tierrechte 4.14 - Nr. 69, Dezember 2014
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V
KEINE UTOPIE: DIE BIO-VEGANE LANDWIRTSCHAFT
"Es ist höchste Zeit, gesunde Lebensmittel ohne Tierhaltung zu
erzeugen!"
Die Fragen stellte Christina Ledermann
Anja Bonzheim hat Ökolandbau und Vermarktung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (FH) studiert. In ihrer Abschlussarbeit beschäftigte sie sich schwerpunktmäßig mit dem Thema bio-vegane Landwirtschaft in Deutschland. tierrechte sprach mit ihr.
tierrechte: Frau Bonzheim, wie kamen Sie darauf, Ihre
Abschlussarbeit über das Thema bio-vegane Landwirtschaft
zu schreiben?
Anja Bonzheim: In meinem Bachelor-Studium "Ökolandbau und Vermarktung" stellte ich fest, dass es auf die katastrophalen Zustände in der konventionellen Landwirtschaft zwei alternative Antworten gibt: die vegane Bewegung auf der einen und die biologische Landwirtschaft mit "artgerechter" Nutzung von Tieren auf der anderen Seite. Während des Studiums musste ich feststellen, dass ich auch diese Form der Nutzung von Tieren nicht gutheißen kann. Die bio-vegane Landwirtschaft interessierte mich, weil sie versucht, die biologische Bewirtschaftung mit den ethischen und ökologischen Argumenten vegan lebender Menschen zu verbinden. Daher wollte ich - neben meinem persönlichen Interesse - gerne einen kleinen Teil dazu beitragen, den Menschen diese Form der Landwirtschaft näher zu bringen.
tierrechte: Was motiviert die von Ihnen befragten
Landwirte, ihr Land bio-vegan zu bewirtschaften?
Anja Bonzheim: Die Landwirte[*] handeln alle aus einem
gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein heraus.
Kritisiert werden sowohl der Umgang mit den Tieren durch den
Menschen, als auch die Verwendung von tierischem Handelsdünger
aus großen Schlachthöfen. Der Wunsch, sich von der
Tierhaltung aus moralischen Gründen zu entkoppeln, spielt also
eine grundlegende Rolle.
Sehr am Herzen liegt allen befragten Landwirten auch der
Klima- und Umweltschutz sowie die Verringerung des
Ressourcenverbrauchs weltweit.
tierrechte: Wie verbreitet ist diese Anbaumethode in und
außerhalb Deutschlands?
Anja Bonzheim: Momentan steckt die bio-vegane Landwirtschaft noch in den Kinderschuhen. Im deutschsprachigen Raum wirtschaften etwa zehn Betriebe bio-vegan, dazu kommen mehrere CSA-Projekte und Hofgemeinschaften, die sich in der Gründungs- oder Umstellungsphase zu bio-veganer Bewirtschaftung befinden. (Anm. der Redaktion: Community Supported Agriculture (CSA) sind gemeinschaftsbasierte Landwirtschafts-Projekte). Da es keine empirische quantitative Studie gibt, kann die Anzahl der Betriebe bisher nur geschätzt werden. Noch fehlen im deutschen Sprachraum ein Anbauverband und einheitliche Anbauregeln für die bio-vegane Produktion.
tierrechte: Gibt es Vorbilder aus anderen Ländern, wie
die bio-vegane Landwirtschaft gefördert werden könnte?
Anja Bonzheim: Seit 1996 existiert in England das Vegan Organic Network (VON), eine gemeinnützige Organisation, die sich mitunter zum Ziel gesetzt hat, über die bio-vegane Anbauweise zu informieren und zu forschen. Diese verabschiedete im Jahre 2004 die "Stockfree-Organic-Standards", dies sind Anbaurichtlinien für bio-vegan wirtschaftende Betriebe. Bei Einhaltung besteht die Möglichkeit der Zertifizierung mit dem "Stockfree-Organic"-Label. Auch in Nordamerika existieren vergleichbare Richtlinien und das "Certified Veganic"-Label, sowie ein amerikanisches Netzwerk, das sich Veganic Agriculture Network nennt.
tierrechte: Mit welchen Problemen und Herausforderungen
sind bio-vegan wirtschaftende Höfe konfrontiert?
Anja Bonzheim: Die Herausforderungen liegen für die Landwirte vor allem im Bereich der Stickstoffversorgung. Wenn der Umweg über das Tier wegfällt und der Dung nicht als Stickstoffquelle zur Verfügung steht, muss die Stickstoffversorgung durch eine effiziente Fruchtfolgegestaltung mit ausreichend N-bindenden Leguminosen sichergestellt werden. Dadurch, dass bio-vegane Betriebe aber keine Tiere halten, brauchen sie eine andere Verwendungsmöglichkeit für den Futterleguminosenaufwuchs, da fehlt es bisher an angepassten Lösungen, diesen sinnvoll zu verwerten. Pflanzliche Handelsdünger sind zudem teurer als die Abfälle aus den Schlachthöfen. Dies führt dazu, dass die bio-vegane Bewirtschaftung aktuell noch ökonomische Nachteile für die Erzeuger mit sich bringt.
tierrechte: Halten Sie es für möglich, eine Entkopplung
des bio-veganen Anbaus von der sogenannten Nutztierhaltung zu
erreichen?
