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SYRIEN/031: Dominostein Damaskus - des Westens Wahl ... (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 19. Dezember 2013
(german-foreign-policy.com)

Syriens westliche Freunde



BERLIN/WASHINGTON/DAMASKUS - Fast drei Jahre nach dem Beginn der Revolte gegen die Regierung von Bashar al Assad steht die deutsche Syrien-Politik vor dem Scheitern. Assad, den die Bundesregierung um jeden Preis stürzen wollte, ist nach wie vor in Damaskus an der Macht. Zugleich verlieren die von Deutschland und den anderen westlichen Staaten unterstützten "moderaten" Rebellentruppen ("Free Syrian Army", FSA) dramatisch an Einfluss, während salafistische Milizen, die nicht zu einer loyalen Kooperation mit dem Westen bereit sind, sich in einem neuen Bündnis ("Islamische Front") zusammengeschlossen haben und in diversen Rebellengebieten die Oberhand gewinnen. Einige Territorien werden vom "Islamischen Staat im Irak und der Levante" (ISIS) beherrscht, der Al Qaida zugerechnet wird. Er gilt als ein Zufluchtsort für antiwestliche Terroristen. Aus dem US-Establishment sind inzwischen Äußerungen zu hören, es sei besser, wieder mit Assad zu kooperieren, als dem ISIS freien Raum zu lassen. Beobachter urteilen, das Erstarken der salafistischen Milizen sei eine logische Folge der westlichen, auch deutschen Unterstützung für die bewaffneten Aufständischen. Kritiker warnten bereits 2012 vor der jetzt eingetretenen Situation.


Die "Islamische Front"

Die vom Westen unterstützten Rebellenmilizen in Syrien ("Free Syrian Army", FSA) verlieren dramatisch an Einfluss. Nach mehreren früheren Versuchen, die Kräfte der Aufständischen zu bündeln, haben sich im November sieben salafistische Milizen zu einem neuen Bündnis zusammengeschlossen, der "Islamischen Front". Die "Islamische Front" ist nicht mit dem Al Qaida-nahen Spektrum identisch ("Al Nusra-Front", "Islamischer Staat im Irak und der Levante"/ISIS), steht ihm aber ideologisch nahe. Wie Experten konstatieren, hetzt ihr Anführer beispielsweise in gleicher Weise gegen die schiitische und gegen die alawitische Minderheit Syriens; auch strebt er den Aufbau eines islamistischen Staates an.[1] Die "Islamische Front" hat sich von der "Free Syrian Army" losgesagt und deren Anführer inzwischen aus dem Lande gejagt. Sie soll über rund 45.000 Milizionäre verfügen und dürfte damit die stärkste Kraft in den Reihen der Aufständischen sein. Sie ist Berichten zufolge an den zentralen Schauplätzen des Kriegs präsent (Damaskus, Homs, Idlib, Latakia, Aleppo) und hat durchaus noch Wachstumspotenzial.[2] Ihr Anführer Zahran Alloush wird von manchen als mächtigster Aufständischer in Syrien eingestuft.


Der "Islamische Staat"

Die "Islamische Front" steht trotz ideologischer Nähe in unmittelbarer politischer Rivalität besonders zum ISIS. Dieser hat inzwischen begonnen, in einigen Gebieten Ostsyriens und des Irak vor allem entlang des Euphrat einen eigenen Staat aufzubauen, unter anderem in Raqqa, das vor dem Beginn des Krieges rund 250.000 Einwohner hatte, nun aber durch Flüchtlinge faktisch zur Millionenstadt geworden ist. Der ISIS hat Raqqa im Mai unter seine Kontrolle gebracht und dies sofort durch den öffentlichen Mord an drei Alawiten manifestiert. Er hat Bibelverbrennungen organisiert sowie Priester entführt und praktiziert drakonische Repressalien gegen alle, die von salafistischen Idealen abweichen. Die meisten Alawiten und Christen sind Berichten zufolge mittlerweile geflohen. Der ISIS hält bislang rund 1.500 politische Gefangene, die Misshandlung und Folter ausgesetzt sind. Er kooperiert eng mit denjenigen Gebieten im Irak, die er ebenfalls beherrscht. Experten gehen davon aus, dass sein Ziel langfristig darin besteht, nach der Konsolidierung eines "Emirats" zu Angriffen auf den Westen überzugehen.[3]


