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BERICHT/198: Gemeinschaftstragender Hof als lebenspraktischer Lernort (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 381 - Oktober 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Gemeinschaftsgetragener Hof als lebenspraktischer Lernort

Vielfältige landwirtschaftliche Betriebe und soziales Miteinander als Bildungschance



Jüngst war es wieder zu hören: "Mehr und vor allem reale Landwirtschaft in den Schulen!". Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid im Auftrag des Vereins i.m.a (information.medien.agrar) hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der Befragten findet, die Landwirtschaft werde im Schulunterricht zu wenig thematisiert. Mehr als 80 Prozent sehen das praxisorientierte Lernen mit Betriebsbesuchen als eine sinnvolle Möglichkeit an, ein wirklichkeitsgetreues Bild der Landwirtschaft zu vermitteln; die schulische Realitätsnähe wird zurzeit von 59 Prozent bezweifelt. Tobias Hartkemeyer vom CSA-Hof Pente schwebt eine noch umfassendere Veränderung zum Thema Bildung vor: Ihm und Mitstreitern in der Arbeitsgemeinschaft Handlungspädagogik geht es statt um reine Wissensvermittlung vor allem um die Persönlichkeitsentwicklung in natürlichen Lebenszusammenhängen, bei der die Heranwachsenden Verantwortung und Selbstorganisation lernen. Bekannt ist: Lernen funktioniert am besten durch eigenes Tun und Beteiligt-sein. Das Schulsystem ist demgegenüber eine eher künstliche Einrichtung mit Erwachsenen, deren einzige Aufgabe es ist, Wissen zu vermitteln. Die Vision eines veränderten Lernens besteht darin, Kinder bei der wirtschaftlichen Tätigkeit der Menschen zu integrieren und ihnen im Rahmen dessen ein altersgemäßes, erzieherisches Umfeld zu bieten. Für Hartkemeyer stellt insbesondere die Verbindung mit der Landwirtschaft als zentrale, existenzielle Tätigkeit einen idealen Rahmen dar.

Neue Wege

Vor vier Jahren hat Familie Hartkemeyer zusammen mit MitarbeiterInnen und Menschen aus dem lokalen Umfeld auf dem Hof Pente eine Solidarische Landwirtschaft aufgebaut. Der Betrieb, der eine große Vielfalt und ein soziales Miteinander ökonomisch tragfähig miteinander kombiniert, bietet für Hartkemeyers die Möglichkeit, neue Wege für das Aufwachsen und Lernen von Kindern umzusetzen. Fester Bestandteil des Hoflebens ist seit längerem eine Kindergartengruppe mit zwölf Plätzen. Nun wird diesen Herbst im Rahmen eines geförderten Projektes eine dritte Klasse der örtlichen Waldorfschule einen Monat lang auf dem Hof verbringen. Landbau würde sowieso auf dem Lehrplan stehen, dieses Mal in erweiterter Form. Der Klasse steht eine große, wetterfeste Jurte als eigener Raum sowie ein Stück Acker zur Verfügung. Wichtiger Bestandteil wird aber auch die Beteiligung an Hofarbeiten in kleinen Gruppen von vier oder fünf Kindern sein. Jeweils zusammen mit mindestens einem Erwachsenen steht u.a. Obstbaumpflege, Gemüseernte und Tierbetreuung auf dem Programm. Wichtig dabei sei das spielerische Erleben, meint Tobias Hartkemeyer und fügt hinzu: "Und dann brauchen sie auch ihren eigenen Raum, um sich zu sammeln, damit sie nicht völlig zerfleddern mit den ganzen Eindrücken". Auf die Mischung aus Spiel, Teilnahme an der für den Betrieb wichtigen Arbeit und künstlerischen Elementen soll es ankommen. Der Projektinhalt besteht dabei in einer genauen Dokumentation und Auswertung sowie dem Weitertragen von Ergebnissen und Erfahrungen. Für den letzten Punkt ist das niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung wichtiger Projektpartner, da dort in der Folge Seminare für ErzieherInnen, LehrerInnen und interessierte LandwirtInnen stattfinden sollen. Klar dürfte sein, dass die nötige intensive Betreuung eine Herausforderung darstellt und nur mit einem großen, eng verbundenen sozialen Umfeld geleistet werden kann.

Handlungspädagogische Provinz

Seine Leitidee beschreibt Tobias Hartkemeyer so: "Das soll kein Schulbauernhof werden, auf dem Landwirtschaft nur gespielt wird, sondern ein lebendiger, wirtschaftender Betrieb auf dem sie als existentielle Grundlage erfahrbar wird". Er nennt den Hof als Lernort nach einer Idee von Goethe "Handlungspädagogische Provinz". Anregungen stammen aus bisherigen Erfahrungen von Schulbauernhöfen, Waldkindergarten und Waldorfschulen. Der Verein i.m.a zieht aus der oben erwähnten Studie die Handlungsanweisung, die derzeitig gängige Praxis genauer abzubilden und dadurch Akzeptanz zu erreichen. Eine andere Möglichkeit, Verständnis zu erreichen, besteht darin, eine Landwirtschaft zu gestalten, die über Vielfalt und Freiräume verfügt, damit andere Menschen teilnehmen und landwirtschaftliche und ökonomische Zusammenhänge und Entwicklungen verstehen können - um dann gemeinsam zu überlegen "Was wollen wir eigentlich?". Zumindest für den Bereich der Erwachsenenbildung bieten CSA-Höfe von vornherein solche Ansätze durch das Transparentmachen und das Erleben von Hoftätigkeiten für ihre Mitglieder. So zeichnet Stephanie Wild vom Netzwerk Solidarische Landwirtschaft ein starkes Bild; wenn sie ihren Eindruck von Netzwerktreffen beschreibt: "Die Landwirte sind die Ärzte von heute" - sozusagen Götter in Gummistiefeln statt in Weiß. Das sind die Menschen, die die Erfahrung und das Wissen haben, um einen Hof zu bewirtschaften und andere mit Nahrungsmitteln zu versorgen.   cw



Buchtipp:

"Das pflügende Klassenzimmer - Handlungspädagogik und gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft", herausgegeben von Hartkemeyer, Guttenhöfer und Schutze, im Oktober erschienen im Oekom Verlag.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 381 - Oktober 2014, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2014