Anja Bonzheim: Eine völlige Entkopplung ist sehr schwierig, solange die Nutztierhaltung gang und gäbe ist. Schließlich essen wir bisher alle Lebensmittel, die in den allermeisten Fällen nicht bio-vegan produziert wurden. Für mich ist klar: Nur wenn entsprechende Strukturen aufgebaut werden, welche den Mehrwert dieser Art der Landwirtschaft würdigen, können sich die Landwirte dauerhaft unabhängig machen. Dies könnte beispielsweise durch CSA erfolgen, die den Erzeugern eine gesicherte Abnahme und Zahlungsgarantie sowie den Abnehmern Qualität aus der Region und Transparenz gewährleistet. Die Besonderheit dieses Anbausystems muss mehr in den Vordergrund gerückt werden, sei es auf Grundlage von CSA oder eben durch politische Unterstützung und Verbandsstrukturen.
tierrechte: Welche Form der Unterstützung bräuchten die
biovegan wirtschaftenden Landwirte von der Politik, den entsprechenden
Verbänden, der Wissenschaft und den Verbrauchern?
Anja Bonzheim: Politisch gesehen stellt sich für mich die
starke Subventionierung der tierischen Produktion das größte Manko
dar. Billige tierische Handelsdünger drücken die Preise. Das dürfte
nicht so sein: Bio-vegane Landwirtschaft ist nachhaltig und ökologisch
sehr sinnvoll, staatliche Subventionierung müsste nach solchen
Kriterien aufgebaut sein. Zielführend wären zudem gezielte
Förderprogramme.
Auf Verbandsebene wäre eine Öffnung gegenüber dem Ökolandbau ohne
Nutztiere sinnvoll. Auch die Gründung eines eigenen Anbauverbandes mit
speziellen Richtlinien, Kontrollen und die Zertifizierung durch ein
eigenes Label wären erstrebenswert.
Von Seiten der Wissenschaft bräuchte es meiner Ansicht nach noch sehr
viel Forschung, z. B. quantitative Bestandsaufnahmen bestehender
Betriebe oder Langzeit-Studien zur N-Versorgung ohne tierischen
Dünger. Um die bio-veganen Betriebe ökonomisch sicher aufzustellen,
ist die Aufklärung der Verbraucher essentiell. Viele vegan lebende
Menschen wissen nicht, dass fast immer tierische Düngemittel für ihr
veganes Essen eingesetzt werden. Erst wenn hier eine Sensibilisierung
stattgefunden hat, können Verbraucherbedürfnisse kommuniziert werden
und mit der Vermarktung gekennzeichneter biologisch-veganer Produkte
Hand in Hand gehen.
tierrechte: Was müssten die Landwirte selbst leisten?
Anja Bonzheim: Die Vernetzung ist entscheidend. Landwirte könnten ihre Kräfte bündeln, indem sie z.B. mit dem biologisch-veganen Netzwerk zusammenarbeiten und langfristige Strategien zur Etablierung auf dem Markt entwickeln. Doch zunächst heißt es lokal wirken, über die ethischen und ökologischen Motive aufklären und den Mehrwert der Produkte nach außen kommunizieren. Je mehr Betriebe so wirtschaften und mit der Thematik auch an Anbauverbände und die Politik herantreten, umso besser ist die Wirkung nach außen und umso mehr wächst der Bekanntheitsgrad.
tierrechte: Welche Perspektiven sehen Sie für diese Form
der Landbewirtschaftung?
Anja Bonzheim: In Anbetracht der steigenden Nachfrage ist davon auszugehen, dass sich hierzulande weitere Betriebe auf diese Schiene begeben, zumal fast 25 Prozent der Biobetriebe bereits ohne Nutztiere wirtschaften, bisher aber noch tierische Düngemittel verwenden. Es wäre ihnen also ein Leichtes, bei entsprechendem ökonomischem Anreiz auf "biologisch-vegan" umzustellen. Auch in Fragen der Ökologie und des Klimawandels gibt es Potenziale, da diese Form des Landbaus sehr ressourcenschonend und ökologisch ist. Weite Fruchtfolgen und eine große Anbauvielfalt sind gut für den Boden und damit gut für die Lebensmittel, die erzeugt werden. Die bio-vegane Landwirtschaft ist ganzheitlich, glaubwürdig und nachhaltig.
tierrechte: Halten Sie die bio-vegane Landwirtschaft
unter optimalen Bedingungen für geeignet, eine Lösung auf die globalen
Herausforderungen wie Bevölkerungsexplosion, Treibhauseffekt,
Wasserverbrauch, etc. zu bieten?
Anja Bonzheim: Selbstverständlich. Bei bio-veganer Bewirtschaftung können unglaublich viele Ressourcen und Energie eingespart werden, viel weniger Land ist nötig, um mehr Menschen ernähren zu können. Dass die Treibhausemissionen aus der Tierhaltung diejenigen sind, die mit 18 Prozent den größten Beitrag zum Klimawandel leisten, dürfte mittlerweile auch bekannt sein. Aber Vorsicht: Natürlich gibt es Regionen, welche völlig ungeeignet für den Pflanzenbau sind. Keiner spricht davon, in der Wüste Gemüse anzubauen. Mir stellt sich eher die Frage: Wo könnten wir ohne Probleme bio-vegan produzieren? In weiten Teilen der "westlichen Welt" wäre es möglich, kleinstrukturiert und vielfältig ohne die Tierhaltung gesunde Lebensmittel herzustellen. Warum also nicht unseren Teil zur Lösung immer größer werdender globaler Probleme leisten? Es ist höchste Zeit. Alle (Nutz-)Tiere werden dem still zustimmen.
[*]Anja Bonzheim nutzt normalerweise eine gendergerechte Schreibweise mittels "gender-gap". Aus Platzgründen wird in diesem Interview jedoch die herkömmliche Schreibweise verwendet.
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Quelle:
tierrechte 4.14 - Nr. 69/Dezember 2014, S. 8-9
Infodienst der Menschen für tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
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Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2015
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