Kampagne "Meine Landwirtschaft" / Wir haben es satt! - 21. Januar 2017
"Wir haben Agrarindustrie satt!": 18.000 Bauern und Bürger fordern Wende in der Agrar- und Ernährungspolitik
130 Traktoren aus ganz Deutschland führen Demonstration an / Bündnis fordert in 9-Punkte-Plan tier-, umwelt- und klimagerechten Umbau der Landwirtschaft
Foto: © www.wir-haben-es-satt.de/Die Auslöser Berlin
Berlin, 21.1.17. Parallel zur Grünen Woche zogen heute bei der "Wir haben es satt!"-Demonstration 18.000 Menschen für Bauernhöfe und den tier- und umweltgerechten Umbau der Landwirtschaft durch das Berliner Regierungsviertel. Angeführt von rund 130 Traktoren drückten die Demonstranten unter dem Motto "Agrarkonzerne, Finger weg von unserem Essen!" lautstark ihren Protest gegen die Industrialisierung der Landwirtschaft aus. Bereits am Morgen hatten konventionell und ökologisch wirtschaftende Bauern am Bundeslandwirtschaftsministerium neun Forderungen zur Bundestagswahl überreicht. Der Tenor des 9-Punkte-Plans: Die gravierenden Krisen in der Landwirtschaft erfordern nicht folgenloses Reden, sondern entschlossenes Handeln.
"Wir fordern ein Ende der Subventionen für die Agrarindustrie und den Stopp von Mega-Fusionen im Agrarsektor. Stattdessen brauchen wir Anreize für Bauern, die Tiere besonders artgerecht halten und umweltschonend wirtschaften", sagt Jochen Fritz, Sprecher des "Wir haben es satt!"-Bündnisses, dem mehr als 100 Organisationen aus Landwirtschaft, Imkerei, Natur-, Tier- und Verbraucherschutz, Entwicklungsorganisationen und dem Lebensmittelhandwerk angehören. Fritz weiter: "Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt muss endlich dafür sorgen, dass die bäuerlichen Betriebe vom gesellschaftlich gewollten Umbau hin zu einer ökologischeren, tierfreundlicheren Landwirtschaft profitieren. Herr Schmidt darf nicht noch mehr Zeit verlieren und muss Agrarpolitik für Bauern statt Agrarindustrie machen!" Außerdem fordern die Demonstranten im Wahljahr unter anderem die konsequente Förderung von Bauernhöfen sowie die drastische Reduzierung von Pestiziden und Antibiotika.
Das Bündnis kritisiert, dass aufgrund fehlgeleiteter Agrarpolitik in den vergangenen zehn Jahren mehr als 100.000 Bauernhöfe aufgeben mussten. Außerdem belaste die deutsche Agrarpolitik, insbesondere durch übermäßige Fleischproduktion, die Umwelt und das Klima und zerstöre durch Dumpingexporte kleinbäuerliche Strukturen überall auf der Welt. Gleichzeitig formierten sich immer größere, global agierende Konzerne. In der Fusion der Chemiekonzerne Bayer und Monsanto sieht das Bündnis eine große Bedrohung, da künftig mehr als 60 Prozent des Saatgut- und Agrochemiemarktes von drei Mega-Konzernen beherrscht würden. Die Kartellbehörden müssten verhindern, dass bäuerliche Betriebe und Konsumenten von patentiertem Saatgut abhängig werden. Auf dem Traktor eines Brandenburger Bauers war zu lesen: "Bayer und Monsanto, bleibt uns vom Acker!"
An der Spitze des Demonstrationszuges liefen zahlreiche junge Bäuerinnen und Bauern, die einen Hof gründen wollen. Ihnen fehlt aber vielfach der Zugang zu landwirtschaftlich nutzbarem Boden. Julia Rupp, 26-jährige Bäuerin aus Honhardt in Baden-Württemberg, sagte: "Als junge Generation wollen wir eine Zukunft auf dem Land, uns werden aber zu viele Steine in den Weg gelegt. Wir brauchen dringend ein Agrarstrukturgesetz, das Landkauf- und Pachtrechte bevorzugt an junge Bäuerinnen und Bauern gibt, nicht an Investoren. Wir müssen den Niedergang der bäuerlichen Landwirtschaft und des Lebensmittelhandwerks aufhalten, sonst kommt es zum Strukturbruch. Unsere Lebens- und Ernährungsgrundlage lassen wir uns nicht von Agrarkonzernen wegnehmen!"
