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INTERNATIONAL/081: Vom Tabak zu Via Campesina - die Bauernbewegung in der Türkei (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 363 - Februar 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Vom Tabak zu Via Campesina
Die Bauernbewegung in der Türkei ist gut organisiert und international vernetzt.

Interview mit Abdullah Aysu, Confederation der Bauerngewerkschaften, Mitglied von Via Campesina in der Türkei
von Julia Bar-Tal, junge AbL



In der Türkei geht die Umstrukturierung der Landwirtschaft rasant voran. Im Gegensatz zu Europa ist sie immer noch hauptsächlich Familiensache kleinbäuerlicher Betriebe, doch die Bestrebungen der Regierung und grossen Konzerne gehen in eine andere Richtung und üben enormen Druck auf die vielen hunderttausenden Bauern aus.

Abdullah Aysu ist selbst Landwirt, er und seine Geschwister bewirtschaften seit jeher ihren Betrieb, der mit seinen 64 ha einen für türkische Verhältnisse großen Betrieb darstellt. Seit Jahren ist er beteiligt am Kampf um die Bauerngewerkschaften. "Wir Bauern sind die letzten Produzenten. Sie aber wollen uns auch zu Konsumenten machen. Es scheint sie zu bedrohen, dass wir uns selbst ernähren, dass wir unabhängig sind."

Julia Bar-Tal: Herr Aysu, wo liegen die Wurzeln bzw. die Anfänge der Bauerngewerkschaften hier in der Türkei?

Abdullah Aysu: Im Jahr 2.000 organisierten wir einen zweitägigen Marsch gegen die Verschmutzung des Ergene Flusses. Die Region um diesen Fluss herum ist die wichtigste Ernährungsregion für die 20 Millionen Einwohner Istanbuls. Innerhalb weniger Jahre war sie zu einer riesigen Industriegegend verkommen. Die Fabriken schütten ihren Dreck Tonnenweise auf den Boden und in den Fluss. Unser Marsch fiel zufällig in die Zeit, in der die Regierung ihr Tabakmonopol privatisieren wollte. Vielen war damals klar, dass dies ein erster entscheidender Schritt sein würde, den Tabakanbau an die multinationalen Konzerne zu verkaufen. Der ehemals kleine Marsch für den Fluss wurde unter dem Motto "Hände weg vom Tabak" zu einem Riesenerfolg.

Julia Bar-Tal: Wie ging es dann weiter?

Abdullah Aysu: Wir besuchten in kürzester Zeit 398 Dörfer und es kam zu unserem ersten "Tabakkongress", zu dem über 500 Bauern kamen, um über ihre Situation und Forderungen zu diskutieren. Obwohl wir im Anschluss ein Info Meeting mit 500 Abgeordneten hatten, in dem wir ihnen unsere Positionen mitteilten, haben sie nicht reagiert. Das neue Tabakgesetz kam, und mit ihm Phillip Morris und andere Tabakkonzerne. Von ehemals 543.000 Tabakbauern sind inzwischen nur noch ca 60.000 geblieben.

Julia Bar-Tal: Trotz dieses anfänglichen Misserfolgs haben Sie sich nicht entmutigen lassen. Wie ging es danach weiter?

Abdullah Aysu: Diese Erfahrungen haben uns unsere Möglichkeiten gezeigt. Wir wussten nun, dass wir uns politisch organisieren können und müssen. Wir tourten weiter durch hunderte Dörfer, Cafehäuser dienten uns als Versammlungsräume. Auf einem Kongress 2004 in Ankara stellten wir die Frage wie wir unsere Rechte als Bauern verteidigen können. Eine Antwort war die Gründung von produktorientierten Gewerkschaften, die nach aussen unsere Forderungen im jeweiligen Sektor vertreten sollten, und einige Zeit später dann die Konföderation der Bauerngewerkschaften als Dachverband.

Julia Bar-Tal: Die verschiedenen Bereiche sind: Tabak, Tiere, Getreide, Trauben, Oliven, Zuckerrüben, Sonnenblumen, Tee und Haselnüsse.