Der ISIS oder Assad

Mit Blick auf die desolate Situation zieht Washington inzwischen offenbar Kurskorrekturen in Betracht. Zwar schließen US-Regierungskreise eine Zusammenarbeit mit der "Islamischen Front" nicht aus.[4] Nachdem aber vor kurzem deren Milizionäre das Hauptquartier der vom Westen ausgerüsteten "moderaten" FSA-Rebellen eingenommen und dabei auch größere Mengen an Kriegsgerät erbeutet hatten, kündigten die Regierungen der USA und Großbritanniens an, ihre Materiallieferungen an die FSA über die Türkei einzustellen. Über das nördliche Nachbarland Syriens verlaufen die Haupt-Transportrouten für Nachschub an die Milizen. Man werde in Zukunft nur noch die Nachschubwege über Jordanien nutzen, hieß es in Washington.

Mittelost-Experten in der US-Hauptstadt gehen mittlerweile noch weiter. "Viele frühere Aktivisten sagen jetzt zu mir: 'Wenn der ISIS und Assad zur Wahl stehen, dann bin ich für Assad'", wird Randa Slim vom Washingtoner Middle East Institute in einem Bericht des Time-Magazins zitiert.[5] Der Bericht gibt darüber hinaus die Einschätzung eines ehemaligen Rebellen wieder, der sich zunächst dem Aufstand gegen Assad angeschlossen hatte und über Kräfte spottete, die vor einer Bewaffnung der Rebellen warnten und für friedlichen Protest und Gespräche warben. "Es zeigt sich, dass sie Recht hatten", urteilt der Mann heute: "Die Bewaffnung der Revolution brachte letztlich den ISIS nach Syrien."[6]


Deutsche Beihilfe

Das Urteil trifft auch Berlin, das zwar stets beteuert hat, keine Waffen an die Aufständischen zu liefern, das aber komplementär zum Waffennachschub etwa aus den USA andere Gerätschaften zur Verfügung stellte, ohne die Milizen ebenfalls nicht kämpfen können (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Die Schiffe der deutschen Kriegsmarine, die vor der Küste des Libanon im Einsatz sind, haben den Schmuggel von Waffen an die Rebellen über die nordlibanesische Hafenstadt Tripoli nicht verhindert. Spionage-Erkenntnisse über die Entwicklung in Syrien wurden unter anderem durch ein Flottendienstboot der deutschen Marine gesammelt, das immer wieder vor der Küste des Landes kreuzte; auch hörten zumindest zeitweise BND-Mitarbeiter auf dem NATO-Stützpunkt bei Adana (Türkei) Telefon und Funk in Syrien ab. Dass die Spionage-Ergebnisse mit NATO-Verbündeten geteilt wurden, die ihrerseits mit Rebellenmilizen kooperierten, ist nie dementiert worden.[8] Darüber hinaus zielten Aktivitäten der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und verschiedener Hilfsorganisationen darauf ab, von Rebellenmilizen kontrollierte Regionen in Nordsyrien so rasch wie möglich aufzubauen - wie es in Berichten hieß, um das Ansehen der Aufständischen in den Augen der Bevölkerung zu stärken.[9] Hinzu kam umfassende politische Unterstützung für die Rebellenmilizen auf internationaler Ebene.


