Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → ERNÄHRUNG

BERICHT/186: Konsequente Agrarwende statt halbherziger Reformen (tierrechte)


tierrechte 1.14 - Nr. 66, März 2014
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Konsequente Agrarwende statt halbherziger Reformen

Von Christina Ledermann



Das Thema Landwirtschaft scheint die Nation zu spalten. Während der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) leugnet, dass es Massentierhaltung gibt, gehen in Berlin Tausende für eine Agrarwende auf die Straße. Und während der Koalitionsvertrag keine Wende in der Landwirtschaft anstrebt, gehen die grünen Landwirtschaftsminister in die Offensive und schaffen Tatsachen. Für den Bundesverband steht fest: nur eine radikale Agrarwende kann die massiven Probleme lösen, Politik und Gesellschaft dürfen die Zeichen der Zeit nicht weiter ignorieren.


Im Januar war es wieder soweit

Im medialen Umfeld der Ernährungsmesse 'Grüne Woche' in Berlin stand das Thema Landwirtschaft ganz oben auf der Agenda. Vor dem Hintergrund neuer Skandale - wie Enthüllungen von grausamen Ferkeltötungen, Bildern von leidenden Puten beim größten deutschen Putenzüchter, dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, das die Angst vor 'Chlorhühnchen', 'Hormonfleisch' und Gentechnik auf dem Teller schürt oder dem gefährlich hohen Antibiotika-Einsatz in der Tiermast, der eine neue Generation von Bakterien heranwachsen lässt, gegen die sogar die gut gehüteten Reserve-Antibiotika machtlos sind - war die Messe auch Schauplatz erregter Debatten, die die Lobbyisten der konventionellen Landwirtschaft immer mehr in die Defensive treibt.


DBV ignoriert Zeichen der Zeit

Wie groß der Druck auf die Landwirtschaftslobby ist, zeigte sich in den Reaktionen. Etwa als Joachim Rukwied, der Präsident des DBV auf der 'Grünen Woche' zum verbalen Gegenangriff blies und behauptete, es gebe keine Massentierhaltung. Den Kritikern der traditionellen Agrarpolitik hielt er entgegen, dass sie Demagogen seien, 'die die Öffentlichkeit mit gezielten Desinformationen in die Irre' führten, um Gülle über die Bauern auszuschütten. Abgesehen davon, dass Rukwieds Behauptungen angesichts Millionen geplanter neuer Schweine- und Geflügelmastplätze blanker Unsinn sind, spricht er mittlerweile mit seiner Politik, die einseitig auf Großbetriebe, industrielle Tierhaltung und Export setzt, längst nicht mehr für alle Landwirte. Sogar einige Politiker von CDU und CSU, die dem Bauernverband bisher treu folgten, sehen solche Behauptungen mittlerweile kritisch. Denn auch diese können die Zeichen der Zeit nicht mehr ignorieren.


Großdemo setzt Zeichen für eine Agrarwende

So sendete die mittlerweile vierte Großdemo 'Wir haben Agrarindustrie satt' mit geschätzten 30.000 Teilnehmern am 18. Januar in Berlin wieder ein deutliches Signal an Politik und Gesellschaft, dass sich hier eine breite Bewegung formiert hat, die eine Agrarwende für unumgänglich hält. Dass der vor Kurzem zurückgetretene Bundeslandwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CDU) es beim Global Forum for Food and Agrculture (GFFA) als 'gutes Zeichen' wertete, dass sich viele Menschen Gedanken über grundlegende Fragen der Ernährung machten, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Große Koalition keine Wende in der Landwirtschaft anstrebt. Der agrarpolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, Wilhelm Priesmeier, sprach sich in der Agrardebatte des Bundestages jüngst sogar gegen eine staatliche Reglementierung der landwirtschaftlichen Tierhaltung aus. Stattdessen kündigte er die Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens für den Bereich Tiergesundheit und Tierarzneimittel an. Hier bleibt er ähnlich unkonkret wie der Koalitionsvertrag, in dem eine 'nationale Tierwohl-Offensive' angekündigt wird. Auch werden Prüf- und Zulassungsverfahren für Tierhaltungssysteme angekündigt, deren Ziel es sei, EU-weit einheitliche und höhere Tierschutzstandards durchzusetzen.


