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INTERNATIONAL/048: Osteuropa - Sozialistische Vermächtnisse und unvollendete Bodenreformen (idw)


Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa - 23.07.2012

Sozialistische Vermächtnisse und unvollendete Bodenreformen prägten die Agrarlandnutzung Osteuropas



Halle (Saale), 23. Juli 2012 - Die in den Environmental Research Letters veröffentlichte Forschungsarbeit "Auswirkungen institutioneller Veränderungen auf die Landnutzung: Das Brachfallen landwirtschaftlich genutzter Flächen während des Übergangs von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft im postsowjetischen Osteuropa" stand unter der Leitung von IAMO-Wissenschaftler Dr. Alexander V. Prishchepov und wurde in Zusammenarbeit mit seinen Kollegen am IAMO, der University of Wisconsin-Madison und der Humboldt Universität zu Berlin verfasst.

Projektgegenstand ist die Untersuchung der Effekte von veränderten Rahmenbedingungen nach dem Zusammenbruch des Sozialismus auf Umfang landwirtschaftlicher Flächen in Polen, Weißrussland, Lettland, Litauen und im europäischen Teil Russlands zwischen 1990 und 2000. In jedem dieser Länder gab es einen eigenen Ansatz für institutionelle Reformen während der postsozialistischen Transformation. Sie waren jeweils durch aus der sozialistischen Epoche stammenden Landbesitzrechte und vorhandenen Agrarstrukturen charakterisiert. Die Untersuchung zeigt, wie Aspekten des institutionellen Wandels zu höchst unterschiedlichen Veränderungen von landwirtschaftlich genutzten Flächen bei ähnlichen agrarökologischen Bedingungen führt.

arte: © Prishchepov et al. 2012

Abb. 1. Agrarbrachenraten zwischen 1990 und 2000 per Satellitenerkundung und aufgegliedert nach Kreisgrenzen.
Karte: © Prishchepov et al. 2012

So wurden die höchsten Zuwachsraten an landwirtschaftlichen Brachflächen in solchen Regionen festgestellt, in denen der postsozialistische Reformprozess zwar begonnen hatte, aber nicht bis zum Ende des ersten Transformationsjahrzehntes abgeschlossen war. Die höchsten Raten wurden im Baltikum gefunden (43% aufgegebener Agrarflächen in Lettland und 29% in Litauen seit dem Zusammenbruch der Sozialismus). Im Baltikum wurden Flächen auf frühere Eigentümer rückübertragen, jedoch gab es noch keine funktionierenden Märkte für Grund und Boden. Zudem führten schnelle wirtschaftliche Entwicklungen zu einem Bedeutungsverlust der Landwirtschaft im Vergleich zu anderen volkswirtschaftlichen Sektoren. In Russland fielen in den ersten zehn postsozialistischen Jahren 31% der landwirtschaftlichen Flächen brach. Das war das Ergebnis einer 90%igen Kürzung der staatlichen Subventionen für die Landwirtschaft sowie der russischen Bodenreform, die die sozialistischen Betriebsstrukturen aufrechterhielten und ein Moratorium von Landverkäufen aufrecht erhielt, welches erst 2003 aufgehoben wurde. Umgekehrt gab es den geringsten Rückgang landwirtschaftlich genutzter Flächen in Weißrussland und Polen mit 10% bzw. und 16%. Dieses hatte jeweils unterschiedliche Gründe.

Weißrussland gelang es, die meisten Agrarflächen durch Beibehaltung der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Großbetriebsstrukturen und hohe staatliche Zuwendungen für die Landwirtschaft in der Bewirtschaftung zu halten. Polen erlebte nur vergleichsweise geringe Änderungen an den Betriebsstrukturen in der Transformationsphase, da die Landwirtschaft im Sozialismus durch ein Nebeneinander von einer Vielzahl an Privatbetrieben und einigen Staatsbetrieben, deren Flächen nach dem Zusammenbruch des Sozialismus verkauft wurden, gekennzeichnet war.

Das heißt, die sozialistischen Vermächtnisse waren im Verbund mit postsozialistischer staatlicher Förderung der Landwirtschaft ausschlaggebend für den Verlauf des Brachfallens von Land. Dabei wird die Bedeutung des institutionellen Wandels und der Bodenreformstrategien entlang der Ländergrenzen sehr eindrucksvoll sichtbar, wie etwa in den Unterschieden zwischen Weißrussland und Russland (siehe Abb. 1 und 2). Durch die Untersuchung der Muster und Triebkräfte dieser Unterschiede kann ein besseres Verständnis dafür entwickelt werden, wie man den bisher ungenutzten Produktionspotentialen von landwirtschaftlicher Brachflächen in den Regionen begegnen kann.

Grafik: © Prishchepov et al. 2012

Abb. 2. Aufgegebene landwirtschaftliche Flächen nach Ländern (links) und unterteilt nach Provinzen für Weißrussland und Russland (rechts).
Grafik: © Prishchepov et al. 2012

"Institutionelle Änderungen können gravierende Auswirkungen auf die Landnutzung haben", sagt Prishchepov. Aus amtlichen Statistiken geht hervor, dass einige in den vergangenen zehn Jahren brachliegenden Ackerflächen in Lettland, Litauen und Polen inzwischen wieder bewirtschaftet werden - nach Abschluss der Bodenreformen aber sicher auch aufgrund der Subventionen gemäß der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Gleichzeitig stiegen in Weißrussland und im untersuchten Teil von Russland die aufgegebenen landwirtschaftlichen Flächen. Als Gründe dafür werden die nicht abgeschlossenen Bodenreformen angenommen. Es wurde festgestellt, dass in Russland wahrscheinlich über 50 Mio. ha Ackerbauflächen gegenwärtig brachliegen. "Die Länder Osteuropas und die ehemalige Sowjetunion haben große Potenziale für die zukünftige Steigerung der Agrarproduktion, da viel potentiell nutzbare landwirtschaftliche Fläche brachliegt sowie genutzte Flächen häufig geringe Ertragsraten aufweisen", so schlussfolgert Prishchepov.


Weiterführende Informationen

http://stacks.iop.org/1748-9326/7/024021
- Artikel "Effects of institutional changes on land use: agricultural land abandonment during the transition from state-command to market-driven economies in post-Soviet Eastern Europe" zum Download.

http://www.iamo.de
- Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO)


Über das IAMO

Das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel-und Osteuropa (IAMO) ist eine international anerkannte Forschungseinrichtung. Mit über 60 Wissenschaftlern und in Kooperation mit anderen renommierten Instituten widmet es sich wichtigen Fragen der Agrar- und Ernährungswirtschaft und der ländlichen Räume. Hauptuntersuchungsregionen sind Mittel- und Osteuropa sowie Zentral- und Ostasien. Seit seiner Gründung 1994 gehört das IAMO als außeruniversitäre Forschungseinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft an.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution418

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa,
Daniela Schimming, 23.07.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2012