Die Demonstration richtet sich gegen die Agrarindustrie, nicht aber gegen konventionelle Landwirte. Seit sieben Jahren praktiziert "Wir haben es satt!" den Dialog zwischen Zivilgesellschaft, konventionellen und Öko-Bauern sowie Lebensmittelhandwerkern, um gemeinsam Wege für eine bäuerliche Zukunftslandwirtschaft zu finden.
www.wir-haben-es-satt.de
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• Subventionen an Agrarkonzerne stoppen und die Agrarwende konsequent fördern: Jährlich 500 Millionen Euro mehr in bäuerlich-ökologischere Landwirtschaft investieren. Anreize für besonders artgerechte Tierhaltung und umweltschonendere Bewirtschaftung schaffen!
• Vielfalt der Bauernhöfe erhalten: Kleine und mittlere Betriebe fördern!
• Bauernhöfe stärken: Bis 2020 mindestens 50 % der öffentlichen Beschaffung aus regionaler und ökologischer Landwirtschaft!
• Für gesundes Essen und besonders artgerechte Tierhaltung: Tierschutzgesetz ohne Ausnahmen umsetzen! Bis zum Jahr 2020 Antibiotika um mindestens 50 % reduzieren! Antibiotikamissbrauch sofort stoppen und Reserveantibiotika in der Tierhaltung verbieten!
• Wasser und Klima schonen: Überdüngung stoppen, Obergrenzen für Viehbestand einführen und Tierzahl an die Fläche binden!
• Artenvielfalt erhalten und Bienensterben stoppen: Pestizideinsatz massiv reduzieren! Keine Gentechnik durch die Hintertür!
• Konzernmacht beschränken: TTIP, CETA und EPAs verhindern! Megakonzerne im Landwirtschafts- und Lebensmittelsektor aufbrechen und keine weiteren Fusionen zulassen! Kennzeichnungspflicht für Tierhaltung, Gentechnik im Futter und Herkunft bei allen Lebensmitteln!
• Für mehr globale Gerechtigkeit: Agrarexporte reduzieren, bäuerliche Erzeugung und regionale Märkte weltweit stärken und Entwicklungszusammenarbeit agrarökologisch ausrichten!
• Für faire Erzeugerpreise: Überschussproduktion durch Marktregulierung beenden! Heimisches Eiweißfutter fördern!
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Foto: © www.wir-haben-es-satt.de/Die Auslöser Berlin
Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
(BUND):
"Die jetzige Agrarpolitik ist verantwortlich für das Höfesterben, für
Umweltschäden und den Artenschwund. Eine Agrarwende, die Bauern wieder eine
Zukunft gibt, ist längst überfällig. Die Tierhaltung muss so gestaltet
sein, dass sie gesellschaftliche Akzeptanz findet. Alle demokratischen
Parteien sind gefordert, einem Weiter so in der Landwirtschaft eine klare
Absage zu erteilen und die nötigen Reformen endlich in Angriff zu nehmen."
Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes:
"Wir erleben einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wertewandel im Umgang
mit Tieren in der landwirtschaftlichen Erzeugung, und nicht zuletzt deshalb
muss die Politik reagieren. Das Tierschutzgesetz lässt immer noch die
millionenfache Qual von Tieren in landwirtschaftlicher Haltung zu:
Männliche, lebensfähige Küken werden vernichtet, Ferkel immer noch
unbetäubt kastriert und Millionen Tieren werden Körperteile amputiert, um
sie leidvollen Haltungssystemen anzupassen. Das alles haben wir satt!"
Christoph Bautz, Geschäftsführer von Campact:
"Eine beängstigende Welle von Fusionen rollt um den Globus. ChemChina
übernimmt Syngenta, Dow Chemical Dupont und zuletzt Bayer Monsanto. Das ist
nichts anderes als eine feindliche Übernahme - unserer Böden, unseres
Saatguts, unseres Trinkwassers und unseres Essens. Doch diese feindliche
Übernahme trifft heute hier auf unseren Widerstand."
Miriam Mayet, African Center for Biodiversity, Südafrika und Partnerin von
Brot für die Welt:
"Nicht Konzerne ernähren uns, sondern die Bäuerinnen und Bauern der Welt.
