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BERICHT/100: Zum "Kritischen Agrarbericht 2010" - Teil 2, Fakten und Forderungen (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 156 - Juni/Juli 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Kritischer Agrarbericht 2010
Fakten und Forderungen (Teil 2)

Von Jörg Parsiegla


Mit dem Kritischen Agrarbericht veröffentlicht das Agrarbündnis seit 1993 jährlich eine Zusammenfassung der agrarpolitischen Debatte des Vorjahres. Im heutigen Teil geht es um Grünlandbewirtschaftung und alternative Eigentumsformen an Grund und Boden.


Warum ist Grünland so wichtig?

Wiesen und Weiden erfüllen wichtige ökologische Funktionen wie Boden-, Hochwasser- und Trinkwasserschutz. Sie sind Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten und von besonderer Bedeutung für das Landschaftsbild.

Doch die agrarpolitische Entwicklung nimmt dem Grünland zunehmend Fläche und Bedeutung. Bestandteil dieser Tendenz sind zum Beispiel der Ersatz von Grünlandfutter durch Kraftfutter (Silomais) oder auch der Umbruch von Grünland zugunsten nachwachsender Energiepflanzen. So kommt es, dass der Anteil des Dauergrünlandes an der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland derzeit nur noch 28 Prozent (4,8 Millionen Hektar) beträgt.

Dabei wäre eine Umkehr im Umgang mit Grünland dringend nötig:

Boden- und Wasserschutz: Unter Grünland sind Bodenabträge deutlich geringer als auf Ackerflächen (im Durchschnitt < 1 zu 2,4 Tonnen je Hektar). Außerdem speichert Dauergrünland durch seinen Bewuchs und die Bodenbeschaffenheit deutlich mehr Wasser. So werden auf einer Wiese bis zu zwei Liter pro Quadratmeter im "Tropfenkleid" gehalten, nach dem Regen kann dieses Wasser wieder verdunsten.

Darüber hinaus ist der Oberflächenabfluss von Dauergrünland nur halb so hoch wie der von Ackerland - entsprechend geringer fällt der Nährstoffeintrag in benachbarte Gewässer aus, positive Wirkungen entstehen außerdem für den Hochwasserschutz.

Klimaschutz: Unter Wiesen und Weiden ist der Humusanteil besonders hoch. Humus wiederum spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Regulierung des klimarelevanten Kohlendioxids. Die in Böden ohnehin doppelt so große gespeicherte CO2-Menge verglichen mit der Atmosphäre (oder sogar dreimal so groß wie in der Vegetation) macht Grünflächen somit zu einem kostengünstigen und sofort einsetzbaren Verfahren zum Klimaschutz.

Biodiversität: Wiesen und Weiden gehören zu den artenreichsten Biotoptypen Mitteleuropas. Dabei ist die Vielfalt des Grünlandes enorm: Allein in Deutschland kommen circa 60 unterschiedliche Grünland- Biotope vor. Dazu gehören von Nutzung unabhängige Wiesen ebenso wie natürliche Offenlandbereiche, beispielsweise Trockenrasen oder Moorwiesen. Die Hälfte aller deutschen Pflanzenarten (etwa 2.000) kommt hier vor. Ähnlich artenreich ist das Tierleben vertreten, vor allem für Vögel sind Wiesen und Weiden wichtige Lebensräume.

Landschaftsbild: Grünlandregionen sind wichtiger Bestandteil unserer Kulturlandschaft. Sie prägen unser Landschaftsbild und bilden die Grundlage für eine Reihe von nachgeordneten Erwerbszweigen, darunter den Tourismus. Grünlandregionen sprechen mit ihrer Artenvielfalt alle Sinne an.


Grünland "in Wert" setzen

Aus Naturschutzsicht ist die landwirtschaftliche Nutzung von Wiesen und Weiden durch Rinder- und Schafhaltung äußerst wichtig. Als optimal wird eine Kombination von intensiv und extensiv genutzten Grünlandstandorten angesehen. Die Agrarreferentin und Autorin Marion Ruppaner vom Bund Naturschutz in Bayern e.V. hält in diesem Zusammenhang nur Qualitätserzeugung, die sich von der Einheits-Massenware abhebt, für fähig, die höherpreisigen Märkte der Zukunft zu schaffen. Folgende Aufgaben stehen für sie im Vordergrund:

Regionale Milcherzeugung auf Grünland-Grundfutterbasis
Tierfutter ohne gentechnisch veränderte Bestandteile, um den Verbraucherwünschen nach gentechnikfreier Lebensmittelerzeugung Rechnung zu tragen
Milch und Fleisch aus frischem Gras und Klee, die höhere Anteile wertvoller ungesättigter Fettsäuren wie Omega 3 enthalten
Weidegang sowie kräuterreiches Grünfutter und Heu, das die Tiergesundheit stärkt und den Einsatz von Tierarzneimitteln reduziert

In der Förderpolitik muss Dauergrünland für seine ökologischen Funktionen besser gestellt werden als bisher. Notwendig ist außerdem eine Marktstrukturpolitik, die den flächendeckenden Erhalt von Verarbeitungsstrukturen - Schlachthöfe und (auch kleinere) Molkereien - unterstützt.