Grüne Agrarminister auf Länderebene gehen voran

Doch auch, wenn Fortschritte auf Bundesebene derzeit nicht zu erwarten sind, kann dies die Initiativen der mittlerweile sechs grünen Agrarminister auf Länderebene nicht mehr aufhalten. Insbesondere Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gehen hier mit gutem Beispiel voran. Nachdem der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer kurz nach seinem Amtsantritt 2013 den sogenannten Filtererlass herausgegeben hatte, der die Vorgaben für die Emissionen von Mastställen verschärfte, will er in den kommenden Jahren 28 Millionen Euro an EU-Geldern für den Tierschutz zur Verfügung stellen. Von 2015 bis 2020 sollen damit Betriebe gefördert werden, die auf Schnäbelkürzen bei Legehennen und Schwanzkürzen bei Schweinen verzichten und in eine bessere Tierhaltung investieren.

Sein nordrhein-westfälischer Kollege Johannes Remmel ist ebenfalls sehr aktiv. Neben der Einführung der Tierschutz-Verbandsklage, dem Verbot der Tötung von männlichen Eintagsküken und der Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes in der industriellen Tierhaltung hat der Grüne nun dem Einsatz von Hormonen den Kampf angesagt. Zusammen mit den Bundesländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Rheinland Pfalz und Baden-Württemberg forderte Nordrhein-Westfalen im Januar den (Ex-)Bundeslandwirtschaftsminister auf, eine Strategie zur Reduktion des Einsatzes von Hormonen in der sogenannten Nutztierhaltung aufzuzeigen. Meyer und Remmel forderten zudem eine Novellierung der Düngeverordnung, um der hohen Nitratbelastung des Grundwassers durch die Gülle aus Tierhaltungsanlagen entgegenzuwirken.


Handel und Industrie starten 'Tierwohl'-Initiative

Dass die Kritik an den Haltungsbedingungen bei Land- und Fleischwirtschaft sowie dem Lebensmitteleinzelhandel angekommen ist, zeigt auch die Initiative 'Tierwohl', mit der die Branche vorgibt, den Tierschutz voranbringen zu wollen. Dabei sollen zukünftig Erzeugnisse von Schweinehaltern sowie von Hühner- und Putenmästern, deren Haltungsbedingungen über das gesetzliche Maß hinausgehen - beispielsweise mit geringeren Besatzdichten - zertifiziert und gekennzeichnet werden. Der Lebensmitteleinzelhandel verpflichtet sich, den Landwirten für den entstehenden Mehraufwand einen Kostenausgleich zu zahlen. Damit hoffen Handel und Produzenten einerseits, weiteren Reglementierungen von Seiten des Staates zuvorzukommen. Andererseits soll so das Vertrauen der durch Tierschutzskandale verschreckten Konsumenten zurückgewonnen werden. Doch dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier grundsätzlich um tierquälerische Intensivtierhaltungen handelt und dass bessere Haltungs- und Schlachtbedingungen dazu führen können, dem Konsumenten gute Argumente für den Fleischverzehr zu liefern - denn dies ist letztlich das Hauptinteresse von Produzenten und Handel.


Bundesverband fordert neue Ernährungskonzepte

Für den Bundesverband steht außer Zweifel, dass nur neue Ernährungskonzepte und eine radikale Agrarwende die massiven nationalen und globalen Probleme der Landwirtschaft lösen können, denn die meisten Missstände sind systembedingt und lassen sich mit Verbesserungen nicht aus der Welt schaffen. Dazu verfolgt der Bundesverband das Ziel einer tierlosen Landwirtschaft. Im Rahmen dieses Prozesses fordern wir, Anreize durch Fördermaßnahmen zu schaffen, um den Anteil einer boden- und umweltverträglichen Pflanzenproduktion drastisch zu erhöhen. Doch der Bundesverband sieht hier nicht nur die Politik in der Pflicht. Er ruft auch die Verbraucher auf, ihren Einfluss zu nutzen und sich ethisch und ökologisch verträglich zu ernähren, indem sie auf den Konsum von Produkten vom Tier verzichten.


Rezeptportal des Bundesverbandes für eine tierleidlose Küche:
www.culinaria-vegan.de

*

Quelle:
tierrechte 1.14 - Nr. 66/März 2014, S. 16-17
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2014