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SYRIEN/083: Dominostein Damaskus - den Drachen wecken ... (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 29. Oktober 2014
(german-foreign-policy.com)

Flugverbotszone über Syrien



DAMASKUS/BERLIN/WASHINGTON - Berliner Regierungsberater plädieren für einen umfassenderen Einsatz militärischer Mittel im Syrien-Krieg. Wie es in einem aktuellen Papier aus der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) heißt, müssten die westlichen Staaten "ihre ursprüngliche Strategie" zum Sturz der Assad-Regierung "ernsthaft auf den Prüfstand stellen", weil sie zu stark auf die "Förderung ziviler Strukturen" gesetzt habe. Erforderlich sei unter anderem die Errichtung einer "Flugverbotszone über ganz Syrien". Die Forderung kommt zu einer Zeit, da in den Vereinigten Staaten die Forderung laut wird, im Krieg gegen den IS mit der Regierung Assad wie auch mit Iran zu kooperieren. Man habe sich einst gar "mit Stalin" verbündet, "um Hitler zu bekämpfen", schreibt ein einflussreicher US-Außenpolitik-Experte zur Begründung. Gegen die Forderung erhebt sich Widerstand - nicht nur in den USA, wo ein ehemaliger CIA-Analyst den Aufbau einer umfassenden syrischen Exilarmee in einem Nachbarstaat fordert, die in ein bis zwei Jahren nach Syrien einmarschieren soll, sondern auch in Deutschland.


US-Luftschläge

Hintergrund der Forderung, der Westen müsse in Syrien unter Nutzung militärischer Mittel stärker als bisher intervenieren, sind entsprechende Überlegungen in den USA. Die Vereinigten Staaten haben seit dem 23. September um die 200 Luftschläge gegen Ziele in Syrien durchgeführt, die sich meist gegen den "Islamischen Staat" (IS), aber auch gegen "Jabhat al Nusra" und weitere jihadistische Organisationen gerichtet haben. Dabei sind inzwischen mehr als 550 Menschen ums Leben gekommen, unter ihnen mindestens 32 Zivilisten. Die Luftschläge werden offenkundig mit Zustimmung der Regierung von Bashar al Assad durchgeführt; Beobachter vermerken jedenfalls, dass die syrische Luftabwehr anscheinend abgestellt wird, sobald die US-Luftwaffe angreift. Auch seien bislang die größeren Ölfelder noch nicht beschossen worden - vermutlich auf Bitten der Assad-Regierung, die sie zurückerobern und dann wieder nutzen wolle, heißt es.[1] Da jedoch klar sei, dass man den Krieg allein mit Luftschlägen nicht gewinnen könne, müssten nun Optionen für Bodentruppen entwickelt werden.


Nur gegen den IS

Offiziell bereitet Washington die Ausbildung von Milizionären der "Free Syrian Army" (FSA) vor. Dabei sollen säkulare oder allenfalls gemäßigt islamistische Aufständische trainiert werden, um - faktisch als Bodentruppen der US-Luftwaffe und ihrer Verbündeten - den Krieg gegen den IS zu führen. US-Präsident Barack Obama will dafür bis zu 500 Millionen US-Dollar bereitstellen. Sein Sonderbeauftragter für den Krieg gegen den IS, General John Allen, ist vor wenigen Tagen nach Mittelost aufgebrochen, um dort die notwendigen Absprachen zu treffen. Die Trainingsmaßnahmen sollen zumindest zum Teil in Syriens Nachbarstaaten durchgeführt werden. Allen erklärt jetzt, sie zielten ausschließlich auf den Kampf gegen den IS; es sei nicht vorgesehen, dass die FSA nach dem erhofften Sieg auch noch Assad attackiere. Washington halte die FSA nicht für stark genug, ihn zu stürzen, und begnüge sich damit, sie so weit zu stärken, dass Assad nicht um Verhandlungen mit ihr umhinkomme. Langfristig gelte es dabei, eine umfassende Lösung für die Konflikte im gesamten Nahen und Mittleren Osten zu finden. Ein Arrangement für Syrien solle Teil dieser Lösung sein.[2]


Mit Stalin gegen Hitler

Daran anknüpfend fordern bekannte US-Regierungsberater mittlerweile öffentlich, im Krieg gegen den IS auch auf eine Kooperation mit der Regierung Assad und mit Iran zu setzen. Nur sie seien stark genug, ausreichend Bodentruppen bereitzustellen, urteilt Leslie H. Gelb, President Emeritus des US-Think-Tanks Council on Foreign Relations (CFR): Selbst wenn Assad nur noch die Hälfte seiner angeblich 100.000 Soldaten zur Verfügung habe, seien diese am besten für den Krieg gegen den IS positioniert; Irans Streitkräfte seien noch mächtiger. Gelb räumt ein, dass "Iran und Assads Syrien aus der Allianz gegen die Jihadisten mit mehr Macht als zuvor hervorgehen könnten". Doch habe Washington in der Geschichte immer wieder "mit Teufeln" kooperiert: "Die USA verbündeten sich mit Stalin, um Hitler zu bekämpfen."[3] Gelb erwähnt nicht eigens, dass Washington nach dem Sieg über NS-Deutschland sofort wieder zum Kampf gegen Moskau überging.