Um Dauergrünland besser schützen zu können, müssen auch ordnungspolitische Maßnahmen zur Anwendung kommen. Die verantwortlichen Behörden müssen dafür sorgen, dass (wenn überhaupt) nur noch in Ausnahmefällen Genehmigungen für einen Grünlandumbruch erteilt werden können.

Weitere Aufgaben sind die Erstellung neuer Konzepte für Forschung und die Beratung der Landwirte. Denn oft lässt sich auch mit kleinen Maßnahmen, die ohne großen Aufwand und ohne wirtschaftliche Einbußen umgesetzt werden können, die Grünlandqualität verbessern und somit eine höhere Wertstellung erzielen (zum Beispiel Kräuter blühen und Randstreifen stehen lassen, Mähzeiten staffeln und inseketenschonend mähen). Letztendlich geht es um neue Leitbilder zur Erhaltung einer vielfältigen Grünlandnutzung und um Low-input-Systeme als bäuerliche Alternative zu Agrarindustriebetrieben (Kap. 1, S. 27 ff.)


Alternative, gemeinnützige Eigentumsformen

Boden ist - wie Luft und Wasser - ein Gemeingut, das sich jedoch meist in Privatbesitz befindet. Vor diesem Hintergrund gestaltet sich der Weg zu alternativen, am Gemeinwohl orientierten Eigentumsformen meist schwierig. Dabei existiert durchaus eine Nachfrage nach Formen des "Anders-Wirtschaftens" - sei es im Zuge des nach wie vor zu verzeichnenden Höfesterbens oder weil gerade eine Entscheidung im Rahmen der Betriebsentwicklung ansteht, zum Beispiel bei Hofübergabe oder im Fall eines geplanten größeren Investitionsprojekts.


So fing es an

Die ersten Initiativen für gemeinnützige Eigentumsformen gingen um 1970 teilweise von den Bauern selbst aus, teilweise von Kunden- und Unterstützerkreisen. Den Anfang machte 1969 der 80-Hektar-Hof der Familie Loss in Fuhlenhagen in Schleswig-Holstein. Bis in die 1980er Jahre stieg die Zahl der derart überführten Höfe - überwiegend in den nördlichen Bundesländern - auf etwa 80 - die meisten davon unter biologisch-dynamischer Bewirtschaftung. Auch in den neuen Bundesländern wurden nach der Wende einige Betriebe auf gemeinnützige Eigentumsformen umgestellt.

Pionierarbeit bei der finanztechnischen Überführung des Bodeneigentums in Gemeinschaftshand leisteten die "Bochumer Banken" GLS Treuhand e.V. und GLS Bank eG, letztere entwickelt bis heute Instrumente des "Landfreikaufs", beispielsweise die Bürgengemeinschaft oder den Bodenfonds. Als passende rechtliche Eigentumsform hat sich vor allem der gemeinnützige Verein bewährt, daneben aber auch die gemeinnützige GmbH und die gemeinnützige privatrechtliche Stiftung.


Entwicklungsmöglichkeiten und Tendenzen

Die Erfolgsaussichten der gemeinschaftlichen Eigentumsform hängen in hohem Maß vom Initiativreichtum der Mitglieder des Trägervereins ab. Aus der auf vielen Schultern getragenen Verantwortung für den Hofbetrieb erwachsen oft ungeahnte Fähigkeiten bei der Gestaltung der Hofaktivitäten: Hoffeste, Mithilfe auf dem Marktstand, Naturschutzund Biotopaktionen. Der Autor und Koordinator des europäischen Regelnetzwerkes Forum Synergies, Dr. Titus Bahner, formuliert diesen Anreiz, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, so: "Die einbezogenen Menschen decken von jung bis alt und von arm bis reich alle Bereiche der Gesellschaft ab, die sich durch diese 'offene' Landwirtschaft angezogen fühlen".

Im Gegenzug werden auch dem Bauern/der Bäuerin, der/die jetzt als Pächter/-in auftritt, soziale Kompetenzen abverlangt. Sie muss Gemeinsinn aufbringen, seine Eigentümer in Betriebsentscheidungen einbeziehen und sich gegebenenfalls in die Bücher schauen lassen.

Außer dem beschriebenen Vereinsmodell können auch institutionelle Eigentümer gemeinwohlorientierte Ziele verfolgen und damit Höfe unterstützen. Beispiele hierfür sind Grundeigentümer im Naturschutz, Gebietskörperschaften und - zumeist historisch entstanden - Kirchen.

Etwa seit dem Jahr 2000 verläuft die Entwicklung bei der Übertragung von Höfen auf gemeinnützige Träger rückläufig. Dafür bildeten sind jedoch andere Formen heraus, so zum Beispiel kleine Aktiengesellschaften aus dem Zusammenschluss mehrerer Höfe oder, wie im Fall der in den letzten Jahren in der Uckermark entstandenen größten zusammenhängend ökologisch bewirtschafteten Fläche, der Bodenfonds. (S. 35 ff.)


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 156, Juni/Juli 2010, Seite 12
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2010