Abdullah Aysu: Ja genau. Im gleichen Jahr fuhren einige von uns nach Sao Paulo, um erstmals bei einem Via Campesina Kongress teil zu nehmen. Wir, als türkische Bauern, wurden Teil von Via Campesina und unsere ersehnte Verbindung mit dem globalen Netzwerk wurde Realität. Als 2008 Via Campesina Europa gegründet wurde, waren wir eine der Gründerorganisationen.

Julia Bar-Tal: Wie ist die Situation der Bauern in der Türkei?

Abdullah Aysu: Wie die meisten Bauern global, sind auch wir einem enormen Druck ausgesetzt. Um diesen Druck in politische Forderungen um zu wandeln bedarf es eines großen Bewusstseinsbildungsprozesses. Die Bauern hier haben keine Tradition des politischen Widerstandes. Wir können nicht immer schlagfertig große Aktionen auf die Beine stellen. Aber wenn, wie wir hier sagen, "das Messer den Knochen trifft", dann wird vieles möglich.

Julia Bar-Tal: Erzählen Sie mir etwas aus dem bäuerlichen Alltag in der Türkei!

Abdullah Aysu: In der Türkei gibt es hauptsächlich Kleinbauern. Der durchschnittliche Tierbesitz liegt bei 4 GE pro Betrieb. Die Größe liegt im Mittel bei 6 ha. Das Land ist nicht arrondiert, sondern die Flächen liegen um das Dorf herum. Oft sind die Ställe am Haus im Dorf, aber die Anbauflächen und die Weiden liegen außerhalb. Die Arbeit und der Besitz werden von Generation zu Generation weitergegeben, was nicht immer unproblematisch ist.

Julia Bar-Tal: Wie kommt die Milch in den Supermarkt?

Abdullah Aysu: Jede Familie melkt ihre Tiere. Die Milch wird morgens in Kannen vor die Tür gestellt, ein Molkereitransport holt sie ab. Inzwischen hat es sich etabliert, dass die Molkereien im Tausch für die Milch das Tierfutter vor die Tür stellen. Am Ende wird Futter gegen Milch verrechnet und es bleibt nur ein kleiner Teil des Verdienstes. Damit ist ein schleichender Prozess des abhängig Werdens in Gang gesetzt worden. Als Gewerkschaft motivieren wir die Bauern, das Futter entgegen aller Widrigkeiten weiterhin selbst anzubauen und ihre Tiere traditionell und artgerecht zu halten.

Julia Bar-Tal: Welche Rolle spielen die Frauen in der türkischen Landwirtschaft?

Abdullah Aysu: Auch wenn ca. 70% der Arbeitskräfte Frauen sind, liegt der Besitz dennoch fast zu 100% in den Händen der Männer. Das ist einer der Hauptgründe für Auseinandersetzungen in unserer sich als emanzipatorisch verstehenden Bewegung. Förderungen und Ausbildungsprogramme sind für Frauen nicht erreichbar. Sie sind meistens nicht einmal als Arbeiterinnen registriert. Auch die Vermarktung unterliegt der Kontrolle der Männer. Die Frauen leben in totaler Abhängigkeit. Wir haben uns der Gleichstellung von Mann und Frau in unseren Gewerkschaften verpflichtet und sehen die Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden Konflikten als einen der wichtigsten Aspekte unserer Arbeit hier! Die Frauen sind es, die einen Großteil der Arbeit leisten, sie melken, jäten, hacken, ernten.

Julia Bar-Tal: Welches sind die vordringlichsten Aufgaben?

Abdullah Aysu: Wir müssen den Erhalt unserer kleinbäuerlichen Strukturen als unseren Widerstand begreifen, denn die Industrialisierung nach dem Modell der westlichen Länder droht in sehr naher Zukunft. Über die Gewerkschaften können wir uns artikulieren. Auch entstehen vielerorts Kooperativen innerhalb der Bauernschaft, um eigene Vermarktungsstrukturen aufzubauen. Konsumentenkooperativen als Abnehmer sind der nächste wichtige Schritt.

Julia Bar-Tal: Vielen Dank für das Gespräch

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 363 - Februar 2013, S. 20
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2013