Daher müssen die Fusionen von Bayer-Monsanto und der anderen Konzerne
verhindert werden. Sonst droht in vielen Staaten der Verlust der
Saatgutsouveränität. Wir brauchen endlich die konsequente Förderung der
alternativen Saatgutarbeit, von der Bäuerinnen und Bauern und
agrarökologischer Züchter auf der ganzen Welt täglich leben. Die
Regierungen müssen endlich handeln und die Macht der Konzerne begrenzen."
Hans Bartelme, Bauer aus Baden-Württemberg und Naturland-Vertreter:
"Die Landwirtschaft befindet sich in einer ökonomischen und ökologischen
Krise und sie verliert die Akzeptanz der Bevölkerung. Bio zeigt erfolgreich
seit vielen Jahrzehnten, wie es anders geht! Die Politik muss die große
Nachfrage nach heimischen Bio-Produkten nutzen und mehr Bauern die Chance
zur Umstellung auf Ökolandbau ermöglichen. Dazu müssen die Weichen
konsequent auf Bio gestellt werden."
Georg Janssen, Bundesgeschäftsführer Arbeitsgemeinschaft bäuerliche
Landwirtschaft (AbL):
"Wir Bäuerinnen und Bauern stellen uns der großen Herausforderung: Eine
flächendeckende, umwelt- und klimaschonende Landwirtschaft mit
tiergerechter Haltung zu schaffen. Dabei muss die Vielfalt der Höfe
erhalten werden und viele kleine, mittlere und große Betriebe müssen
wirtschaftlich mitgenommen werden. Unsere Partnerin ist nicht
Agrarindustrie, wir setzen auf die Zivilgesellschaft."
Anke Kähler, "Die Freien Bäcker", Initiatorin des Aufrufs von
LebensmittelhandwerkerInnen:
"Wir wollen gute Lebensmittel ohne Gentechnik und Pestizide für alle. Die
Konzentrationsprozesse im Agrar- und Ernährungssektor und die
bürokratischen Reglementierungen des Handwerks haben wir satt! Wir stehen
ein für: transparente, faire und selbstbestimmte Wertschöpfungsketten vom
Saatgut bis zum Brot. Dafür gehen wir heute gemeinsam mit KollegInnen aus
anderen Gewerken auf die Straße."
Guido Grüner, Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg, seit 2011 Träger der
Demonstration:
"Alle sollen sich gentechnikfrei, gesund, nachhaltig und mit menschenwürdig
erzeugten Lebensmitteln ausgewogen ernähren können! Dafür braucht ein
Erwachsener viel mehr als die 4,50 Euro, die aktuell im Hartz-IV-Satz für
Nahrung enthalten sind. Wir fordern daher, das Arbeitslosengeld II allein
schon für eine gute Ernährung um gut 100 Euro anzuheben, also auf deutlich
über 500 Euro."
Karen Hansen-Kuhn, Institute for Agriculture and Trade Policy, USA:
"Hunderttausende demonstrieren dieser Tage in den USA gegen die reaktionäre
Politik der neuen Regierung und im Kongress. Gemeinsam hat es die
Zivilgesellschaft geschafft, dass die transpazifischen und
transatlantischen Handelsabkommen TTIP und TPP auf Eis gelegt wurden. Auch
in Zukunft werden wir Widerstand gegen diese schlechten Abkommen leisten
sowie für gutes Essen und gute Landwirtschaft auf der ganzen Welt
eintreten."
Matthias Brümmer, Gewerkschaft Nahrung - Genussmittel - Gaststätten
(NGG):
"Die Selbstverpflichtung der Arbeitgeber in der Fleischindustrie ist
gescheitert, sie bauen eben keine Stammbelegschaften auf und arbeiten
weiter mit Werkverträgen. Selbstverständlich ist es richtig, dass mit den
Tieren vernünftig umgegangen wird, jedoch bezweifeln wir die Sinnhaftigkeit
des Tierschutzlabels. Denn wer mit seinen Beschäftigten nicht gut umgeht,
der wird auch bei den Tieren sich nicht vorbildlich verhalten."
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Quelle:
Kampagne "Meine Landwirtschaft" / Wir haben es satt!
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E-Mail: info@meine-landwirtschaft.de
Internet: www.meine-landwirtschaft.de, http://www.wir-haben-es-satt.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2017
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