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BERICHT/157: Lebensmittel-Industrie - Die Globalisierung der Nahrung (Securvital)


Securvital 4/2012 - Oktober-Dezember
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Lebensmittelindustrie
Die Globalisierung der Nahrung

Von Norbert Schnorbach



Die Herstellung und Vermarktung von Nahrungsmitteln wird in rasantem Ausmaß industrialisiert und kommerzialisiert. Welche Auswirkungen hat das auf unsere Ernährungsweise?


In der heilen Werbewelt ist alles natürlich und friedvoll. Die Kühe weiden auf grünen Wiesen. Die Hühner picken auf dem Boden. Die Ähren wogen im Sonnenschein. Und der Fruchtsaft wird aus den frischesten Früchten gepresst. Und in Wirklichkeit? Womit werden die Rinder gefüttert, was für ein Leben fristen die meisten Hühner und Schweine? Wie viel Zucker und Zusatzstoffe sind in den Getränken und wie viele echte Früchte enthält der Sonderangebots-Fruchtjoghurt tatsächlich?

Unser Verhältnis zu Lebensmitteln ist voller Gegensätze und Widersprüche. Wir wissen, was gesund und gut ist, und leben dennoch mit lauter Kompromissen. Nahrungsmittel sollen naturnah sein, echt und unverfälscht, wie es die Werbung auch so gern suggeriert. Aber die Industrialisierung hat die Ernährung verändert - nicht nur in Deutschland, sondern rund um den Globus. Industriepizzas und Aufbackbrötchen schmecken wie Pappe, aber dennoch sind minderwertige Zutaten und künstliche Geschmacksstoffe üblich. Cola und Chips sind ungesund und machen dick, wie jeder weiß, aber damit werden Milliardenumsätze gemacht.


BIO-KÄUFER

Wie häufig kaufen Sie derzeit Biolebensmittel?

  2 % ausschließlich
19 % häufig
55 % gelegentlich
23 % nie


Hinter den Kulissen

Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit war die Lebensmittelversorgung so reichhaltig wie das, was Märkte und Supermärkte hierzulande anzubieten haben. Vermutlich war keine Generation vor uns in der Lage, sich so leicht und sorgenfrei und vielseitig zu ernähren wie wir heute. Doch wenn man hinter die Kulissen der Lebensmittelindustrie schaut, wächst das Unbehagen. Da werden die Inhaltsstoffe manipuliert, uniformiert und chemisch haltbar gemacht. Künstliche Aromen gaukeln Geschmack vor. Zusatzstoffe machen die Nahrung supermarkttauglich. Industrielebensmittel sind Produkte mit vielen Unbekannten. Sie entfernen sich immer weiter von den natürlichen Grundlagen.


Globale Fakten

Einige Veränderungen sind in globalem Maßstab zu beobachten, zum Beispiel beim Zuckerkonsum. Die weltweite Produktion von Zucker hat sich vervielfacht, auf gegenwärtig rund 165 Millionen Tonnen pro Jahr. Das sind umgerechnet fast 25 Kilogramm pro Kopf der Weltbevölkerung. Allerdings ungleich verteilt: US-Amerikaner essen täglich rund 160 Gramm Zucker, Europäer durchschnittlich 100 Gramm und Inder nur 50 Gramm. Der größte Teil des Zuckers steckt in industrieller Fertignahrung, in Getränken, Pizzas, Müsli, Keksen und Ketchup. Wissenschaftler sehen eine direkte Verbindung zum weltweiten Anstieg von Übergewicht, Fettleibigkeit und Diabetes.

Der steigende Fleischverbrauch ist ein weiteres globales Beispiel. In schnell wachsenden Schwellenländern und insbesondere in China können sich zunehmend mehr Menschen leisten, Fleisch zu essen. Das hat weitreichende Folgen für die Landwirtschaft. Immer mehr Futtermittel werden benötigt, die im Land selbst gar nicht mehr produziert werden können. Chinesische und arabische Investoren greifen nach großen Ackerflächen in Afrika und Südostasien. Die Folgen für die einheimische Bevölkerung dort sind kaum abzusehen.