Das Erstarken der Salafisten

Dabei kann die immer stärkere Dominanz salafistischer Milizen in Syrien eigentlich nicht überraschen. Schon Anfang 2011, als die ersten Proteste gegen das Assad-Regime begannen, war der Aufschwung des Islamismus in dem Land nicht zu übersehen. Seit Beginn der 2000er Jahre habe besonders Saudi-Arabien seine religiöse Propaganda in Syrien verstärkt, berichtet ein schwedischer Mittelost-Experte: "Von den Golfstaaten finanzierte TV-Satellitensender und das Internet wurden die vorrangigen Lieferanten islamistischer Propaganda". Um das Jahr 2010 sei der Islamismus, von salafistischen Strömungen Saudi-Arabiens inspiriert, schon sehr einflussreich gewesen. Syrien habe bereits eine erstarkende salafistische Bewegung verzeichnet, als die Proteste und mit ihnen zugleich die Radikalisierung der Gesellschaft begannen.[10] Nicht nur allgemein musste deshalb befürchtet werden, dass gerade salafistische Milizen auf Dauer an Schlagkraft gewinnen; es gab darüber hinaus auch konkrete Warnungen. So rief im Frühjahr 2012 Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Erinnerung, dass Qatar, als es der NATO im Krieg gegen Libyen zur Seite sprang, ganz "gezielt Salafisten und Islamisten unterstützt" habe; die direkte Folge war ein schnelles Erstarken salafistischer Milizen im Land.[11] Steinberg wies darauf hin, dass Deutschland auch im Falle Syriens überaus eng mit Qatar und Saudi-Arabien kooperierte. Dass dort dieselben Konsequenzen zutage treten würden wie in Libyen, lag auf der Hand.


Vor dem Scheitern

Mit alledem steht die Syrien-Politik des Westens, die auch Berlin massiv mit vorangetrieben hat, vor dem - schon länger absehbaren - Scheitern: Es ist nicht gelungen, den missliebigen Bashar al Assad aus dem Amt zu jagen; weite Teile der Rebellengebiete werden von Milizen kontrolliert, die offen antiwestlich auftreten und teilweise terroristisch operieren. Ein syrischer Exil-Oppositioneller wird jetzt mit der Aussage zitiert: "Unsere westlichen Freunde haben in London klar gemacht, dass man Assad jetzt nicht gehen lassen kann, weil sie glauben, dass Chaos und eine Machtübernahme der Islamisten die Folge wären".[12] Teile der innersyrischen Opposition, etwa das linke Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel, haben diese Position schon immer vertreten, während Kritiker im Westen vor den Folgen der Politik des Regime Change warnten. Von der westlichen Kriegs-PR wurden beide als angebliche Kollaborateure eines Despoten diffamiert.


Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Syrien-Politik finden Sie hier: Schmuggelkontrolleure, The Day After, The Day After (II), Verdeckte Kriegspartei, The Day After (III), The Day After (IV), Im Rebellengebiet, Die Islamisierung der Rebellion, Im Rebellengebiet (II), Im Rebellengebiet (III), Das Ende künstlicher Grenzen, Im Rebellengebiet (IV), Deutsche Kriegsbeihilfe, Religion und Interesse, Demokratischer Interventionismus, Kriegsrat in Nahost, Wie im Irak, Die militärische Lage, Die Allianzen der Rivalen, Die Macht des Stärkeren, Spionage mit Kriegsfolgen, Deutschlands Giftgas-Expertise und Kämpfende Mächte.


Anmerkungen:

[1] Zahran Alloush: His Ideology and Beliefs; www.joshualandis.com 15.12.2013

[2] Valerie Szybala: A Power Move by Syria's Rebel Forces; iswsyria.blogspot.de 23.11.2013

[3] "Al-Qaeda's Governance Strategy in Raqqa,", by Chris Looney; www.joshualandis.com 08.12.2013

[4] U.S. may be open to Islamists joining Syrian rebel coalition; www.washingtonpost.com 13.12.2013

[5], [6] Aryn Baker: To Syria's Revolutionaries, Assad Isn't Looking So Bad After All; world.time.com 09.12.2013

[7] s. dazu Im Rebellengebiet (II); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58551

[8] s. dazu Verdeckte Kriegspartei; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58404 und
Spionageschiff; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58243

[9] s. dazu Im Rebellengebiet (IV); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58605 und
Deutsche Kriegsbeihilfe; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58625

[10] s. dazu Religion und Interesse; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58649

[11] s. dazu Rückschritte für die Demokratie; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58335

[12] Westen glaubt offenbar nicht an Sturz Assads; www.handelsblatt.com 18.12.2013

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2013