Eine Exilarmee

Die Pläne, im Krieg gegen den IS mit der Regierung Assad und Iran zu kooperieren und damit womöglich Umbrüche in der westlichen Mittelost-Politik in die Wege zu leiten, stoßen erkennbar auf Widerstände im US-amerikanischen wie auch im deutschen Establishment. So spricht sich der ehemalige CIA-Analyst Kenneth M. Pollack in der einflussreichen Zeitschrift "Foreign Affairs" dafür aus, das geplante Trainingsprogramm für FSA-Milizionäre erheblich auszuweiten. Laut Pollack sollen zwei bis drei Brigaden à 1.000 bis 2.000 Mann außerhalb Syriens - in Jordanien oder in der Türkei - ausgebildet werden, und zwar nicht nur für Aufstandstätigkeiten, sondern quasi als reguläre Armee. Die Kämpfer sollen in Syrien oder in der syrischen Diaspora rekrutiert, langfristig trainiert und mit schweren Waffen ausgerüstet werden, Boden-Luft-Raketen und Panzer inklusive. Sie sollten dann systematisch die Territorien erobern, die heute noch von Assads Truppen gehalten werden. Schrittweise müssten sie die Herrschaft über die eingenommenen Gebiete errichten; zu gegebener Zeit könnten sie von den USA und ihren Verbündeten als legitime Regierung anerkannt werden und langfristig die Assad-Regierung vollständig niederwerfen. Das Training der Brigaden werde ein bis zwei Jahre dauern, die Eroberung des Landes weitere ein bis drei Jahre. Als Modell für die Operationen nennt Pollack ausdrücklich die Kriege des Westens in Afghanistan (2001) und in Libyen (2011).[4]


Ein Doppelkrieg

Ebenfalls für stärkere militärische Aktivitäten und den Sturz der syrischen Regierung spricht sich nun die Autorin eines aktuellen Papiers der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) aus. Wie sie schreibt, müssten die westlichen Staaten "ihre ursprüngliche Strategie" im Syrien-Krieg, die allzu stark auf die "Förderung ziviler Strukturen" gesetzt habe, "ernsthaft auf den Prüfstand stellen".[5] Dabei dürfe der Westen sich nicht auf den Krieg gegen den IS beschränken, sondern müsse sich zugleich gegen Assad wenden. Erforderlich sei "die Schaffung einer Flugverbotszone über ganz Syrien", also die vollständige Ausschaltung der syrischen Luftwaffe. Damit solle die Regierung zu Verhandlungen gezwungen werden, bei denen "der innere Machtzirkel um Assad von einem Übergangsarrangement ausgeschlossen bleibt". Zudem müsse ein Fonds eingerichtet werden, aus dem die selbsternannte "Übergangsregierung" Syriens und der "Militärrat" der Aufständischen zu finanzieren seien. Nur auf diese Weise lasse sich "die Lage in den Rebellengebieten stabilisieren". Faktisch liefe die Errichtung einer Flugverbotszone über ganz Syrien, die dort mit Waffengewalt durchgesetzt werden müsste, auf einen Doppelkrieg gegen den IS und die Regierung Assad hinaus.


Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Politik im Syrien-Krieg finden Sie hier: Schmuggelkontrolleure, The Day After, The Day After (II), Verdeckte Kriegspartei, The Day After (III), The Day After (IV), Im Rebellengebiet, Die Islamisierung der Rebellion, Im Rebellengebiet (II), Im Rebellengebiet (III), Das Ende künstlicher Grenzen, Im Rebellengebiet (IV), Deutsche Kriegsbeihilfe, Religion und Interesse, Demokratischer Interventionismus, Kriegsrat in Nahost, Wie im Irak, Die militärische Lage, Die Allianzen der Rivalen, Die Macht des Stärkeren, Spionage mit Kriegsfolgen, Deutschlands Giftgas-Expertise, Kämpfende Mächte, Syriens westliche Freunde, Das Wirken der Geostrategen, Geschäftsgeheimnisse, Vormarsch auf Bagdad und Die syrische Kröte.


Anmerkungen:

[1] Leslie H. Gelb: There's Only One Way to Beat ISIS: Work With Assad and Iran.
www.thedailybeast.com 18.10.2014.

[2] Exclusive: General Allen discusses coalition plans for defeating ISIS as regional tour starts.
www.aawsat.net 25.10.2014.

[3] Leslie H. Gelb: There's Only One Way to Beat ISIS: Work With Assad and Iran.
www.thedailybeast.com 18.10.2014.

[4] Kenneth M. Pollack: An Army to Defeat Assad. Foreign Affairs September/October 2014.

[5] Petra Becker: Hilfe für Syriens Zivilgesellschaft - ineffektiv und fehlgeleitet. SWP-Aktuell 64, Oktober 2014.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2014