Mit dem Fisch ist es ähnlich. Die Ozeane galten lange Zeit als unerschöpfliche Nahrungsquelle. Doch seit der Hunger auf Fisch und Meeresfrüchte weltweit steigt, werden die Meere mit industriellen Methoden leer gefischt. Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass die kommerziell genutzten Fischarten in den Ozeanen zur Hälfte bis an die Grenze genutzt sind. 19 Prozent gelten als überfischt, acht Prozent sind bereits erschöpft.

"Wir sind mittendrin in einer globalen Nahrungsmittelkrise", meint Olivier De Schutter, der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Als eine Ursache der Krise sieht er auch die Verarbeitung von Getreide zu Kraftstoff. 160 Millionen Tonnen Getreide sind nach seinen Angaben im letzten Jahr zu Biokraftstoff verarbeitet worden, während gleichzeitig ein Teil der Menschheit in extremer Armut lebt und Hunger leidet.


BIO-EINKAUF

Wert der gekauften Biolebensmittel pro Person im Jahr

  80 € Deutschland
127 € Luxemburg
142 € Dänemark
153 € Schweiz


Bessere Alternative

Gentechnik ist auch keine Lösung. Sie verspricht zwar mehr Ertrag und weniger Pestizideinsatz. Doch die Versprechen erfüllen sich nicht, wie der Journalist Richard Rickelmann in seinem neuen Buch "Tödliche Ernte" eindrucksvoll belegt. Eine bessere Alternative ist die biologische Landwirtschaft. Sie hat in weltweitem Maßstab noch viel Potenzial, ist aus ökologischen Gründen für Böden, Gewässer und Tiere empfehlenswert und erfüllt das, was viele Verbraucher von Lebensmitteln erwarten.

Es geht bei der Ernährung ja tatsächlich um mehr als nur um Kalorien. Die liefern auch Hamburger, Pommes und Zucker. Es geht vielmehr um die Qualität von Lebensmitteln. Die altindische Lehre des Ayurveda empfiehlt schon seit tausend Jahren, dass richtige Ernährung der Weg zu einem langen und glücklichen Leben ist. Für die heutige Zeit lassen sich einige grundlegende Empfehlungen ableiten.

Ein erster Ratschlag: Das Essen wieder mehr schätzen lernen! Wer gutes Essen genießt, macht automatisch den ersten Schritt zu einem bewussten und gesunden Lebensstil. Gute Lebensmittel auswählen, Essen selbst zubereiten, sich Zeit nehmen, das "Bauchgefühl" wahrnehmen, Wohlbefinden genießen können. Das ist keine neue Erkenntnis, aber sie kann wiederentdeckt werden, wenn sie in den alltäglichen Gewohnheiten untergegangen ist. Auf jeden Fall ist es ein richtiger Schritt zu einem Lebensstil, der mehr Einklang mit der Natur und mehr Gesundheit verspricht.

Ein zweiter Ratschlag: Bio ist besser. Wer beim Demeter-Bauern, im Hofladen, auf dem Wochenmarkt und auch im Supermarkt die Produkte mit einem Bio-Gütesiegel kauft, unterstützt eine nachhaltigere Landwirtschaft. Noch ist der Anteil gering, aber ohne Zweifel ist Bio besser für Mensch, Tier und Umwelt. "Überall auf der Welt wächst die Einsicht, dass die biologische Landwirtschaft die bessere ist - nicht nur, weil sie mit der Natur schonender umgeht, sondern weil sie auch wirtschaftlich sinnvoller ist", resümiert der Buchautor Hans-Ulrich Grimm. Nachhaltige Landwirtschaft ist eindeutig die vernünftigere Alternative angesichts der absurden Situation, dass wir unter dem Übermaß an Kalorien ächzen und gleichzeitig eine Milliarde Menschen auf der Welt nicht genug zu essen haben.


