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GENTECHNIK/575: Keine Gentechnik durch die Hintertür (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2019

Keine Gentechnik durch die Hintertür
Bäuerliche Argumente gegen die alte und neue Gentechnik

von Annemarie Volling


Bäuerinnen und Bauern haben in der Auseinandersetzung um die Gentechnik viel gelernt: Es lohnt sich, den vollmundigen Versprechen der Gentechnik-Industrie nicht auf den Leim zu gehen, sondern kritisch zu hinterfragen, was die sogenannten "Innovationen" tatsächlich bringen und wer davon profitiert. Gleichzeitig ist es ein großer Erfolg der Zivilgesellschaft und der kritischen Bäuerinnen und Bauern, mit einem vielfältigen und ideenreichen Widerstand auf ganz vielen Ebenen den Anbau von Gentechnik-Pflanzen in Europa verhindert zu haben - und ein großer Wettbewerbsvorteil für Europäische ZüchterInnen, Bäuerinnen und Bauern, Lebensmittelhersteller und dem Handel, das erzeugen und anbieten zu können, was ein Großteil der VerbraucherInnen will: Keine Gentechnik auf dem Acker und auf dem Teller!


Bei den alten Gentechnik-Pflanzen, die ab Mitte der 1990er Jahre zugelassen wurden, konnten erstmals Gen-Abschnitte in Organismen eingebracht werden. Entweder über Artgrenzen hinweg (transgen) oder innerhalb der Artgrenzen (cisgen). Die gewünschten DNA-Abschnitte werden isoliert, und mit anderen Genabschnitten (aus anderen Organismen) zu einer "Gen-Kassette" kombiniert. Dann wird versucht, diese Kassette in den Zellkern der Zelle einzubringen. Vor allem mit 2 Methoden, entweder mit Hilfe des Agrobakteriums tumefaciens, das als "Gen-Taxi" genutzt wird, oder mit Hilfe der "Particle Gun" (Schrotschussverfahren). Der Einbau funktioniert nach dem Zufallsprinzip. Einbauort und Anzahl der Kopien der "Gen-Kassette" sind zufällig und nicht steuerbar. Der Einbauort ist aber entscheidend für die Wirkung und Funktion eines Gens. Ein Großteil der Transformationen ist nicht lebensfähig. Zudem gibt es oft unerwartete Effekte wie veränderte Inhaltsstoffe, höhere Toxingehalte oder Auswirkungen auf Nichtzielorganismen (sowohl auf die gleichen Arten, aber auch Bodenorganismen, aquatische Ökosysteme etc.).

Vorsorgeprinzip

Als die alten gentechnisch veränderten (GV) Pflanzen in den USA auf den Markt kamen und auch in die Europäische Union (EU) drängten, hat sich Europa für eine vorsorgende Regulierung der Gentechnik entschieden, die die möglichen Risiken der Technologie und der daraus resultierenden Produkte identifizieren und bewerten soll und entsprechende Richtlinien verabschiedet. Diese schreiben Risikoanalyse und Bewertung sowie ein Zulassungsverfahren vor einem möglichen Anbau oder Importen vor, Rückverfolgbarkeit (inklusive Lieferung eines Nachweisverfahrens, Referenz- und Kontrollmaterial durch die Hersteller), Kennzeichnung und Monitoring. Für nicht zugelassene gentechnisch veränderte Organismen gilt Nulltoleranz.

Alte Gentechnik - keine Revolution auf dem Acker

Die Versprechen bei der Einführung der alten Gentechnik waren groß: Den Hunger besiegen, steigende Erträge, weniger Pestizideinsatz etc. Es lohnt sich, sie kritisch zu hinterfragen. Zur Hungerproblematik - spätestens seit dem Weltagrarbericht 2008 - ist klar: Hunger ist vor allem ein Verteilungs- und Verfügbarkeitsproblem. 70 bis 80 Prozent der Hungernden leben auf dem Land. Sie brauchen Zugang zu Land, Wasser, Bildung, landwirtschaftliches Wissen und zu regional angepasstem, nachbaufähigem und patentfreiem Saatgut.

Steigende Erträge? Bislang sind keine GV-Pflanzen auf dem Markt, die auf höhere Erträge hin verändert wurden. Das Problem ist, dass das Zusammenspiel der Gene, die für die Ertragsbildung zuständig sind, sehr kompliziert ist. Eine internationale Studie der Union of Concerned Scientists(1) auf Datenbasis des US-Landwirtschaftsministeriums hat gezeigt: Bei dem gentechnisch veränderten "Bt-Mais" kann es zu einem erhöhten Ertrag kommen (0,2 bis 0,3 Prozent). Bei Glyphosat-resistenten Pflanzen ist der Ertrag 5 bis 10 Prozent niedriger. Ertragssteigerungen lassen sich aber sehr wohl mit konventioneller Züchtung erreichen.

