Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → ERNÄHRUNG

BERICHT/055: Der Union laufen die Bauern weg (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Der Union laufen die Bauern weg

Historische Ergebnisse bei der Bundestagswahl als Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen


Deutschland hat gewählt und wird zukünftig von einer schwarz-gelben Koalition unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel regiert. Zugrunde liegt dem ein in mehrerlei Hinsicht als "historisch" bezeichnetes Wahlergebnis: die Union (CDU/CSU) verliert an Zustimmung und landet mit 33,8 Prozent im Stimmentief und die CSU in Bayern mit für sie katastrophalen 42,6 Prozent auf ihrem historischen Tiefpunkt, ebenso wie die SPD, die "erdrutschartig" auf 23 Prozent abstürzt, während Grüne (10,7%), Linke (11,9%) und FDP (14,6%) ihr jeweils bestes Ergebnis aller Zeiten erzielen.


Union verliert bei Bauern

Eine Erklärung für die Verluste von CDU/CSU lautet: Der Union laufen die Bauern und Bäuerinnen weg. So kommt die Forschungsgruppe Wahlen in ersten Wahlanalysen zu dem Ergebnis, dass die CDU/CSU in dieser Zielgruppe gegenüber der letzten Bundestagswahl rund sieben Prozent eingebüßt hat und damit bei den Bauern und Bäuerinnen deutlich mehr verloren hat als im Bundestrend (-1,4 %). Offensichtlich, so die Forschungsgruppe, haben die Bauern ihre Unzufriedenheit über die schlechten Preise und den unklaren Kurs in der Milchpolitik vor allem bei der Union abgeladen. Das zeigt sich insbesondere in Bayern oder auch Baden-Württemberg. "Unmut, Wut und Unzufriedenheit" hat Horst Seehofer "in der letzten Zeit" insbesondere bei den Milchbauern wahrgenommen und zielt damit auf den Milchlieferboykott und die anderen Aktivitäten des Bundes Deutscher Milchviehhalter (BDM), der dir Bauern und Bäuerinnen dazu aufgerufen hatte, den Wahltag zum Zahltag zu machen. Eine Umfrage für den BDM hatte zuvor bereits ergeben, dass nur noch 23 Prozent seiner Mitglieder CDU oder CSU wählen würden. So fuhren auch Landwirtschafsministerin Aigner und der Parlamentarische Staatssekretär im BMELV Müller, beide CSU, in ihren Wahlkreisen deutliche Verluste ein.


Vergebens umworben

Dabei war die Union in diesem Wahlkampf in schon lange nicht mehr gekanntem Ausmaß auf die Bauern zugegangen. Großflächenplakate mit Ministerin Aigner versprachen eine "Zukunft" für "unsere Bauern". Noch kurz vor der Wahl lädt Kanzlerin Merkel zu einem weiteren Milchgipfel und die CSU erklärt, dass für sie "eine wichtige Bedingung für die Bildung einer neuen Regierung" ist, "dass die bäuerliche Landwirtschaft erhalten bleibt" und "das Thema Milchwirtschaft nicht nur formal zur Chefsache erklärt wird". Genutzt hat diese "Schaumschlägerei", so ein BDM-Vertreter, nicht. Die Bauern und Bäuerinnen habender Union zahlreich den Rücken gekehrt wie schon bei der Europa- und der letzten Landtagswahl, bei der die CSU bereits bis zu 50 Prozent ihrer Wähler bei den Bauern und Bäuerinnen verloren hatte. "Dieses Milieu bröckelt", so ein CSU-Vertreter. Für Seehofer auch Ausdruck "grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen". Die Interessen des ländlichen Raums und der Landwirtschaft werden eben nicht mehr 1:1 durch Union und Bauernverband abgedeckt. Das zeigt sich exemplarisch im Milchbereich, wo die Vorstellungen des DBV und des BDM "konträr", so der BDM, aufeinandertreffen.


"Kleine" ganz "groß"

Abgewandert sind die Bauern in Richtung Nichtwähler, Grüne, Linke und FDP. Zumindest liegt diese Annahme nahe, wenn man in Regionen schaut, in denen Bauern und Bäuerinnen ihre Interessen selbst in die Hand genommen und artikuliert haben, wie zum Beispiel in den BDM-Hochburgen Süddeutschlands. Dort stehen den Verlusten der Union (und auch der SPD) über dem Bundesdurchschnitt liegende Gewinne der sogenannten "kleinen" Parteien gegenüber.

Ohne Erfolg blieb der Versuch des Kanzlerkandidaten Franz Walter Steinmeier, über die Berufung des DBV-Vizepräsidenten Udo Folgart (siehe letzte Bauernstimme) in sein Kompetenzteam bei den Bauern und Bäuerinnen zu punkten. Folgart hatte sich durch seine Befürwortung von grüner Gentechnik und Massentierhaltung beizeiten selbst aus der gesellschaftlichen Debatte katapultiert, konnte seinen Wahlkreis bei der gleichzeitig mit der Bundestagswahl stattfindenden Landtagswahl in Brandenburg jedoch gewinnen.


Regierung an den Fakten messen

In den anstehenden Koalitionsverhandlungen trifft der von der Union, von CDU und CSU gemeinsam in ihrem Wahlprogramm für den Bereich Landwirtschaft propagierte "Weg der Marktorientierung" und der "Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit" auf die FDP, die eine "marktwirtschaftliche Umorientierung" der Agrarpolitik zugunsten einer "unternehmerischen Hightech-Landwirtschaft" einfordert, wozu auch der Einsatz der grünen Gentechnik zu zählen ist. Union und FDP wollen auch "die Probleme der Milchbauern" lösen. Von der CSU waren vor der Wahl Forderungen nach einer wirksamen Milchquote zu hören, die die FDP ablehnt.

"Wir messen die Regierung an Fakten und Taten, nicht an Gesprächsangeboten", hat der BDM-Vorsitzende Romuald Schaber mit Blick auf den anstehenden Milchgipfel noch kurz vor der Wahl geäußert. Mit Blick auf die alte und auch zukünftige Kanzlerin hegt der BDM aber durchaus Hoffnung. "Sie hat begriffen, dass sich in der Landwirtschaftspolitik etwas tun muss", heißt es dort.

Darüber hinaus gilt, was der Bundespräsident bei der diesjährigen Übergabe der Erntekrone in Berlin äußerte: "Angesichts der verfallenden Erzeugerpreise und den damit einhergehenden Existenzängsten müssen die Bauern verstärkt für ihre Interessen kämpfen." Diejenigen Bäuerinnen und Bauern, die ihr Schicksal bereits in die eigenen Hände genommen und mit ihren Belangen an die Öffentlichkeit gegangen seien, härten seine Sympathie.
FebL


*


Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2009