BIO-ANTEIL

Anteil der Bioproduktion in der deutschen Landwirtschaft

8,0 % der Eier
3,1 % des Getreides
2,0 % der Milch
0,6 % des Schweinefleischs


Das Elend der Tiere

Und eine dritte Empfehlung, die sowohl gesund wie auch ökologisch ist: Nur halb so viel Fleisch essen, Gemüse und Obst verdoppeln und dabei die Lebensmittel aus der näheren Umgebung bevorzugen. Das würde die Umwelt deutlich entlasten. Die Kohlendioxid-Bilanz für Obst und Gemüse ist zehn Mal besser als für Fleisch. Für jedes Kilo Steak müssen zehn Kilo Getreide verfüttert werden. Der Schnitzelkonsum hat außerdem eine hässliche Kehrseite, die Massentierhaltung mit elenden Lebensbedingungen. 99 von hundert Mastschweinen in Deutschland verbringen ihr gesamtes Leben eingesperrt im Stall, oft auf Metallgittern oder Betonspalten. Oder das Federvieh: Hähnchen werden in fünf Wochen bis zur Schlachtreife gemästet - obwohl ihre natürliche Lebenserwartung fünf bis sechs Jahre betragen würde.


Gesundheitsrisiko Fleisch

Viel Fleisch zu essen gilt auch hierzulande zuweilen noch als Zeichen des Wohlstands. Dabei ist es eher ein Gesundheitsrisiko. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt mehr Obst und Gemüse, um sich vor den Volkskrankheiten zu schützen, die Übergewichtigen immer häufiger zu schaffen machen. Das Risiko von Herz-Kreislauf-Attacken, Rückenschmerzen und Stoffwechselkrankheiten würde durch gesunde Ernährung sinken. Die Münsteraner Ernährungsexpertin Prof. Ursel Wahrburg hat es auf die kurze Formel gebracht: "1. Esst weniger. 2. Bewegt euch mehr. 3. Esst reichlich Obst und Gemüse."

Die meisten Frauen - wen wundert es - sind den Männern voraus. Sie ernähren sich ausgewogener, rauchen seltener und trinken sehr viel weniger Alkohol als Männer, hat eine deutschlandweite Gesundheitsstudie der Sporthochschule Köln festgestellt. 75 Prozent der Frauen essen täglich Obst und Gemüse, bei den Männern nur 57 Prozent. Doppelt so viele Frauen wie Männer leben vegetarisch. Auch bei dem vernünftigen Ernährungsratschlag, nicht öfter als zwei Mal pro Woche Fleisch zu essen, zeigt sich der Unterschied der Geschlechter: 37 Prozent der Frauen, aber nur 27 Prozent der Männer befolgen diesen Rat.

Die Schriftstellerin Karin Duve probierte zehn Monate lang verschiedene Ernährungsweisen aus. Am Ende fasst sie den Vorsatz, mit faulen Kompromissen aufzuhören: "Dass Tiere durch zutiefst grausame Haltungsbedingungen gequält und auf barbarische Weise getötet werden, damit ich schön billig Fleisch und Wurst essen kann, ist nicht hinnehmbar. Irgendwo muss Schluss sein."


Empfehlenswerte Informationen

• Richard Rickelmann: Tödliche Ernte. Wie uns das Agrar- und Lebensmittelkartell vergiftet. Berlin 2012, 18,- EUR

• Hans-Ulrich Grimm: Vom Verzehr wird abgeraten. München 2012, 18,- EUR

• GEO kompakt: Gesunde Ernährung. Wie Forscher die Geheimnisse unseres Essverhaltens enträtseln. Hamburg 2012, 8,50 EUR

• Karen Duve: Anständig Essen: Ein Selbstversuch. München 2012, 9,99 EUR


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- So verschieden sind die Wege vom Acker zum Teller: Überfluss im Supermarkt (links), reiner Genusss in der Küche, industrielle Konservenherstellung (rechts).

- Eine Frage der Haltung: Hühner brauchen ausreichend Auslauf.

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Quelle:
Securvital 4/2012 - Oktober-Dezember, Seite 6 - 10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2012