontamination und ABC-Abwehr", um Sanitätsmaterial und um Geräte, die zum Aufspüren und zum Entschärfen von Straßenbomben benötigt werden.[4] In Erbil heißt es nun dankbar, man setze seine Hoffnung im Sezessionskampf auf Deutschland: "Wenn Frau Merkel uns hilft, schaffen wir das", wird ein Politiker der Barzani-Partei KDP mit Bezug auf die geplante Abspaltung der Autonomieregion zitiert.[5]

Konsequenzen

Rascher hatten die Vereinigten Staaten reagiert. Washington hat zwar im Krieg gegen den IS neben den offiziellen irakischen Streitkräften auch die Peschmerga ausgerüstet und trainiert, zog aber früher Konsequenzen aus dem Sezessionsreferendum, das die Spannungen in der Region eskalieren lässt: Das Pentagon hat bereits Anfang Oktober ein Programm eingestellt, aus dessen Mitteln im vergangenen Jahr 36.000 Peschmerga ihren Sold bezogen.[6] Die US-Regierung hat sich entschieden gegen die Abhaltung des Referendums ausgesprochen, wenn auch nicht aus prinzipiellen Gründen: Auch die USA haben das kurdische Autonomiestreben - wie die Bundesrepublik - seit Beginn der 1990er Jahre unterstützt, nicht zuletzt mit der Durchsetzung einer Flugverbotszone über dem Nordirak seit dem Krieg gegen das Land im Jahr 1991. Allerdings gilt eine Abspaltung zum jetzigen Zeitpunkt der US-Administration als allzu riskant - weil ein erneuter Bürgerkrieg dem in Kürze wohl militärisch, nicht aber gesellschaftlich besiegten IS die Chance zum Wiederaufstieg böte.

Unter deutscher Leitung

Unterdessen wird bekannt, dass die neue nichtmilitärische EU-Mission im Irak, die die EU-Außenminister am gestrigen Montag beschlossen haben, unter deutscher Leitung stehen wird. Die EU will noch in diesem Jahr bis zu 35 Personen nach Bagdad entsenden, wo sie die Umsetzung einer irakischen "Sicherheitsstrategie" sowie den Aufbau von Institutionen zur Sicherung von "Frieden und Konfliktvermeidung" begleiten soll. Im ersten Jahr stellt Brüssel für die Mission gut 14 Millionen Euro bereit. Geleitet wird sie von Markus Ritter, einem deutschen Bundespolizisten, der von 2009 bis 2011 ein Polizeiprojektteam in Afghanistan und von 2012 bis 2013 die Planung einer EU-Mission für den Ausbau eines Flughafens im Südsudan angeführt hat.[7]


Mehr zum Thema:
Mit deutschen Waffen
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59679


Anmerkungen:

[1] S. dazu Deutsches Kriegs-Know-how.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59421

[2] Die Bundeswehr im Nordirak: Teil VIII - Die Beratergruppe im Peschmerga-Ministerium.
www.einsatz.bundeswehr.de 02.08.2017.

[3] Aktuelle Lage in den Einsatzgebieten der Bundeswehr.
www.einsatz.bundeswehr.de.

[4] Weitere Materiallieferung in den Irak.
www.einsatz.bundeswehr.de 20.09.2017.

[5] Birgit Svensson: Talabani fehlt als Versöhner.
www.weser-kurier.de 05.10.2017.

[6] Jack Detsch: Pentagon stops paying peshmerga salaries amid Kurdish independence backlash.
www.al-monitor.com 05.10.2017.

[7] EU entsendet erstmals seit 2013 wieder Mission in den Irak.
www.derstandard.de 16.10.2017.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2017

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