Bittere Folgen für die Landwirtschaft

Langzeitstudien von Charles Benbrook zeigen, dass es in den ersten Jahren zu einem Rückgang des Glyphosat-Einsatzes kommt (um wenige Prozente), danach steigt der Verbrauch aber weit über das Ausgangsniveau hinaus.(2) Ursache sind die zunehmenden Resistenzbildungen bei Ackerunkräutern, ein normales Phänomen, wenn man nur auf einen Wirkstoff setzt. Mittlerweile gibt es 43 Glyphosat-Unkrautresistenzen bei verschiedenen Arten weltweit.(3) Bedingt auch durch den Einsatz der Gentechnik ist das Unkrautproblem in den USA derzeit eines der größten Probleme für die FarmerInnen. Die Kosten der Unkrautkontrolle sind um das 3 bis 4-fache gestiegen. Die Lösung der Gentechnik-Konzerne: Sie entwickeln GV-Pflanzen, die gegen mehrere Herbizide und mehrere Insekten resistent sind ("stackedevents"), bspw. Dicamba. Dicamba ist vor allem deshalb problematisch, weil es sehr leicht flüchtig ist und bei bestimmten Wetterlagen über Kilometer vom Wind verdriftet wird. Dort, wo es landet, kommt es zu massiven Ernteausfällen bei allen Pflanzen, die keine Dicama-Resistenz haben. Aktuell klagen US-FarmerInnen gegen Bayer, BASF und DowDuPont. Anstatt den Anbau einzustellen, bot Monsanto - jetzt Bayer - Dicamba-Pflanzen zum Schnäppchenpreis an, um sie am Markt durchzudrücken. Derzeit versucht Bayer neben Soja- und Baumwolle in den USA auch eine Zulassung für Dicamba-resistenten Mais zu erwirken.

Auch bei insektenresistenten GV-Pflanzen entwickeln sich zunehmend Resistenzen und Anpassungen. Entweder können die anvisierten "Schadorganismen" eine höhere Giftdosis vertragen oder aber andere, vorher nicht relevante Organismen können die entstehende ökologische Nische besetzen und entwickeln und die Ernte dezimieren. Auch hier setzt die Industrie weiter auf Gentechnik und entwickelt "stacked events". Die FarmerInnen sind skeptisch, weil sie dann nicht mehr selbst entscheiden können, was sie auf dem Acker anbauen und weil sich die Konzerne jede Eigenschaft teuer bezahlen lassen.

Gentechnikfreiheit ist Wettbewerbsvorteil

In Europa wird gerade mal auf 0,12 Prozent der europäischen Ackerfläche (v. a. in Spanien) eine GV-Pflanze angebaut, der Mais MON 810 (Resistenz gegen Maiszünsler) - seit Jahren mit abnehmender Tendenz. Unter diesen Voraussetzungen können europäische Bäuerinnen und Bauern problemlos gentechnikfrei anbauen. Dies ist ein großer Wettbewerbsvorteil, weil der Handel und ebenso die Abnehmer das verlangen. Auch der asiatische Markt und zunehmend die USA wünscht gentechnikfreie Ware. Würden wir in Europa Gentechnik anbauen, wären die Bäuerinnen und Bauern austauschbare Rohstofflieferanten.

Die in Europa bestehende Kennzeichnungslücke bei Milch, Eiern und Fleisch, die mit GV-Pflanzen erzeugt worden sind, wird in immer mehr Ländern durch eine freiwillige "Ohne Gentechnik"-Auslobung behoben. Trotz jahrelangen Drucks der Futtermittelindustrie stellt der Lebensmittelhandel in Deutschland seine Eigenmarken sukzessive auf ohne Gentechnik hergestellte Futterpflanzen um. Mittlerweile werden in Deutschland 50 Prozent der Milch, 60 Prozent des Geflügelfleisches und 70 Prozent der Schaleneier "ohne Gentechnik" erzeugt. Das ist ein großer Erfolg für die gentechnikfreie Bewegung, v. a. wenn man den Gentechnik-Anbau global zurückdrängen will, denn weiterhin landen ca. 80 Prozent der erzeugten GV-Pflanzen in den Futtertrögen.

Bäuerliche Argumente gegen die neuen Gentechnik-Verfahren

Verfahren wie CRISPR/Cas sind Gentechnik und müssen nach geltendem EU-Gentechnikrecht reguliert werden. Das hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 25. Juli 2018 bestätigt. Einige ForscherInnen und die Gentechnik-Industrie laufen gegen dieses Urteil Sturm. Sie wollen einen Freifahrtschein (keine Risikoprüfung, keine Zulassung, keine Kennzeichnung, keine Wahlfreiheit, keine Rückverfolgbarkeit) und sich ihre erhofften Profite sichern, für die Folgen ihrer Produkte aber keine Verantwortung übernehmen. Patente haben sich die großen Konzerne schon gesichert. Diese verhindern den Zugang zu pflanzengenetischem Material. Insbesondere für kleine und mittelständische ZüchterInnen wird es schwierig, im zunehmenden Patentdschungel züchten zu können. Pflanzengenetische Ressourcen sind aber der Motor für eine vielfältige und klimaanpassungsfähige, regionale Züchtung.

Bevor die neuen Gentechnik-Pflanzen womöglich unwiderruflich auf den Acker und in die Umwelt entlassen werden dürfen, muss erst mal eine umfassende Risikoprüfung und Bewertung stattfinden. Bislang liegen kaum Studien dazu vor - erst recht keine Langzeiterfahrungen. Zu behaupten, die neuen Verfahren seien "sicher", ist wissenschaftlich unseriös und verantwortungslos. Mit den neuen Gentechnik-Verfahren können sehr weitreichende Veränderungen vorgenommen werden, ohne vorhersagen zu können, was das im Organismus und im Ökosystem bewirkt. Nicht zuletzt aufgrund der Geschwindigkeit der technischen Entwicklung braucht es Kontrollmöglichkeiten. Versucht wird, die Errungenschaften der gentechnikfreien Bewegung und den Markt der gentechnikfreien Züchtung, Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung und ihre Rechte unterzupflügen - mit uns nicht!


Autorin Annemarie Volling ist Gentechnik-Expertin bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).

1) https://www.ucsusa.org/sites/default/files/legacy/assets/documents/food_and_agriculture/failure-to-yield.pdf

2) https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-016-0070-0

3) http://weedscience.org/Summary/SOASummary.aspx.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

Neue Gentechnik als vielversprechende "Innovation" zugunsten aller? Bäuerinnen und Bauern sehen das anders.

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Quelle:
Rundbrief 2/2019, Seite 6 - 7
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2019

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